Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 08. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Als „Raunzerland“ ist Österreich kürzlich in einer  österreichischen  Tageszeitung bezeichnet worden. Und in der Tat: Gerade in den angeblich wertvollsten Wochen des Jahres, in den Urlaubswochen, ist Raunzen „in“. Ich weiß nicht ob es zutrifft, dass das Problem vor allem ein österreichisches ist, dennoch scheint es oft, als wären Menschen aus Österreich Weltmeister im Nörgeln im In- und Ausland.

 

Nach der ersten Nacht im Hotel geht´s bei den Betten los: Sie waren „furchtbar“, - d.h. sie waren anders als daheim gewohnt. Das Essen: Nun ja, es geht, aber gewürzt ist es wirklich schlecht, - nämlich anders als daheim. Und dass man in diesem Land links herum fährt, ist eine „Unverschämtheit“ allen Gästen gegenüber. Dass aber die Leute in fremden Ländern stehlen wie die Raben, ist man ja eh schon gewohnt; erst gestern Abend wäre beinahe dem Tischnachbarn das Geldbörsel aus der offenen Hosentasche geklaut worden.

 

Ich weiß, das alles ist nicht wirklich böse gemeint. Und doch verrät es eine Haltung, die nachdenklich macht. Unsicherheit ist zu spüren und tiefe Skepsis der Welt und dem eigenen Leben gegenüber, oft sogar getarnt als Lebensklugheit. Oder als „kritisches Bewusstsein“, obwohl viele dieser Argumente mit sachlicher Kritik nichts zu tun haben. 

 

Vom psychologischen Standpunkt aus wäre dazu gewiss vieles zu sagen. Ich bin aber kein Psychologe, und darum möchte ich festhalten, was ich aus christlicher, genauer gesagt evangelischer Sicht darüber denke. Nämlich: Bei der Lebenshaltung des Raunzens, so beliebt sie sein mag, handelt es sich um ein großes Missverständnis. Um ein Missverständnis, das sehr tief geht und unter dem die Betroffenen selbst am meisten leiden.

Es ist nämlich nicht so, dass mir „das Leben“, meine Mitmenschen oder auch nur meine engste Umgebung etwas schuldig wären – selbst wenn ich bezahlt habe. Es ist vielmehr so, dass mein Leben, das Drumherum, d.h. meine gesamte Existenz, ein riesengroßes Geschenk ist. Ein Geschenk, über das ich mich freuen sollte und aus dem ich etwas machen kann. Etwas Gutes für mich und für die anderen.

 

Das nämlich ist die ganz praktische Folge der so genannten „Rechtfertigungslehre“, die als so abstrakt und unverständlich verschrien ist. Sie stammt vom Apostel Paulus und Martin Luther hat an sie erinnert. Die Rechtfertigungslehre besagt: Gott gibt mir eine umfassende Chance, Paulus hat diese Chance „Gnade“ genannt. Und in diesem Bewusstsein soll und kann ich alles, aber auch alles, angehen und beurteilen, was mir begegnet. Und das ist keineswegs immer etwas Schlechtes oder Böses.

 

Da begegne ich anderen Sitten und Gebräuchen im Einzelnen und im Allgemeinen lockerer. Da muss ich nicht stets auf der Hut vor Menschen sein, die mir vielleicht falsches Wechselgeld herausgeben könnten, - und wenn´s passiert, muss es noch lange nicht absichtlich gewesen sein! Da kann ich kleine Gewohnheiten und große Traditionen, die mir zunächst fremd, ja falsch erscheinen, zu verstehen versuchen und achten lernen. Kurz gesagt: Ich kann buchstäblich wertschätzen, wie Frauen, Männer und Kinder in anderen Ländern mir begegnen, denn sie sind Teil des großen Geschenks.

 

So vergeht mir das Raunzen und es kommt Freude auf. Freude an dem, was man Gottes Schöpfung nennt, Freude an seinen Menschen. Und wann könnte man diese Freude besser brauchen als gerade jetzt im Urlaub?