Das Evangelische Wort

Sonntag, 16. 10. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Olivier Dantine (Großpetersdorf, Bgld.)

 

 

Ich treffe immer öfter auf Menschen, die mit dem Wort „Kirche“ nicht unbedingt Positives verbinden. Der Kirchenbeitrag ist sowieso ein Reizthema, auch die für viele Menschen nahezu undurchschaubaren Strukturen der Organisation Kirche lassen den emotionalen Abstand zur Kirche wachsen. „Ich habe eh meinen Glauben. Dazu brauche ich doch keine Kirche“, sagen sich immer mehr Menschen.

 

Christlicher Glaube ohne Kirche? Für viele bedeutet das keinen Widerspruch. Für mich schon. Christlicher Glaube ist keine Privatreligion. Zum christlichen Glauben gehört unbedingt Gemeinschaft. „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen“ heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis. Damit dieser Glaubenssatz keine leere Hülse bleibt, braucht es aber eine Kirche, die glaubwürdig dieses Bekenntnis lebt. Der Apostel Paulus beschreibt die christliche Gemeinde als den Leib Christi. Christus wirkt in der Gemeinde weiter, sein Leben und sein Werk soll die Kirche fortsetzen.

 

„Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit.“ Mit diesem Satz hat Paulus den Grundsatz der Solidarität formuliert. Eine Kirche, die glaubwürdig Gemeinschaft der Heiligen sein will, hat also solidarisch zu sein. Solidarisch mit ihren eigenen Mitgliedern in aller Welt, aber im Sinne der Nachfolge Jesu auch mit Menschen außerhalb der christlichen Gemeinschaft, wenn sie deren Hilfe und Unterstützung brauchen. Das schließt auch das Eintreten für Menschen ein, die sonst in der Gesellschaft keine Lobby haben. „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind“, heißt es auch in der Bibel. Kirche an sich und einzelne Vertreter tun immer wieder ihren Mund auf für die Stummen. Nicht immer ernten sie dafür Applaus. Nicht einmal in den eigenen Reihen. Solchen mutigen Menschen den Rücken zu stärken, und sie nicht im Regen stehen zu lassen, gehört auch zu den wichtigen Aufgaben der christlichen Gemeinde, der Gemeinschaft der Heiligen.

 

Der christliche Glaube ist auf solidarisches Handeln ausgelegt, und nicht auf private religiöse Übungen. Ob die Organisation Kirche für diese Aufgaben die besten Vorraussetzungen bietet, darüber kann freilich gestritten werden. Wie in vielen anderen Organisationen passieren auch in der Kirche Fehler, werden Menschen nicht nur gestützt, sondern auch zutiefst verletzt, wird geheuchelt, ist manchmal mehr vom Anstreben persönlicher Vorteile als von Solidarität zu spüren.

 

Die Kirche ist deswegen noch lange keine Gemeinschaft der Unheiligen, glaube ich. Menschen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, mögen mich vielleicht für naiv halten. Vielleicht ist es auch ein wenig blauäugig, auf die verändernde Kraft des Heiligen Geistes zu vertrauen. Und doch möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben.

 

Es ist die Gemeinde selbst, die Gemeinschaft der Heiligen, in der der Geist wirkt. Deswegen werden in der Evangelischen Kirche alle Ämter durch Wahl besetzt. Deswegen sind jetzt im Oktober alle Gemeindeglieder der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich aufgerufen, ihre Gemeindevertretung zu wählen. Deswegen werden von den Gemeindevertretungen aufwärts alle Vertretungskörper der Evangelischen Kirche neu gewählt. Vielleicht werden da und dort Überraschungen passieren, für die einen böse, für die anderen freudige Überraschungen. Es gehört zur Natur von demokratischen Wahlen, dass sie sich nicht planen lassen. Aber genau dadurch wird doch etwas vom erneuernden Wirken des Heiligen Geistes spürbar, denn: der Geist weht, wo er will.