Das Evangelische Wort

Sonntag, 12. 06. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendentin Luise Müller

 

Geht´s Ihnen nicht gut? Fragt mich meine Nachbarin beim Kirchenkaffee. Ich lächle sie leicht verunsichert an: „Doch, warum meinen Sie?“ „Naja, Sie schauen gar nicht gut aus!“ Das lässt mich erst mal schlucken, denn ein wenig hat mich die Eitelkeit schon im Griff. Und in der Früh hatte ich durchaus auf mein Äußeres Wert gelegt. Deswegen frage ich nach, wie sie das meint. „Naja, Ihre Augen wirken müde.“

 

Oh ja, müde. Das bin ich. Und zwar so, dass es durch einen Sonntag allein nicht mehr kompensiert werden kann. Urlaubsreif. In der letzten Zeit ist zudem einiges schief gelaufen. Zwei unserer Bürocomputer sind abgestürzt, leider unzureichend gesichert, meine Sekretärin hat von einem Tag auf den anderen gekündigt, weil sie ihre Mutter pflegen muss, der Umzug meines Büros steht bevor, eine Mitarbeiterin, die an einem wichtigen Projekt mitgearbeitet hat ist im Mutterschutz, ohne dass das Projekt abgeschlossen ist. Damit liegt so ziemlich meine ganze Infrastruktur brach, ich muss schauen, wie ich in diesem Durcheinander einigermaßen zurecht komme. Zudem ist es Juni: die Zeit im Jahr, wo ich auch mit der besten Infrastruktur nur noch deswegen einigermaßen funktioniere, weil der Sommer und damit der Urlaub vor der Tür steht. Die Zeit im Jahr, wo ich selbst am Sonntag nach einem wohltuenden Gottesdienst müde ausschaue.

 

Ich vermute, dass es vielen Menschen wie mir geht, dass die Anforderungen des Alltags manchmal einfach zuviel werden. Dass die normalen Erholungsräume nicht mehr ausreichen, weil wir sie viel zu oft und viel zu nachlässig auch noch mit Arbeit voll gestopft haben. Oder mit Ablenkungen die uns nur müde gemacht haben anstatt dass sie uns Kraft gaben.

 

Gedenke des Sabbats, dass du ihn heiligst, steht im Buch Exodus (Ex 20,8). Abraham Josua Heschel, ein jüdischer Theologe des 20.Jahrhunderts hat gesagt: „Was ist der Sabbat? Eine Erinnerung an aller Menschen Königswürde, eine Aufhebung der Unterscheidung von Herr und Knecht, reich und arm, Erfolg und Fehlschlag. Den Sabbat feiern bedeutet, unsere letzte Unabhängigkeit von Zivilisation und Gesellschaft zu erfahren, von Leistung und Angst. Der Sabbat ist eine Verkörperung des Glaubens, dass alle Menschen gleich sind und dass die Gleichheit der Menschen ihren Adel ausmacht. Die größte Sünde des Menschen ist es zu vergessen, dass er oder sie ein Königssohn, eine Königstochter ist. Der Sabbat ist eine Zusicherung dessen, dass jenseits des Guten das Heilige ist. Der Sabbat ist Heiligkeit in der Zeit.“

 

Meine Sonntage sind das oft nicht. An ihnen setze ich mit anderen Mitteln das fort, was ich an den anderen sechs Tagen nicht schaffe. Der Sonntag als Pufferzeit. Kaum Unterbrechung. Zuviel wollen, nie zufrieden. Ganz im Innersten weiß ich, dass das falsch ist. Und manchmal, so wie neulich, sieht man es mir auch an. Dann sehne ich mich nach einer Zeit, in der ich nur zu atmen brauche, in der ich ruhen kann, träumen, nichts tun, Langeweile haben darf. In der dann auch Gott eine Chance hat, mir zu begegnen.

 

Das Interessante an der Schöpfungserzählung ist, dass das, was Gott in sechs Tagen erarbeitete als gut und sehr gut bezeichnet wird. Aber erst der siebte Tag, an dem die große Ruhe einkehrte, wird als heilig bezeichnet.

Gedenke des Sabbats, dass du ihn heiligst.