Das Evangelische WortSonntag, 10. 07. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Pfr. Mag. Jürgen Öllinger
aus Villach Epheser
2,19: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger
der Heiligen und Gottes Hausgenossen! Wir haben es in diesem Jahr immer wieder gehört: Österreich ist frei!
Wir haben es gehört und gefeiert und sind froh darüber, dass Österreich
frei ist. Aber frei wovon? Von Besatzungsmächten? Von der Einmischung anderer?
Oder gar von Schuld und unserer Vergangenheit? Die Auswirkungen des
Krieges sind noch immer zu merken in den Familien, wo Fragen nicht
beantwortet werden können, wo Vorfahren nicht bekannt sind und sich
Menschen auf die Suche begeben.
Freiheit ist großartig. Die Evangelischen haben es sich immer wieder auf
ihre Fahnen geheftet, dass sie freier sind als andere Kirchen.
Freier und Demokratischer. Frei von der Sonntagspflicht. Frei von
der Beichte. Frei von der Hierarchie. Weil sie Mitbürger sind und
Gottes Hausgenossen im Reich Gottes. Weil die Evangelischen genau
wissen, dass sie nicht mehr Fremde sind in Gottes Augen. Weil sie
direkten Zugang zur Bibel haben und das seit Jahrhunderten und auch
so frei sind, dass sie sich mit dem Wort Gottes beschäftigen können.
Diesen Satz haben sie gehört und verstanden. Niemand ist mehr
gefangen und der Sklave eines Systems. Auch nicht eines kirchlichen
Rechtssystems.
Und was hat das der Evangelischen Kirche gebracht? Dass die Leute auch
nicht mehr in die Kirchen und Gottesdienste gehen als sonst. Dass
die Menschen ihre Schuld noch immer mit sich herumschleppen und
nichts davon wissen, wie heilsam und hilfreich ein Beichtgespräch
sein kann. Und dass die Evangelischen sich kaum scheren um ihr
Mitbestimmungsrecht. Die Wahlbeteiligung für die
Gemeindevertreterwahlen wird in diesem Jahr auch wieder beschämend
niedrig sein. Hier hat vermeintliche Freiheit nichts bringen und verändern
können.
Österreich ist frei! Richtig. Aber vielleicht ist die Frage: Frei wofür?
wichtiger und bedeutsamer. Frei, um was tun oder lassen zu können?
Österreich hat seine Freiheit dazu genutzt, dass es uns gut geht
und wir zu den reichsten Nationen der Welt gehören.
Es geht uns gut. In körperlicher Hinsicht? Na ja, um die Gesundheit
steht es nicht zum Besten wie wir immer wieder hören und sehen.
Unser Gesundheitssystem wird angeblich immer teurer, weil wir den
Standard unserer Gesundheit immer höher hinauf setzen. In geistigen
Belangen? Die Pisa-Studie ist immer wieder in Diskussion und zeigt
auf, dass die Freiheit im Kopf zum Lernen nicht so groß ist. Viele
Menschen leiden darunter, dass sie zwar geprüft, aber nicht
unterrichtet werden. Schüler wurden in diesen Tagen gequält, altes
Wissen wiederzugeben ohne die Neugier des Neuen ausleben zu dürfen.
Und seelisch? Zum Glück darf niemand wissen, wie viele Menschen in
der unmittelbaren Nachbarschaft Psychopharmaka im Land der
Psychoanalyse benötigen.
Wir sind frei. Wir sind als Gottes Hausgenossen frei, um für andere
Menschen ein Segen zu sein. Junge Menschen brauchen dafür
Vorbilder. Ganz dringend. Jede und jeder kann sich in Gottes Schöpfung
so frei bewegen, um einem anderen Menschen zum Segen zu werden. Österreichs
Bürgerinnen und Bürger sind frei, das zu tun!
Vielleicht kommt uns dieser Gedanke fremd vor. Vielleicht haben wir den
Blick zu sehr darauf geheftet, dass es uns gut geht. Vielleicht
haben wir den Segen nur materiell verstanden. Aber wir haben die
Freiheit, alles daran zu ändern. Kinder und Jugendliche auch im
Vertrauen Gott gegenüber zu einem Vorbild zu werden. Und ihnen
damit einen Segen für Generationen mitzugeben. Wir haben die
Freiheit, diese Schätze zu heben und damit andere Menschen zu
befreien. Menschen, die noch gefangen sind in Leistungsdruck und
Nachweis. Menschen, die gefangen sind in ihrer Angst um die
Gesundheit. Menschen, die gefangen sind von ihrer Schuld.
Aufgerufen dazu sind vor allem Menschen, denen es hervorragend geht,
Menschen, die in aller Freiheit ihr Leben gestalten können. Davon
gibt es Gott sei Dank unglaublich viele in unserem schönen Land. Österreich ist frei! Unser Land ist bereits gesegnet.
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