Das Evangelische Wort

Sonntag, 18. 09. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Superintendent Mag. Manfred Sauer, Villach, Kärnten

 

 

Beim Besuch der heurigen Biennale in Venedig war ich v. a. vom ungarischen Beitrag fasziniert. Balazs KICSINY hat einen Zyklus von lebensgroßen menschlichen Figuren zum Thema „an experiment in navigation“. präsentiert, also einen Versuch in Sachen Orientierung und Steuerung. Einen Versuch, die richtige Richtung zu finden.

 

Im Zentrum steht ein Mann, elegant gekleidet. In beiden Händen trägt er jeweils einen Koffer. Der ganze Kopf und teilweise auch der Körper ist mit einer schweren Kette umwickelt. Dadurch wirkt der Mann wie gefesselt. Am Ende der schweren Kette befindet sich ein riesiger Anker. Im Hintergrund der Installation, in Kopfhöhe, sind Bienenkörbe angebracht. Der mit der Kette umwickelte Kopf ähnelt diesen Bienenkörben.

 

Starke Symbole.

Die beiden Koffer sind für mich ein Bild für unser Leben. Wir sind unterwegs. Wir haben hier keine bleibende Statt. Wir sind Wanderer. Koffer, das heißt Aufbruch. Bereit sein, sich zu verändern und mutig, sich den Herausforderungen zu stellen. Beweglich zu bleiben im Geist. Eingefahrene Geleise zu verlassen und neue, unbekannte Pfade zu betreten. Koffer erinnern an die zu Ende gehende Reise- und Urlaubszeit. Die meisten von uns waren im Sommer auf Urlaub. Mit großen Erwartungen und Sehnsüchten brechen wir mit unseren gepackten Koffern auf in ein anderes Land, in unbekannte Städte und Landschaften. Wir wollen Neues entdecken und kennen lernen. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Reisen verändert unser Denken und unsere Ansichten, vielleicht auch unsere Gewohnheiten. Reisen erweitert unseren Horizont, wenn wir bereit sind, uns offen und neugierig auf das Andere und Fremde einzulassen. Reisen bildet, wenn es zu einem gegenseitigen Austausch kommt.

Koffer als Sinnbild verstanden, erinnern aber auch an die Tausenden, die auf der Flucht sind, die bei Nacht und Nebel alles zurücklassen und nur das Notwendigste in einen Koffer packen konnten. Viele, die es bis zu uns schaffen, haben nicht einmal einen Koffer mehr dabei.

 

Das Gegenbild zum Koffer ist sowohl die Kette, als auch der Anker. Für mich sagt dieses Bild aus: Wir sind gleichzeitig auch Gefesselte und Festgehaltene. Festgefahren, gefesselt und angekettet an unsere Traditionen, an unsere Überzeugungen, an unseren liebgewordenen Gewohnheiten. Die Kette steht für das, was uns zurückhält, was uns hindert, das zu sagen, was wir wirklich denken. Was uns zurückhält, was uns auch bindet und unterdrückt. Es ist die Kette unserer Abhängigkeiten und unserer vermeintlichen Sicherheiten.

 

Der Anker hält aber nicht nur fest und zurück, sondern er gibt auch Halt. Er ermöglicht ein Innehalten, eine Verschnaufpause, ohne Anker kann ich nicht von Bord gehen. Wenn ein Schiff nicht fest vertäut und verankert ist, kann ich es nicht entladen und neu beladen. Der Anker schützt bei den Stürmen des Lebens. Wir alle brauchen so einen Anker, der uns Halt und Sicherheit gibt. Wir brauchen einen sicheren Hafen. Wir brauchen ein Zuhause.

 

So zeigt für mich diese Skulptur die ganze Spannung unserer menschlichen Existenz. Sowohl das Gebundensein als auch den Drang nach Freiheit und Veränderung.

 

„Christus Jesus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.“ Das Evangelium, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes, von der Versöhnung und der Barmherzigkeit ist die Kraft, die Ketten löst und von tödlichen Verstrickungen befreit. Der Glaube an Jesus befreit. Er sprengt die Ketten , die uns fesseln und einengen. Der Glaube gibt Kraft und Halt. Der Glaube ist der Anker, der uns in den Stürmen des Lebens Halt und Kraft gibt.