Das Evangelische Wort

Sonntag, 24. 04. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Pfarrer Peter Karner, Wien

 

Ezechiel, Kapitel 36

 

So spricht der Herr, euer Gott:

Ihr werdet endlich an euren gemeinen Lebenswandel denken und an eure verbrecherischen Taten. Und es wird euch grausen wegen eurer Schuld und wegen eurer Greueltaten.

Und ich werde euch von eurer Bosheit und eurer Götzenanbeterei befreien.

Und ich werde euch das steinerne Herz aus eurem Leib herausreißen und euch ein fleischernes Herz geben.

Und dann werde ich euch noch meinen Geist einflößen.

 

Während des Urlaubes kommen viele Leute – ohne es zu ahnen – in Orte, die mit der unbewältigten Vergangenheit Österreichs zu tun haben. Dass auch Bad Ischl zu diesen Orten gehört, überrascht natürlich. Bad Ischl, die heimliche Metropole der Monarchie, ist immer noch eine Operettenmetropole. Doch Ischl ist mehr als ein prominenter Aufführungsort: hier wurde Operette gemacht.

 

Hier haben sie den Sommer verbracht, die großen Komponisten und Textdichter, die Schauspielerinnen und Schauspieler. Es ist nicht verwunderlich, dass auf vielen Häusern der Stadt eine Gedenktafel angebracht ist: welche Prominenz von wann bis wann hier gewohnt und was geschrieben hat.

Aber die Gedenktafeln schweigen beharrlich und lückenlos über das weitere Lebensschicksal der also „Gedenktafel-Geehrten“. Ja, Alfred Grünwald hat das Buch zu berühmten Operetten geschrieben, wie „Gräfin Mariza“ (Kalman), „Die ideale Gattin“ (Lehar), „Die goldene Meisterin“ (Eysler) usw., aber auch die Nazis haben ihn 1938 vertrieben und er ist 1951 verbittert in New York gestorben. Und bei Richard Fall, Fritz Grünbaum, Peter Hammerschlag und dem großen Lieder-Texter Löhner-Beda („Ausgerechnet Bananen“, „Valencia“...) und bei vielen anderen fehlt der Zusatz: „Ermordet in Auschwitz 1942“.

 

2005 gilt als das große Jahr des Denkens und Gedenkens. Aber das Gedenken an die Schöpfer unserer Evergreens, die uns tagtäglich begleiten, hat noch wenige beschäftigt. Zwischen 1938 und 1945 ist die Operette, das Cabaret, Theater, die Kunst und Kultur durch die Mordlust der Machthaber krepiert – oder aus dem Fenster gesprungen wie Egon Friedell. Lieder und Texte dieser großen Generation sind längst wieder in aller Munde und zieren einen Festspielsommer. „Zuaschaun kann i net“ haben seinerzeit der Herr Karl und der Herr Dr. Karl samt den dazugehörigen Karolinen gesungen – und vom Vergasen haben sie erwartungsgemäß nicht einmal etwas gewusst.

 

Aber Ischl ist nur ein Lercherl im Vergleich zu Wien. In keiner anderen Stadt hat es so viele jüdische Publikumslieblinge gegeben. Nirgendwo sonst wurde das Gesicht einer Stadt so außerordentlich von jüdischen Künstlern geprägt. Das sollen die Wien-Touristen nur wissen, wenn sie mit uns beim H eurigen die Lieder der ermordeten und vertriebenen Komponisten und Texter singen. Der Herrgott muss a Weaner sein? Gott behüte!

 

Wer das Fiakerlied singt, oder „Das kleine Cafe in Hernals“, Lieder aus der Czardasfürstin“, dem „weißen Rössl“, von Schnitzler schwärmt, wäre dafür vor 65 Jahren im KZ gelandet. Und darum schaudert es mich manchmal, wenn die „heiligen“ Schrammeln „Wiener Blut“ spielen.