Das Evangelische WortSonntag, 28. 08. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Dr. Jutta Henner „Frère
Roger Schutz ist tot.“ Diese Nachricht sollte Christinnen und
Christen am Abend des 16. August erschüttern. 90 Jahre war der Gründer
der Gemeinschaft von Taizé alt geworden. Diese ist über die
christlichen Kirchen hinaus zum Inbegriff für moderne christliche
Spiritualität, ökumenische Weite und soziales Engagement geworden.
1940
hatte sich der evangelische Pastor und Pfarrerssohn aus der Schweiz
in Taizé in Südburgund in Frankreich niedergelassen. Sein Einsatz
für Verfolgte und für Kriegswaisen, die Solidarität mit den
Notleidenden und seine schlichte, aber tiefe Frömmigkeit führten
im Jahr 1949 zur Gründung der Gemeinschaft von Taizé. Millionen
Menschen, vor allem junge, mit Fragen und Zweifeln, mit Sehnsüchten
und Hoffnungen sind seither nach Taizé gepilgert, haben dort
mitgelebt und prägende Impulse wieder mit nach Hause genommen. Die
einfachen und meditativen Lieder aus Taizé haben sich eingeprägt
und sind aus den Gottesdiensten der christlichen Kirchen nicht mehr
wegzudenken. Unzählige junge Menschen haben die Begeisterung des
Glaubens erlebt und gefeiert. Sie haben in das Gebet des 71. Psalms
einstimmen können: „Du
bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott, meine Hoffnung von meiner
Jugend an.“ (Ps 71,5) Frère
Roger Schutz, dem der Frieden und die Versöhnung der Völker, der
Konfessionen und der Religionen zeit Lebens ein Herzensanliegen
waren, und der die Jugendtreffen als „Etappen auf dem Pilgerweg
des Vertrauens auf der Erde“ deutete, wurde ausgerechnet beim
Abendgebet in der „Kirche der Versöhnung“ von einer offenkundig
geistig verwirrten Frau mit Messerstichen tödlich verletzt. Der
Tod Frère Rogers fiel auf den Beginn des katholischen
Weltjugendtages in Köln. Auch dort gedachte man seiner mit tiefer
Betroffenheit und Trauer. Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des Weltjugendtages machten sich auf aus dem Gewohnten, erlebten
Gemeinschaft, erweiterten ihren Horizont in Begegnungen mit Christen
aus anderen Ländern, ja anderen Teilen der Erde. Sie feierten den
Glauben mit einer großen Zahl Gleichgesinnter, gingen auf Distanz
zu sich selbst und erfuhren Identität für den weiteren Weg.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 190 Ländern hatten sich in Köln
eingefunden. Etwa 400.000 als Dauergäste, gut eine Million soll zum
Abschlussgottesdienst gekommen sein. Freilich,
derartige Massenveranstaltungen finden nicht ungeteilte Zustimmung
und eine Künstlergruppe in Köln rief angesichts des Rummels eine
„religionsfreie Zone“ mit alternativen Veranstaltungen aus.
Kritiker warnten davor, dass ein derartiges Event ohne
Nachhaltigkeit verpuffen könne. So mancher Teilnehmer sei mehr um
des Dabeiseins denn um des Inhaltes willen gekommen.
Gruppendynamische Prozesse wurden ebenso kritisch genannt wie der
keineswegs von allen gut geheißene Trubel um die Person des
Papstes. Zu wenig Raum sei für die Diskussion der „heißen
Eisen“ gewesen. Auch der Ablass, der den Teilnehmern bei der
Abschlussveranstaltung angeboten wurde, stieß auf Kritik und war
nicht gerade ein ökumenisches Zeichen: Schließlich hatte sich vor
bald 500 Jahren just an dieser Frage eben in Deutschland die
Reformation entzündet. Was
vermag nach Abreise der Teilnehmer eine Veranstaltung wie der
Weltjugendtag nachhaltig zu bewegen? Statistiken weisen für
zahlreiche Gebiete vor allem im Osten Deutschlands weniger als 10%
Getaufte aus. Kirchenaustrittszahlen dürfen nicht beschönigt
werden. Die Ökumene, das Ringen der christlichen Kirchen um
Schritte auf dem Weg zur Einheit, scheint ins Stocken geraten. Die
Fragen, Sorgen, Ängste und Perspektivlosigkeiten vieler junger
Menschen, die keine Arbeit finden und keine Zukunft sehen, bleiben.
Christliche Themen werden wieder von den Titelseiten der Zeitungen
und Magazine verschwinden. Und
doch: Glaube, Religion ist ein Thema für die Jugend! Gemeinschaft
und Feier, Begeisterung und Erlebtes prägen und lassen einstimmen
in den Psalm „Du bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott, meine Hoffnung von meiner
Jugend an.“ (Ps 71,5)
Der
Tod von Frère Roger stimmt mich nachdenklich. Das glaubwürdige,
stille und stete Zeugnis der Gemeinschaft von Taizé unter der
Jugend mit dem Einsatz für Versöhnung und Frieden bleibt als Vermächtnis
und Auftrag im Raum. Nicht nur, weil die Offenheit der Gemeinschaft
von Taizé für Christinnen und Christen verschiedenster
Konfessionen und Traditionen ihr Zeugnis so stark macht.
|