Gedanken für den Tag

22. bis 27. 10. 2001, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr

 

von Gernot Candolini

Lehrer und Labyrinthe-Bauer aus Innsbruck

 

 

22. 10.: Der Euro geht

Jetzt ist mir einfach einmal so der Gedanke gekommen:  Der EURO geht. Jetzt  kommt er einmal, aber er wird auch  wieder einmal gehen. Mein Großvater hat drei Währungs- 
Umstellungen erlebt. Von Heller auf Schilling, dann auf Mark  und wieder  auf Schilling.

Vielleicht bleibt der Euro ein bisschen länger aber ewig wird  er auch nicht bleiben. Geld ist nicht etwas das Bestand hat, auf lange Sicht gesehen oder gar auf ewige Sicht. 

Es gibt ein sehr berührendes Lied  von STS über den Großvater. Es ist eigentlich ein Lied  über  das, was im Leben wirklich zählt, ein Lied über die wahre Währung dieser Welt.

Es ist die Währung der Liebe, die zählt. Alles was man in  Liebe tut bleibt, alles andere vergeht.

Der Enkel erinnert sich an den Großvater. An das, was er  ihm hinterlassen hat. An die Schätze,  die er ihm vererbt hat.  Als erstes besingt der Enkel die Gabe zu verzeihen. Er hatte  ihm a paar  tausend Schilling g’fladert, zum Verputzen in der  Diskothek. Der Großvater sagt: Geld kann gar  nie so wichtig 
sein. 
Dieses Verzeihen des Großvaters wird zum kostbaren Erbstück. Dann besingt er die Gabe des Großvaters, dass er nicht alles 
was gesagt wird, hören muss. I hab sie gern, i muss nit alles  was sie sagt hören.

 

Oder wie er dem Russen gegenüberg’standen ist und zeigt,  dass man Angst nicht mit Gewalt überwinden muss. Was  bleibt vom Großvater im Herzen des Enkels? Alles was wichtig  war bleibt.

 

Geld hat keinen Bestand, es bekommt letztlich nur seinen  Sinn indem man damit etwas Gutes macht. Investitionen in  die Liebe, sind die einzigen die sich wirklich rentieren,  kein Zinsverlust, keine Verfall den Kurse, keine Entwertung,  kein Ablaufdatum.

 

Der EURO geht – die Liebe bleibt.

 

 

23. 10. : Mach’s doch richtig

Das Leben in unserer mitteleuropäischen Kultur ist oft  sehr streng aufgebaut auf dem Prinzip: Richtig ist gut, falsch  ist schlecht. Wer an einer Wegkreuzung eine falsche 
Entscheidung trifft,  macht einen unnötigen Umweg, er  verliert kostbare Zeit.
Und wer etwas Falsches macht  schämt sich und wünscht dass man diesen Fehler möglichst 
ungeschehen machen könnte und  weil das nicht geht, ihn  zumindest möglichst bald vergisst.
Auch unser Schulsystem beruht auf diesem Prinzip:  Es geht darum, so wenige Fehler wie  möglich zu machen. 

Im Heft bekommen die schweren Fehler zwei rote Striche,  die leichten  einen. Die Note ergibt sich meist aus der  Anzahl der gemachten Fehler. In der Schule wird  man neun oder zwölf Jahre gut darauf trainiert, alles richtig zu machen. Nichts ist wichtiger in der Schule, als immer möglichst nahe  an das Richtige heranzukommen - das der Lehrer vorgibt.

 

Ich frage mich aber ob die Frage nach Falsch oder Richtig  wirklich so wichtig ist? Ist nicht die Frage, ob ich stehe oder gehe viel wichtiger.  Wer aus seinen Fehlern lernt, also  weitergeht, für den wird  der sogenannte Fehler zu einer äußerst wichtigen Erfahrung. 
Fehler  zu machen ist nicht falsch. Ein Fehler ist keine Sackgasse  und schon gar keine verlorene Zeit.  Aus Fehlern nicht zu lernen, 
nicht weiterzugehen, stehenzubleiben, das sind die wirklichen Irrtümer  des Lebens.

 

Wer innerlich unterwegs bleibt, wer aus den Wendungen die  das Leben nimmt lernt, für den  verwandeln sich Fehler nicht  in unnütze, vergeudete Zeit: sie werden zu kostbaren Wegstrecken.  Wunden werden zu Orten der Heilung, Krisen führen zur Lebenskraft  und Irrtümer zur Weisheit.

Ich bin sehr skeptisch geworden gegenüber dem Satz:  "Mach‘s doch richtig".

 

Das Leben ist für mich eine Einladung in ein Grundvertrauen.  In das Vertrauen, dass ich einen  guten Weg gegangen bin  und gehe. Ich glaube an einen Weg, den ich so gehen muss,  wie ich  ihn gehe und dass Fehler auf diesem Weg etwas sehr  gutes sind, wenn ich nicht stur auf meinen Fehlern sitzen bleibe, 
sondern bereit bin weiterzugehen.

 

 

24. 10. : Grundvertrauen

Manchmal laufen die Dinge wie von alleine. Eines greift ins andere und ich brauche gar nicht  viel tun, es geschieht  einfach. In solchen Situationen entsteht in mir ein Vertrauen,  dass die  Dinge schon richtig laufen so wie laufen, das mein  Leben schon so in Ordnung ist wie es läuft. In solchen Situationen höre ich sogar auf, mich über Sachen  zu ärgern, die ich nicht erwartet  habe, weil ich mir sage:  Es passiert genau das, was passieren muss, und wenn jetzt hier ein  Nein ist, dann ist eben der andere Weg der bessere.

Es ist etwas sehr schönes, wenn ich mich dem Weg ganz  anvertrauen kann. Wie ein Fluss  seinem Bett. Auch der Fluss 
macht Umwege. Nie ist er wirklich gerade.

Faszinierend ist das Wasser in seinem unbeirrten  Anschmiegen an den Weg. Trotzdem ist es gleichzeitig  erfüllt von der unbändigen Energie, vorwärts zu kommen. 
Kein Stein, kein  Brückenpfeiler, nicht einmal ein Damm  ist ein Hindernis. Es weicht aus, verliert aber keinen  Augenblick  lang seine ganze Kraft nach vorne. Und wenn es sich eindreht  in eine Bucht oder  einen Strudel, scheint das eine selbstverständliche 
Pause, eine willkommene Rast zu sein.  

Das Wasser gibt sich  seinem Weg vollkommen hin.
Dieses Vertrauen würde ich gerne immer haben.

Aber in der Regel gelingt es mir nicht, dieses gelassene Vertrauen  lange durchzuhalten.  Irgendwann schnappe ich in zurück in einer 
andere Haltung. Steuern, tun, mehr tun, die Dinge erzwingen, Einfluss geltend machen, manipulieren, managen, sich verkaufen. Wer das  gut kann  wird Erfolg haben. So habe ich es gelernt, und plötzlich  renne ich wieder in meinem Laufrad.

Aber ich hoffe, dass die Zeiten dieses inneren Vertrauens immer  länger und intensiver werden. Vielleicht habe ich mir auch deshalb das Labyrinth zu meinem  Lieblingsthema gemacht, das  Pilgern nach Santiago zu meinem  größten Traum und den Bibelspruch: "Trachtet zuerst nach  Gottes Reich, so wird euch das andere zufallen" zu meinem  Leitvers. Vertrauen in das Leben, Vertrauen in meinen Weg,  Vertrauen in Gott. Vom Wasser kann man viel lernen.

 

 

25. 10.: Die Grenzen der Worte

Ich war vor einigen Wochen in Chartres. In dieser kleinen Stadt in Frankreich steht eine der  schönsten gotischen Kathedralen der Welt.  Mich hat fasziniert wie sehr die Baumeister  versucht haben in  Symbolen und Bildern das Wissen der Zeit und den Glauben auszudrücken.

Heute drücken wir uns hauptsächlich über Worte aus, aber  damals in der Zeit vor dem Buchdruck, waren die Symbole  viel wichtiger.
Ich gehe in die Kathedrale hinein und finde ein 
am Boden ausgelegtes Muster, ein Labyrinth, das man abgehen  kann. Es ist rund, und es ist ein Weg ohne Abzweigungen der in  28 Kehren zur Mitte führt. Die Mitte ist in Form einer Rose gestaltet.

Die Mitte ist gleich weit von der Eingangstüre entfernt wie die  Mitte der Westrosette über der Eingangstüre hoch ist, und die  Westrosette ist genau gleich groß wie das Labyrinth. Wenn  man sie herunterklappt, würde Labyrinth und Westrosette  genau zur Deckung kommen.  

Das Labyrinth ist die Darstellung des menschlichen Lebensweges,  in der Westrosette ist die Auferstehung dargestellt. Leben und  Auferstehung gehören zusammen, auch wenn Sie durch eine Dimension getrennt sind. Nur das Licht überwindet die Dimension 
und wirft die bunten Fenster der Westrosette auf das Labyrinth,  und damit die Ahnung der Auferstehung in unser Leben hinein.
 

Ich möchte so vieles mit dem Verstand erfassen und auch  wenn er ein guter Helfer ist, das Leben zu verstehen, er begreift doch nicht alles. Die Intuition, mein Herz, die innere Stimme beginnt mit mir  zu sprechen und ich bin ein wenig überrascht wie kompetent und überzeugt sie sind.


Die Auferstehung mit dem Verstand zu erklären, kann ich nicht,  aber wenn ich in Chartres am Labyrinth stehe und das Licht 
der Rosette am Boden aufleuchtet, dann weiß ich etwas, was  ich mit Worten nicht erklären kann.
Früher habe ich mir gedacht: Was man nicht erklären kann,  kann man auch nicht glauben. Heute weiß ich, dass ich vieles glauben kann, weil mein Herz  es weiß und meine Intuition auch.

 

 

27. 10.: Ganz sicher

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Möglichst vieles  im Leben sollte möglichst sicher sein. Möglichst vieles soll eingebettet  sein in ein sichereres System von Gewohnheiten. Wenn etwas Neues  kommt dann ist man vorsichtig, weil es die Ordnung verändert. Da hört  man dann gerne, wenn jemand sagt: Nur keine Sorge, das ist ganz 
etwas Sicheres.


Das Leben ist aber nun einmal gekennzeichnet von vielen Wendungen,  gewollten und ungewollten, geplanten und manchmal trifft einen das  Schicksal auch mitten auf einer geraden Strasse und zwingt einem  eine völlig ungeplante Wendung auf.

 

Das Leben ist unsicher.

 

Tief in unserer Seele verwurzelt ist der Wunsch, die Ziele klar im  Blick zu haben, die Dinge im Griff zu haben, die Kontrolle zu behalten,  zu wissen: das ist sicher - absolut sicher. Wie viele Menschen haben  diese letzten beiden Worte schon in den Mund genommen. Techniker,  Staatschefs, Ehemänner, Wissenschaftler.

Ich erinnere mich an eine Schultafel über Atomenergie aus den siebziger  Jahren, auf der stand: Die Atomenergie ist die sicherste Energiegewinnung,  die es gibt, ein Unfall ist so unwahrscheinlich, dass er praktisch 
auszuschließen ist.

Egal um was es geht, ob um Atom- oder Gentechnik, um die Beziehungen,  in denen wir leben, oder den Weg, den wir gehen, das Leben ist zerbrechlich,  die Seele unruhig und selbst der sich so verlässlich um die Sonne drehende  Planet Erde ist verwundbar.


Das Leben entlässt niemanden für lange Zeit aus den unsicheren  Randerfahrungen des Lebens. Krankheit, Unfall, Tod, ein zusammen
-brechendes Lebenswerk, ein sich auflösender Traum – wir alle kommen nicht daran vorbei.

Ich habe an sich auch nichts gegen Atom- Energie und Gentechnik, wenn  man ehrlich dazusagt, dass sie verdammt unsicher sind.  


Ich habe auch  nichts gegen die dunklen Seiten des Lebens, denn sie lehren uns die 
wirklich wichtigen Dinge in den Blick zu bekommen.
Und als Christ vertraue ich darauf, dass ich auch in unsichersten Zeiten  ein Gehaltener bin. Aber denen die sagen: Es ist sicher ganz sicher,  denen vertraue ich nicht.