Das Evangelische Wort

Sonntag, 19. 06. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Peter Pröglhöf aus Salzburg

 

 

Fahren Sie diesen Sommer in die Türkei auf Urlaub? Dann kommen Sie ja vielleicht in Iznik vorbei, einer kleinen Stadt an einem See, dem Iznik Gölü, nicht allzu weit von Istanbul. Die Reste einer alten christlichen Kirche erinnern daran, dass an diesem Ort Weltgeschichte geschrieben wurde. Nicäa hieß er einmal. Und vor genau 1680 Jahren, am 19. Juni des Jahres 325, begann in Nicäa das erste Ökumenische Konzil. Kaiser Konstantin wollte eine einheitliche Linie in der Kirche durchsetzen. Und herauskam das Nicänische Glaubensbekenntnis, die Erstfassung jenes Bekenntnisses, das bis heute im Westen wie im Osten anerkannt ist.

 

Wir können uns wahrscheinlich heute kaum noch vorstellen, dass man um einzelne Worte eines Glaubensbekenntnisses so streiten kann, wie die Bischöfe damals gestritten haben und wie sie mit ihren Gegnern nicht gerade zimperlich umgegangen sind. Wenn man heutzutage einen Taufgottesdienst feiert, muss man als Pfarrer den Leuten meistens sagen, wo im Gesangbuch sie den Text des Glaubensbekenntnisses mitlesen können, weil es nur noch eine Minderheit auswendig kann.

Es ging vor allem um folgende Worte: “Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.”

 

Es ging also um die Frage: Wer ist der Sohn Gottes? Ist er selber Gott, eines Wesens mit dem Vater, oder ist er ein Geschöpf des Vaters? - Ist das denn so wichtig?

 

God is watching us from a distance - Gott beobachtet uns aus der Entfernung. Ist das so? Schaut er sich die Welt aus einem sicheren Abstand an, schaut uns zu, wie sich die reichen Industrienationen gerade zu einem Schuldenerlass für die Ärmsten durchringen - endlich, nach Millionen Hungertoten, denen noch viele weitere folgen werden, bis dieser erste Hoffnungsschimmer Wirkungen zeigt? Ist Gott zwar vielleicht ein bisschen traurig, was aus seiner Erde geworden ist, aber hält sich heraus, denn schließlich ist er im Himmel und wir auf der Erde?

 

Nein, das wäre mir zu wenig. Und den Bischöfen, die vor 1680 Jahren in Nicäa um die alten Worte gestritten haben, war das auch zu wenig. Der Sohn Gottes ist selber Gott, das heißt doch: Gott kriegt am eigenen Leib mit, was auf seiner Erde los ist. Weil er in Jesus Christus auf die Welt gekommen ist, hält er sich nicht heraus, schaut er nicht aus sicherem Abstand zu. Gott leidet mit jeder weinenden Mutter und stirbt mit jedem verhungernden Kind.

 

Freilich: Glaubenssätze bleiben Bilder, die auch neu interpretiert werden müssen, und die gewaltsame Art, wie sie durchgesetzt wurden, macht uns heute zu Recht misstrauisch gegen irgendwie diktierte Wahrheiten. Glaubensfreiheit ist ein hohes Gut. Aber das Erstaunliche ist: Die alten Sätze fordern zur Auseinandersetzung heraus, 2005 ebenso wie im Jahr 325.