Das Evangelische Wort

Sonntag, 03. 07. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Prof. Dr. Ulrich H.J. Körtner

 

 

Finden Sie eigentlich, dass Ihr bisheriges Leben gelungen ist? Nein? Lassen Sie sich so etwas nicht einreden.

 „Ein gelingendes Leben“, so habe ich auf der Homepage eines Lebensberaters gelesen, „ist ein Leben, in dem sich der innere Wunsch und Drang zur Selbstverwirklichung entfalten kann“. Dazu gehört, wie ein anderer Therapeut erklärt, auch die Sehnsucht nach einer allerletzten Zugehörigkeit und Geborgenheit, nach einem letzten Halt und Sinn in einem Urgrund des Lebens, in einer Liebe, die uns nicht enttäuschen kann.“ Diesen Urgrund findet allein der religiöse Mensch.

Die Rede vom gelingenden Leben gehört heute auch zum kirchlichen Jargon. Ob in Predigten oder in der Bildungsarbeit, überall verspricht man uns Hilfe bei der Suche nach einem gelingenden Leben. Kaum jemand stellt ernsthaft die Frage, ob diese Idee tatsächlich so biblisch und christlich ist, wie immer behauptet wird.

Eine erfreuliche Ausnahme bildet die evangelische Theologin Gunda Schneider-Flume. Sie warnt vor „Tyrannei des gelingenden Lebens“ und schreibt:

 

                     „Lässt man die Rede vom gelingenden Leben gelten, dann stellen sich dringend und bedrohlich die Fragen: Was ist mit Leben, von dem – wer auch immer – meint, es ‚gelinge nicht’ oder sei ‚misslungen’? Wer hat gegenüber dem Leben das Recht, das zu beurteilen? Wer kann und darf die Vorhersage treffen: ‚Dieses Leben wird nicht gelingen’?“

 

Nicht dass es im Leben kein Gelingen geben kann oder darf. Aber unsere Fähigkeit, Talente zu entwickeln und Pläne erfolgreich zu verwirklichen, berechtigt nicht dazu, das Leben selbst als ganzes unter das Urteil des Gelingens oder Misslingens zu stellen. Dadurch gerät das Leben unter einen ganz und gar unchristlichen Zwang zur Vollkommenheit. Gemessen an heutigen Vorstellungen von einem gelingenden Leben muss man sagen, dass das Leben Jesu von Nazareth gründlich misslungen war. Aber Gott urteilt eben nach anderen Maßstäben als wir. Er akzeptiert uns mit unseren gebrochenen Biographien und inneren Widersprüchen.

Die Idee des gelingenden Lebens hat dagegen etwas mit dem neuzeitlichen Erziehungswahn zu tun, der Menschen nach einem ganz bestimmten Bild formen will. Schulaufgaben gelingen – oder eben nicht und müssen noch einmal gemacht werden. Wie wichtig ist doch gerade am Beginn der Schulferien die Einsicht, dass ein Fünfer nichts über den Wert eines Menschen und den Sinn seines Lebens aussagt. Das Leben ist keine Schularbeit. Und Glück ist keine Leistung, die man sich zu erarbeiten hätte.

Nach anderer Lesart ist das Leben eine Kunst, das eigene Leben ein Kunstwerk und Selbstverwirklichung gewissermaßen eine künstlerische Leistung. Nichts ist schlimmer, als beständig um sich selbst zu kreisen. Das, was dem Leben Sinn gibt, kann man nicht selbst herstellen oder verwirklichen: Liebe, Zuwendung, Erbarmen.

Die Theologin Gunda Schneider-Flume schreibt:

 

                     „Die Vorstellung von Leben unter dem Vorbehalt des Gelingens [...] verkennt, dass Leben ein Phänomen der Fülle, des Überflusses, des Surplus, der Gnade ist, gut von Anfang an, nicht unter der Bedingung ‚wenn – dann’, sondern kostbares Gut, das Freude provoziert.“

 

Im Leben müssen wir keine Künstler sein, die sich selbst ständig neu erfinden, sondern wir dürfen Dilettanten bleiben. Ein Dilettant ist, wörtlich übersetzt, jemand, der sich an einer Sache freut. Er malt oder musiziert aus Spaß an der Freude. Genau so dürfen wir uns über das kostbare Geschenk unseres Lebens freuen. Und das nicht nur zur Ferienzeit.

 

 

Quellenangabe: Gunda Schneider-Flume „Leben ist kostbar. Wider die Tyrannei des gelingenden Lebens“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, S.9f u. 11.