Das Evangelische Wort

Sonntag, 05. 06. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Pfarrer Andreas Fasching

Autokolonnen wälzen sich Richtung Süden. Wochenende für Wochenende dieselbe Situation: Sonne tanken, raus aus dem grauen Alltag. Wer’s nicht zu einem kurzen oder auch längeren Urlaub schafft, den drängt‘s zumindest in den eigenen Garten, auf den Balkon oder in eines der Naherholungsgebiete. Endlich Sommer und Sonne! Nach 38 oder mehr Wochenstunden am Arbeitsplatz bei einer Lichtstromdichte von 300 bis 500 Lux drängt der Mensch ins Freie und ans Licht. Selbst ohne Sonne versorgt uns der Himmel tagsüber mit 8.000 bis 10.000 Lux. Nimmt man das als Maßstab für das menschliche Lichtbedürfnis, gleicht unsere Situation in Häusern und Wohnungen der von Höhlenbewohnern.

Forscher eines Tiroler Kompetenzzentrums arbeiten nun daran, Kunstlicht dem natürlichen Tageslicht immer ähnlicher zu machen. Neben einer höheren Intensität des Lichtes geht es dabei vor allem darum, die Farbigkeit des Tageslichtes in die Räume zu bringen. Vom kräftigen Blau des natürlichen Morgenlichts bis zum feuerähnlichen roten Abendlicht soll das Spektrum reichen.

Natürlich würde sich durch diese neue Art von Kunstlicht unsere Leistungsfähigkeit steigern. Vielleicht würde der Mensch dann nicht mehr so stark ins Freie und ans Licht drängen. Aber ist Ökonomie schon alles? Ist meine Lebendigkeit nicht von Polaritäten und Widersprüchlichkeiten bestimmt? Es gibt kein Licht ohne die Dämmerungssituation und den Schatten. Wer würde denn das aushalten, immer nur im Rampenlicht zu stehen und nicht auch Zeiten des Rückzugs zu haben? Wen würde denn der Anspruch nicht erdrücken, immer perfekt sein zu müssen?

 

Wenn ich menschlich bleiben will, nehme ich meine Unvollkommenheit wahr: dass ich Fehler mache, von innerer Zerrissenheit geplagt bin, das Leben mir Wunden zugefügt hat. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es bis dahin ein mühevoller Weg ist. Lange
habe ich zu hohe Ansprüche an mich selbst gestellt, meine dunklen Seiten unterdrückt und mit viel Aufwand zu verbergen versucht. In diesem harten Kampf gegen mich selbst entziehe ich mir den Boden und blockiere meine Lebenskraft. Ich bleibe eingesperrt in der dunklen Höhle meiner Allmachtsphantasie, weil ich mir und anderen stolz vormache, es allein mit meinem Willen zu schaffen.

Aufatmen lässt mich der zentrale reformatorische Satz: „Bei Gott bist du anerkannt vor aller Leistung“. Diesen Zuspruch kenne ich seit vielen Jahren; ihm auch emotional zu trauen, ist eine tagtägliche Herausforderung. Mehr und mehr lerne ich, auch mein Scheitern und meine Schwächen wohlwollend ans Licht zu bringen. Wenn ich mir eingestehe, dass ich bedürftig bin, und meine Grenzen annehme, fühle ich die wärmende Sonne meine Düsternis durchdringen.

So ein gelichtetes Leben lerne ich auch bei Jesus aus Nazareth. Er söhnt sich aus mit den Brüchen in seinem Lebensentwurf und entdeckt darin eine neue Quelle des Daseins. Sein ganzes Reden und Tun bezeugt Leben als einen von Polaritäten erfüllten Raum. Wo ich im Annehmen und Zeigen meiner Verletzlichkeit und Begrenztheit zugleich all denen nahe komme, die selber ausgegrenzt und ohnmächtig sind. Wo ich mich von der Illusion verabschiede, mich von Grund auf zu verändern oder bestimmte Charakterzüge ganz und gar ablegen zu können. Wo ich über meinen eigenen Schatten springe und meine Traurigkeit und Gefühlsleere zulasse. Da durchdringt der Widerschein des Göttlichen mein Leben. Oder mit Worten von Marie-Luise Kaschnitz: Da bin ich "vorweggenommen in ein Haus aus Licht".