Das Evangelische WortSonntag, 04. 09. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1von Superintendentin Luise Müller
Wohl dem, der den Herrn fürchtet, der große Freude hat an seinen
Geboten. Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis von dem Gnädigen,
Barmherzigen und Gerechten Psalm
112,1.4 Eines meiner wichtigsten Sommererlebnisse ist jedes Jahr das Europäische
Forum Alpbach. Ich schätze diese Herausforderung. Ich schätze es,
wenn Themen der Naturwissenschaften auf meinen Glauben treffen und
ihn jedes Jahr von neuem provozieren. Ich komme in Versuchung, den
Gott, an den ich glaube, beweisen zu wollen. Ich weiß gleichzeitig,
dass das lächerlich ist. Glaube und Naturwissenschaft. Die Spannung zwischen diesen beiden Begriffen treibt interessante Blüten. Weltbilder stehen einander gegenüber, zwei Erklärungen für ein und dieselbe Sache stehen neben- und scheinbar auch oft gegeneinander.
Theologinnen gegen Physiker, Biologinnen, Mediziner. Wer hat Recht?
Manchmal schaut es so aus, als ob der Glaube der altmodische Teil der
Naturwissenschaften wäre. Die längst überholte Erklärung der
Welt. Die Kinderschuhe des Lebens, aus denen die
Naturwissenschaftler längst herausgewachsen sind. So nach dem
Motto: Ihr Christen mit eurer Bibel, die ist doch überholt, wir
wissen, dass die Erde keine Scheibe ist und nicht in sieben Tagen
entstanden ist.
Wenn wir uns von solchen Aussagen verletzen lassen, dann müssen wir uns natürlich aufraffen und unseren Glauben verteidigen. Ihn sozusagen zur besseren Wissenschaft machen, den Naturwissenschaftlern erklären, dass die Bibel letzten Endes doch Recht hat. Das tun wir, indem wir ihnen zeigen, wo Gott in ihren naturwissenschaftlichen Theorien vorkommt. Und das ist meistens am Endpunkt der augenblicklichen Erkenntnis.
Wir sagen: Gott ist da, wo ihr nicht mehr weiter wisst.
Problematisch ist daran, dass wir Gott damit auf ein Rückzugsgefecht
schicken. Wir stellen ihn dort hin, wo der naturwissenschaftliche
weiße Fleck ist. Wir sagen: das könnt ihr Naturwissenschaftler
nicht erklären, also ist damit bewiesen, dass es Gott doch gibt.
Da, wo eure Weisheit am Ende ist, da kann nur Gott sein.
Es ist ein armseliger Gott, den wir da konstruieren. Es ist ein Gott von
unseren Gnaden, der sich gegen die Fortschritte der
Naturwissenschaften beweisen muss. Entweder ist er richtig oder die
Naturwissenschaft. So ein Gott ist ein lächerlicher Götze. Es gibt aber den anderen Weg. Heinz Zahrnt, ein evangelischer Theologe
hat gesagt, Glaube und das Wissen aus der Naturwissenschaft sind wie
die zwei Brennpunkte einer Ellipse. Die Wirklichkeit der Welt ist größer
als die exakte Wissenschaft. Die Welt hat so viele verschiedene
Aspekte, dass man sie, um sie annähernd zu erfassen, unter möglichst
vielen Gesichtspunkten betrachten muss.
Zum anderen weißt er darauf hin, dass die Wissenschaft zwar Wissen, aber
kein Gewissen vermittelt. Wissenschaft kann nur sagen, was richtig
oder falsch ist, aber nicht, was gut und böse ist. „Darum kann
sie ebenso der Freiheit wie der Unterdrückung, dem Frieden wie dem
Kriege, dem Fortschritt wie dem Wahnsinn, sowohl Gott als auch dem
Teufel dienen.“
Zum dritten erinnert er daran, dass kein noch so exaktes Wissen
ausreicht, um die Wirklichkeit in ihrer Vielfalt und Ganzheit zu
verstehen und das eigene Leben darin sinnvoll zu bestehen. Doch dazu
kann uns unser Glaube jeden Tag aufs Neue helfen.
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