Das Evangelische Wort

Sonntag, 11. 09. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Mag. Jürgen Öllinger aus Villach, Kärnten

 

 

Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch wieder fürchten müsst; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen. Durch den rufen wir: Abba, lieber Vater! Röm. 8,15

 

Das sind 2 Welten, 2 Arten zu leben. Auf der einen Seite der geknechtete Geist, der sich fürchtet. Auf der anderen ein neuer, kindlicher Geist, der vertraut.

Der geknechtete Geist, der Angst hat, ist uns bekannt. Sehen wir auf die Kindheit, wissen wir, wie viel es bringt, wenn man Kinder in Angst und Schrecken versetzt. Sie folgen, sind gehorsam, fügsam, machen das, was Erwachsene erwarten. Kinder sind leicht zu kontrollieren, wenn man sie ängstigt. Das wissen dann später auch die Lehrer, die mit Angst Kinder dazu bringen, sich mit Dingen zu beschäftigen, für die sie niemals ihre Lebenszeit zu Verfügung stellen würden.

Wir leben in einem Zeitalter der Angst. Das schreibt Paulus vor fast 2000 Jahren. Am heutigen 11. September ist dieser Satz allerdings unglaublich aktuell.

Ein Blick in die Welt, in die Gesellschaft, in Schlagzeilen reicht, dass wir ihm zustimmen. Was tun mit der ganzen Angst? Mir scheint, dass man in seiner Angst versucht, Sicherheiten zu gewinnen. Versicherungen, Rechtsanwaltskanzleien, Banken oder Ärzten wird vertraut. Sie lassen uns ein wenig in Sicherheit wiegen. Nichts falsch verstehen. Ich habe nichts gegen diese guten Geister unserer Neuzeit. Therapien, Medikamente oder Lebensversicherungen haben uns ein tolles Leben beschert.

 

Nur: wenn der knechtische Geist um sich greift, wird man sich gesundheitlich immer absichern wollen. Wir lassen uns mit Ultraschall durchleuchten, ohne zu wissen, was wir mit den Erkenntnissen dann machen sollen. Das beginnt in der Schwangerschaft, die dann leider abgebrochen werden muss und hört auf bei Menschen, die im Alter voller Angst vor Krankheit und Einsamkeit ihr Dasein fristen.

 

Außerdem: wir haben selten Alternativen. Wir sehen die andere Möglichkeit nicht, die uns in diesem alten Satz entgegen kommt. Vielleicht aus zwei Gründen: schlechte Erfahrungen mit dem eigenen Vater. Wenn Gott so ist, wie mein leiblicher Vater, dann gute Nacht. Warte nur, bis der Papa nach Hause kommt! Die Erfahrungen der Unterdrückung, der Resignation oder des Schweigens lassen uns keinen Weg für Gott offen. Unglaublich viele Buben werden von Frauen zu Männern erzogen. Männliche Vorbilder fehlen, männliche Fürsorge ist nicht im Repertoire.

Der zweite Grund scheint mir darin zu liegen, dass dieser Geist so naiv ist, so wenig weiß von der Welt.

 

Ein kindlicher Geist ruft: Abba, lieber Vater. Diesen neuen Geist haben Christinnen und Christen bekommen. Genau den naiven Geist, der einem himmlischen Vater so vertraut, weil er beeinflusst ist von offener und bergender Liebe.

 

Der kindliche Geist lässt Menschen in die sicheren Arme des himmlischen Vaters sinken. Abba, lieber Vater. Dir kann ich alles anvertrauen. In dir habe ich eine Stärke, die die Angst vertreiben kann. Nun könnte man noch weiter schimpfen und bedauern, dass wir im Zeitalter der Angst leben.

 

Denn: was treiben wir nicht alles, um der Angst des knechtischen Geistes zu entfliehen: Alkohol, Fernsehen, Bücher, Arbeit, Engagement. Es gibt so vieles, weil die Angst in alle Winkel unseres Daseins kriecht.

Tragisch findet Paulus diese Tatsache, weil in den Kirchen und Pfarrgemeinden keine glaubwürdige Alternative angeboten wird. Und heute ist das nicht anders in den Kirchen. Der knechtische Geist will kontrollieren, überprüfen, evaluieren. Wir müssen auch in der Kirche alles durch Statistiken und Erfolge belegen.

 

Lasst nicht zu, dass der kindliche Geist vom knechtischen Geist vertrieben wird, ruft dieser uralte Text in die Nacht der Angst.

 

Lob, Offenheit, Gelassenheit, Liebe: wie wohltuend und naiv sind diese Worte für die sichtbaren Gemeinschaften in unserem Land, in unserer Stadt, in unserer eigenen Kirche. Wir lassen uns versichern und wissen gar nicht, was wir mit Unglück und Tod anfangen sollen. Vertrieben wird durch den Geist die Offenheit für die Liebe Gottes. Vertrieben wird durch den knechtischen Geist das Vertrauen in einen Gott, der uns liebt und an sich ziehen will.

 

Ja, der naive Geist der kindlichen Liebe ist uns abhanden gekommen. Gott will euch nicht mehr diesen knechtischen Geist geben, wo ihr wieder Angst haben müsst. In der Welt ist der Geist immer schon bekannt gewesen.

 

Jetzt kommt etwas ganz Neues, Lebendiges, Liebevolles. Wenn dieser Geist nicht so furchtbar naiv wäre in seinem Glauben, dass wir uns in Gottes liebende Hand geben. Wir sind geliebt worden von unserem Gott. Wir werden geliebt von Menschen, wir können gelassen unser Leben leben, weil uns nichts passieren kann.

 

Naiv – und doch so befreiend wie kindliches, selbstverlorenes Spielen.