Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 10. 2001,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr

 

 

von Bischof Herwig Sturm (evangelische Kirche A.B.)

 

 

Aus dem Galeterbrief des Apostels Paulus:

 

"Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

 

1.

 

In den Tagen vor Allerheiligen hat Martin Luther im Jahr 1517 seine 95 Thesen veröffentlicht und damit eine Lawine ins Rollen gebracht, die wir Reformation nennen, was übersetzt heißt "Erneuerung der Kirche".

Das Zentrum dieser befreienden Botschaft: Auf die wesentlichen Fragen des Lebens, nämlich: " Was kann ich hoffen für mich und für diese Welt, was erwartet mich morgen und am Ende des Lebens, wie lebe ich mit den Brüchen des Lebens, mit Leid und mit Schuld", antwortet das Neue Testament: In diesen Bereichen zählt nicht das was wir leisten und an Erfolgen nachweisen können (meine Leistung ist eigentlich nie genug, meine Leistung ist austauschbar, es könnte sie auch ein anderer tun, und vor allem, tue ich das Richtige und kann ich bestehen vor Gottes Angesicht. Das ist die Antwort des Neuen Testamentes) durch Jesus Christus sind wir angenommen von Gott in Zeit und Ewigkeit, er sagt Ja! zu dir und zu mir als Liebender und nicht als Richter. Wir brauchen den Himmel nicht mehr zu erkämpfen, er ist uns geschenkt; nun haben wir die Hände frei für diese Erde.

 

2.

 

Die Freiheit, zu der Christus uns befreit hat bewährt sich im Ringen um Frieden. In den letzten Wochen sind uns Terror und Krieg wieder sehr nahe gerückt. Der Hass auf den unsichtbaren Feind, der Ruf nach Vergeltung, die Verdächtigung von Religionen und Völkern sind Stationen einer Spirale der Verfeindung und der Gewalt. Darum gedenken wir aller Opfer der Gewalt in den USA und in Afghanistan, in Palästina und Israel und wir beten um ein Ende des Hasses und der Vergeltung, um Besonnenheit und Weisheit bei den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Militär.

 

3.

 

Die Reformation war eine europäische Bewegung. Das Luthertum und besonders der Kalvinismus haben einen Großteil der europäischen Länder erfasst und in einem weltweiten Horizont gedacht und gewirkt.

Auch unsere Kirche wächst mehr und mehr in diese europäische Dimension hinein. So war in den vergangenen Tagen eine kleine Delegation in Holland, um dort mit Politikern, Ärzten und Kirchenleuten das Thema Euthanasie zu diskutieren. Unsere Kirchenleitung hat dieser Tage die Evang.- Lutherische Kirche in Ungarn besucht, und mit Staunen und Freude wahrnehmen können, wie diese Kirche ihre neue Freiheit nützt und ihre pastoralen Aufgaben, sowie ihre gesellschaftliche Verantwortung mit großem Engagement und Erfolg wahrnimmt.

Wir knüpfen an einem europäischen Netz der Kirchen in Fragen der Bildung, der Diakonie, der gegenseitigen Information und Zusammenarbeit.

 

4.

 

Woher kommen die Leute, die alle diese Aufgaben wahrnehmen, woher kommt die Kraft zu solchem Tun? Das ist allerdings die entscheidende Frage, entscheidend für unsere Kirche heute und vor allem für morgen. Das Wort tut es, sagten die Reformatoren, die Predigt des Evangeliums befreit den Menschen von der Bindung an sich selbst, öffnet den Blick für das kommende Reich Gottes und gibt Kraft zum sachgemäßen fantasievollen und liebevollen Dienst aneinander und an der Welt. Im Unterschied zur Reformation sind wir mit den anderen christlichen Kirchen in guter ökumenischer Gemeinschaft verbunden, wir machen vieles gemeinsam, wir schauen aufeinander und unterstützen einander in unserem Leben und Dienst. Für diese grundlegend veränderte Beziehung unter den Kirchen ist am Reformationstag besonders zu danken.

Christus schenkt die Freiheit zum Widerspruch, wo es um das Wohl der Menschen geht; und die Freiheit zur Versöhnung zum Heil der Welt. In dieser Freiheit möchten wir bestehen.