Das Evangelische Wort

Sonntag, 09. 10. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Mag. Renate Moshammer, Agoritschach/Arnoldstein, Kärnten

 

 

Singt dem Herrn ein neues Lied; singt dem Herrn alle Welt! Singt dem Herrn und lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil! Erzählt unter den Völkern von seiner Herrlichkeit, unter allen Völkern von seinen Wundern!  Ps. 96, 1 – 4

 

Lieder sind in der letzten Zeit heftig diskutiert worden, alte und neue und neue Varianten von alten Liedern. Auch wenn heute die Musik für viele aus der Konserve kommt, im Hintergrund dahinplätschert, in Cafés und Geschäften: Lieder schaffen Gemeinschaft. Lieder vermitteln Identität.

 

Was wäre die proletarische Revolution ohne „Völker, hört die Signale! Auf, auf zum letzten Gefecht!“ Das geht ins Blut. Das bringt in kurzen, einprägsamen Versen und Reimen die Sehnsucht der Menschen auf den Punkt. Die Sehnsucht nach Freiheit, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach einer gerechten Aufteilung der Güter. 

 

Gefechte und Schlachten sind seither viele geschlagen worden. Die Sehnsucht ist geblieben. Die Worte der Internationale sind längst nicht mehr in aller Munde. Gerade auf der einen oder anderen einschlägigen Kundgebung kann man sie noch hören.

 

Lieder schaffen Gemeinschaft. Lieder vermitteln Identität. Was wäre die Reformation ohne ihr Haupt-Lied „Ein feste Burg“ – Nicht im Rhythmus eines Trauermarsches gesungen, wie so oft in unseren Kirchen, sondern im Marschtakt, mit Trommelbegleitung. Das geht ins Ohr. Das hakt sich fest. Das ist Theologie, die man verstanden hat – nicht nur, weil es eben auf  Deutsch gesagt und gesungen worden ist und nicht auf Latein:
Ein Gott, zu dem man sich flüchten kann; Jesus, der für andere einsteht und für sie kämpft; und keine Macht der Welt oder der Dämonen kommt dagegen an.

 

Im 16. Jahrhundert und auch noch später, da ist das verständlich gewesen. Heute muss ich bei den Kindern in der Schule schon eine halbe Geschichtestunde vorausschicken, damit sie mit diesen Worten etwas anfangen können.

 

Ich weiß schon, der Psalm, dieses Lied des Volkes Israel, vom Anfang der Sendung, ist auch nicht gerade taufrisch. Gut zweitausend Jahre ist er alt. Er wird noch immer in Gottesdiensten und Gebetszeiten gesprochen, gebetet und gesungen. Dieser alte Text, der einen immerwährenden Auftrag in sich trägt.

„Singt dem Herrn ein neues Lied!“ heißt es da. Singt von Gottes Wundern in der Geschichte, aber auch in eurer Zeit. Erzählt in euren Worten vom Heil, also von der Sehnsucht, von dem Versprechen  eines gelingenden Lebens. 

Auch wenn man – aus verschiedenen Gründen – am alten Text festhält, muss er doch immer wieder neu durchbuchstabiert werden. Auch wenn man die alten Worte benützt, müssen sie doch mit neuem Leben gefüllt werden. Nur so können sie aus der Mottenkiste einer falsch verstandenen Tradition heraustreten. Nur so können sie weiterwirken und Menschen bewegen. Nicht nur in einem kleinen Kreis von Insidern, sondern, wie es im Psalm heißt, in aller Welt. Das bedeutet deshalb noch lang nicht, dass man auf jeder Woge oder kleinen Welle des Zeitgeistes mitschwimmen muss. Es bedeutet aber, dass man sich kritisch mit der Tradition und mit der Gegenwart auseinander setzen soll. Bei Psalmen, Hymnen und Lobgesängen aller Art. Damit man auch durch die alten Worte zu einem neuen Lied findet, das vom Leben erfüllt ist und darum auch unser Leben tragen kann.

 

Darum:  Singt dem Herrn ein neues Lied; singt dem Herrn alle Welt! Singt dem Herrn und lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil! Erzählt unter den Völkern von seiner Herrlichkeit, unter allen Völkern von seinen Wundern!