Das Evangelische WortSonntag, 17. 07. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Pfarrer Frank Lissy-Honegger, Rust Es
waren einmal zwei Forschungsreisende, die zu einer Lichtung im
Urwald kamen. Dort blühten allerlei Blumen und allerlei Unkraut.
Der eine Forscher sagte: „Es muss einen Gärtner geben, der dieses
Stück Land bearbeitet.“ Aber der andere stimmte ihm nicht zu:
„Es gibt keinen Gärtner.“ Sie bauten ihre Zelte auf und hielten
Wacht. Einen Gärtner aber bekamen sie nie zu sehen. „Vielleicht
ist der Gärtner unsichtbar.“ Sie errichteten einen Zaun aus
Stacheldraht, setzten ihn unter Strom, patrouillierten mit
Bluthunden. Aber kein Schrei wies je darauf hin, dass ein
Eindringling einen elektrischen Schlag bekommen hätte, nichts
verriet je einen unsichtbaren Kletterer, nie schlugen die Bluthunde
an.
„Und
doch gibt es einen Gärtner“, sagte der Gläubige, „er ist
unempfindlich gegenüber elektrischen Schlägen, Hunde können ihm
nicht an, er macht keinen Lärm. Im Verborgenen kommt er, den Garten
zu pflegen, den er liebt.“ Der Skeptiker verzweifelt: „Was
bleibt denn noch übrig von dem, was du zuerst gesagt hast? Worin
unterscheidet sich ein unsichtbarer, ungreifbarer, ewig
entweichender Gärtner von einem eingebildeten oder einem, den es
gar nicht gibt?“ Diese
Parabel veranschaulicht ganz gut das Verhältnis von Glaube und
Wissenschaft. Denn zu beweisen ist Gott, der Gärtner, nicht. Schon
gar nicht aus dem Garten heraus. Den großen Unterschied macht die
Haltung, die wir gegenüber unserem Garten Erde einnehmen. Die
beiden Forschungsreisenden bauen Stacheldrahtzäune, hetzen
Bluthunde und stellen Elektrofallen auf. Sie erscheinen als
Kolonialisten und Eroberer. Wissenschaftler
und Glaubende frage ich: Was ist für euch die Erde? Worauf
baut ihr? Wie verhält ihr euch zu ihr, was ist sie euch wert? Porteurs
de secret – Geheimnishüter – so heißt eine Ausstellung mit
Werken von Arnulf Rainer und Antoni Tapies in der Sammlung Essl in
Klosterneuburg. Ich habe sie noch nicht gesehen, ich freu mich aber
schon darauf. Antoni
Tapies lehrt mich einen guten Blick auf die Welt. Seine Materialien
sind ungewöhnlich: Erde, Leim, Gips, Sand, Teer, Schamott, ja sogar
alte Unterhemden bringt er auf die Leinwand auf. Die Bilder sind wie
Landschaften, wie Felsen, wie aus dem Buch der Natur gelesen,
manchmal wie Mauern und der Name Tapies hat in seiner katalanischen
Muttersprache auch mit Tapia – Mauer – zu tun. Man möchte hin
greifen und die Vertiefungen und Erhöhungen mit den Fingerkuppen spüren.
Hinein kratzt er Zeichen. Die regelmäßige Textur ist unterbrochen,
Linien brechen mit Plötzlichkeit hervor, zerschneiden den Grund wie
ein schmerzhafter Schnitt, reißen die düstere Farbfläche auf bis
auf das Weiß der Leinwand: Wie eine Wunde leuchtet es hervor, das
Zeichen: das A seines Vornamens, das auch für Anfang und Begrenzung
steht, oft das T, gemalt wie ein Kreuz – der Anfangsbuchstabe des
Familiennamens, ein mathematisches Zeichen, eine Stilisierung des
Gekreuzigten, eingeschrieben in die Erde. Es erscheint das Wort
Llull, weist hin auf Ramon Llull, den katalanischen Theologen und
Universalgelehrten des 13. Jahrhunderts, auf lateinisch Raimundus
Lullus, den Erdenker der ersten logischen Maschine, wenn man so
will: des ersten Computers, den profunden Kenner von Judentum,
Christentum und Islam. Ich
werde mir die Bilder von Antoni Tapies anschauen und mehr verstehen
von der Erde, unserem Garten, von Gottes Schöpfung – noch einmal,
von Anfang. Werde vielleicht selbst ein Geheimnishüter: einer
verletzlichen und verletzten Welt, geheimnisvoll verbunden, von Gott
geliebt, von uns Menschen zu verstehen versucht mit dem Wunsch, sie
sorgsam zu bearbeiten.
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