Das Evangelische WortSonntag, 21. 08. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Mag. Gisela Ebmer Seit vielen Generationen steht
sein Hof in den Donauauen von Niederösterreich. Einige
Getreidefelder, ein paar Rinder, Schweine und Hühner, so kommt er
ganz gut über die Runden mit seiner Frau und seinen fünf Kindern.
Er hat den Hof von seinen Eltern übernommen und ist stolz darauf,
ihn gut weiterzuführen. Dass die Donau manchmal Hochwasser führt,
ist er gewohnt. Man lebt mit diesem Problem hier seit Jahrhunderten.
Der Schlamm ist sehr fruchtbar und sichert eine ertragreiche Ernte.
Doch vor vielen Jahren kamen Menschen, die zur Förderung der
Wirtschaft und zur Deckung des erhöhten Strombedarfs im Land ein
großes Donaukraftwerk gebaut haben.
Die Hochwasser wurden schlimmer, weil das Wasser nun von
Menschenhand gesteuert wurde. Als Überschwemmungsgebiet dienten die
Auen. Voller Verzweiflung und mit hohem Gesundheitsrisiko arbeitete
die Familie wochenlang und beseitigte die Folgen der Katastrophe.
Die Landesregierung ermunterte ihn zum Aussiedeln. Er könne sein
Land tauschen gegen ein Grundstück oben am Berg, um dort einen
neuen Hof zu bauen. “Das Erbe meiner Eltern gebe ich nicht her,
hier bin ich geboren, das ist meine Heimat seit vielen hundert
Jahren.” Beim nächsten Hochwasseralarm zwingt man ihn sein Haus
zu verlassen. Er bringt Frau und Kinder in Sicherheit und kehrt
heimlich zurück. Das Haus seiner Eltern lässt er nicht im Stich. Aus dem ersten Buch der Könige:
“Naboth von Jesreel hatte einen Weinberg in Jesreel neben dem
Palaste Ahabs, des Königs von Samaria. Und Ahab redete mit Naboth
und sprach: Gib mir deinen Weinberg, ich will mir einen Gemüsegarten
daraus machen, weil er so nah bei meinem Palaste liegt. Ich gebe dir
einen besseren Weinberg dafür, oder wenn es dir gefällt, will ich
dir den Kaufpreis in Geld bezahlen. Naboth aber sprach zu Ahab:
Davor bewahre mich der Herr, dass ich dir das Erbe meiner Väter
geben sollte.” (1.Kön.21,1-3) Aber Ahabs Frau ermunterte
ihren Mann: Wer führt denn die Herrschaft in Israel? Ich besorge
dir den Weinberg Naboths! Es gibt verschiedene Formen des
Rechts: Israels Gesetz sagte, dass das Land Gott gehöre, das Erbe
der Väter kann man daher nicht verkaufen. König Ahab hat eine
andere Rechtsauffassung: Gerecht ist, wenn man für ein Land ein
anderes tauscht oder zumindest einen fairen Preis bezahlt. Dies
entspricht wohl am ehesten unserer heutigen Rechtsauffassung. Und Ahabs Frau, die kanaanäische
Königin Isebel hat noch eine andere Sicht, was gerecht ist: Wer im
Land herrscht, kann sich nehmen, was er will. Mit Hilfe falscher
Zeugen lässt sie Naboth mit dem Tod bestrafen. So kommt König Ahab
zu seinem Weinberg. Am äußersten Ende seiner
gesundheitlichen Grenzen hat sich der niederösterreichische
Bauer doch zum Aussiedeln durchgerungen. Mit eigener
Unterschrift hat er den Abbruch seines Elternhauses angeordnet. Als
die Bagger kamen, hat er mit Tränen in den Augen mit angesehen, wie
Stück um Stück seiner eigenhändigen Arbeit abgerissen wurde.
Es ist das Abschneiden aller Wurzeln, die ihn tragen, der
Verlust von Heimat. Auch wenn er jetzt einen wunderschönen neuen
Hof am Hang oben hat, mit Blick auf die Donauauen, geplant vom
Architekten und erbaut von einem professionellen Baumeister. Heimat
wird dieser Hof für ihn nie werden. Ganz ähnliche Dinge plant man
derzeit in Tirol mit dem Ausbau der Wasserkraft: Almhütten,
wunderschöne Bergtäler, Heimat für Rinder, Schafe, Ziegen,
seltene Tier- und Pflanzenarten und unzählige Menschen, die als
Bergbauern leben, sollen unter Stauseen verschwinden. Weil der
Ausbau der Tiroler Wasserkraft der Wirtschaft dient. Und “geht's
der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut” - so heißt es in der
Werbung. Die Proteste der einheimischen Bevölkerung zählen wenig.
Gerecht ist, was dem Staat dient, der Wirtschaft. So wie damals dem
König. Wenigstens gibt es in Tirol heute doch auch positive Ansätze:
So hieß es diese Woche im Mittagsjournal von Ö1: Man werde bei den
momentan geplanten vier Projekten versuchen, die Forderungen der
Anrainer so gut wie möglich zu erfüllen, man sei gesprächsbereit,
sofern es die wirtschaftliche und technische Machbarkeit zulässt. Hat sich doch etwas geändert
in den letzten dreitausend Jahren?
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