Gedanken für den Tag
19. bis 24. 11. 2001, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr
Gedanken zum Ramadan
von Mag. Jamel Ben Abdeljelil
Montag, 19. November 2001
Für uns Muslime hat
der wichtigste Monat begonnen, der Fastenmonat Ramadan. In diesem
Monat begann die Offenbarung an Muhammad. Das Fasten ist einer der 5
Glaubens-Grundpfeiler des Islam, deshalb ist die Einhaltung des
Fastenmonats Ramadan ein wichtiges Gebot für jeden Muslim. Von der
Dämmerung bis zum Sonnenuntergang darf an 30 Tagen nicht gegessen,
getrunken und geraucht werden. Verboten sind weiterhin die
körperliche Liebe wie auch Medikamente; es darf nicht geflucht und
gestritten werden. Kinder, Kranke, Schwangere, menstruierende
Frauen, sehr alte Menschen und Reisende über lange Strecken
brauchen laut Koran nicht zu fasten. Ramadan ist der neunte Monat
des Mondkalenders. Als Mondmonat wandert Ramadan durch die
Jahreszeiten und verschiebt sich alljährlich um 11-12 Tage. Im
neunten Mondmonat hat einst laut islamischer Überlieferung der
Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed die 114 Suren des Korans
geoffenbart. In dieser Zeit war er weit entfernt von anderen
Einflüssen. Deshalb geht es im Ramadan nicht um die Züchtigung des
Fleisches, vielmehr soll das Fasten - wie das Gebet auch - den
Gläubigen Gott näher bringen und ihn an ein geistiges Leben
jenseits des durch körperliche Gelüste beherrschten Lebens
erinnern. Das Fasten dient der körperlichen Reinigung, der
Besinnung auf Gott, aber auch dem Empfinden von Solidarität mit den
Menschen, die auch außerhalb der Fastenzeit nicht genug zu essen
haben. Aus diesem Grunde zahlt am Ende des Ramadan jeder Muslim eine
Abgabe an Bedürftige.
"Ramadan karim", der
Ramadan ist großzügig, begrüßen sich die Muslime während des
Fastenmonats.
Dienstag, 20. November 2001
Der Fastenmonat Ramadan ist bei
den Muslimen sowohl ein gesellschaftliches Erlebnis als auch eine
individuelle Erfahrung. Das religiöse Gebot einen Monaten lang zu
fasten, vom Morgendämmerung bis Sonnenuntergang auf Essen, Trinken
und andere Genüsse zu verzichten, wird von vielen Muslimen eine
Gelegenheit empfunden, sich als eine Einheit in der Praxis zu
fühlen. Alle Muslime, besonders die in den islamischen Ländern
leben, aber auch viele, die in der Diaspora sind, erleben in diesem
Monat eine besondere Umstellung ihrer Lebensweise im Alltag. Die
Medien: die Zeitungen, die Radios aber besonders die zahlreichen
Fernsehsender über Satteliten machen diese Umstellung sichtbarer.
Spezielle Unterhaltungsprogramme am Abend, aber auch ein besonderes
intensives Angebot zu spezifisch islamischen Themen werden
präsentiert. Die Umstellung ist zu Hause bei den Familien nicht zu
übersehen, das Fastenbrechen Iftar (Z B i s G ) bei
Sonnenuntergang. Was sonst in den anderen Monaten das normale
Abendessen ist, wird im Ramadan einen Monaten lang zum speziellen
Ereignis, zu einem fast zeremoniellen familiären Abendmahl. Die
Hektik und die Nervosität bei der Vorbereitung des Essens ist mit
einem Hauch von geheimnisvollem Genuss begleitet. Es wird zu einem
Ritual und hat in der Regel mehrere Gänge, die für Ramadan
spezielle Kochkünste erfordern. Bei dem ersten Wasserschluck und
der ersten Dattel nach dem langen Fastenstag lässt sich ein
gewisses Erfolgsgefühl mit einer Erleichterung erleben. Dieses
Gefühl kollektiv, sei es in der Familie oder in der Moschee, aber
auch auf den Strassen zu erleben, vermittelt Gefühle der
Sicherheit, der Solidarität, der Einheit und der Zugehörigkeit.
Mittwoch, 21. November 2001
In vielen arabischen und
islamischen Städten, in Fes, in Kairawan aber auch in großen
Metropolen wie Kairo oder Istanbul ist Ramadan mit dessen besonderen
Stimmung nicht zu übersehen. Nur einige Minuten kurz vor dem
Sonnenuntergang, werden viele der lebhaften Strassen menschenleer,
andere Strassen besonders in populären Vierteln in Kairo, z.B. jene
die normalerweise für den Verkehr und Fußgänger bestimmt sind,
werden zu offenen Ess-Strassen. Wer völlig mittellos ist, freut
sich über die Straßentische, auf denen wohlhabende Privatleute zum
"Iftar" gleich an mehrere tausend Menschen kostenlos
Fleisch, Gemüse und Reis verteilen. Ramadan ist eine Zeit der
Solidarität. Man lernt das Leid der Armen nachzuempfinden. Kinder
freuen sich aber besonders im Ramadan. Mit Fanous, kleinen bunte
Plastiklaternen in der Hand ziehen sie singend durch die Straßen,
um Geld und Geschenke einzusammeln. Bunte Lichter und geschmückte
Laternen, die den Ramadan Nächten ein weiteres Flair verleihen,
laden die Menschen nach dem Fastenbrechen und dem oft schweren
Abendmahl zum Ausgehen ein. Das Nachtleben im Ramadan ist genau so
bunt wie die Lichter und Laternen. Viele Geschäfte machen auf und
ziehen Kunden an, die Kaffeehäuser mit dem duftenden Grünentee und
den Wasserpfeife haben auch ihre Clientelle. Moscheen sind im
Ramadan oft überfüllt, Gebete und Koran lesen in den Moscheen
gehören zu dem Bild vieler arabischer und muslimischer Städte im
Ramadan. Die Tradition und die religiösen Rituale vermischen sich
und werden schwer trennbar. Die Ritualität verleiht dem
Alltagsrhythmus einen Flair der Religiosität, der Islam als
Volksreligion wird im Ramadan noch sichtbarer, und bildet eine
Bindung, die in diesem Monat stärker wirkt.
Donnerstag, 22. November 2001
Jedes
Jahr freuen sich die Muslime auf den Monat des Fastens: den Ramadan.
Es ist auch der Monat im Jahr, in dem sich über eine Milliarde
Menschen weltweit bewusst werden, dass sie durch eine einheitliche
Lebenspraxis miteinander verbunden sind. Der Ramadan ist deswegen
auch ein Monat der Solidarität, in dem Muslimen in Not auf der
ganzen Welt solidarisch geholfen wird. Im Ramadan sind alle Muslime,
jenseits kultureller oder nationaler Trennlinien besonders
miteinander verbunden. Der Beginn des Ramadan erfolgt in tiefer
Harmonie aller Menschen mit den Abläufen im Kosmos. Der
Ramadan ist der Monat der Geduld. Der Ramadan ist der Monat der
Versöhnung, er ist der Monat, dessen Beginn Barmherzigkeit, dessen
Mitte Vergebung und dessen Ende Selbstbefreiung ist.
Viele Muslims betrachten den
Ramadan außerdem als eine Art göttlicher Selbsthingabe. Das
wochenlange Fasten bedeutet für jeden eine große Anstrengung. Von
einem bekennenden Moslem fordert der Ramadan einen starken Willen
und eine große Portion Durchhaltevermögen. Das Fasten und die
intensivere Auseinandersetzung mit dem Islam können
erfahrungsgemäß die Ehrfurcht vor Gott steigern. Das ist mit ein
Grund dafür, weshalb Moslems sich oft vornehmen, von
"Irrwegen" abzukommen. Meist beziehen sich diese Vorsätze
auf den Islam und darauf, seine Gebote konsequenter zu befolgen. Dem
nicht genug, der Fastenmonat ist auch die Zeit der Versöhnung und
der Hilfe. Moslems sind nach der dritten Säule des Islam dazu
aufgefordert, Almosen zu spenden. Während und nach Ende des Ramadan
ist die Bereitschaft zu Spenden zu Gunsten von Hilfseinrichtungen
und anderen gemeinnützigen Organisationen erstaunlich groß.
Ramadan, die Zeit der Versöhnung
und Barmherzigkeit verstärkt das Gemeinschaftsgefühl, aber auch
die menschlichen Seiten der Gemeinschaft.
Freitag, 23. November 2001
Fasten im Ramadan ist sowohl eine
kollektive als auch eine individuelle Erfahrung. Der Verzicht auf
Trinken und Essen über den ganzen Tag ist in erster Linie ein
individuelles Engagement und eine persönliche Verantwortung, die
der Intimität der Einzelnen gehören.
Das Fasten lehrt den Menschen
Geduld und Selbstlosigkeit. Denn auch wenn ihn der Hunger quält, so
erträgt er die Pein und hält dennoch aus. Dadurch erkennt er erst
den tatsächlichen Schmerz anderer, die diesen Zustand durch Not
erzwungen, vielleicht sogar über Monate hinweg zu ertragen haben
und wird von nun an ein menschliches, soziales Mitgefühl
entwickeln, welches ihn zu rascher und selbstloser Hilfe für andere
in Wahrheit erst befähig. Fasten bewirkt für den Menschen eine
transzendente Seele, mit der Befähigung, sich zu Gott zu erheben,
einen klaren, erkennenden Verstand und einen leicht zu bewegenden
Körper.
Sein Gewissen wird ehrlich und zur
Wahrhaftigkeit erzogen, denn sein Fasten hält er sowohl in der
Öffentlichkeit als auch im Geheimen. Nichts ist als Wächter über
seine Aufrichtigkeit gesetzt, als sein eigener Wille zur Ehrlichkeit
und Ergebenheit. Dadurch lernt er Disziplin und sein Selbst über
die leidenschaftlichen Begierden zu stellen und entwickelt sich zu
einer, durch den eigenen Willen selbstbestimmten Persönlichkeit.
Das Fasten befähigt den Menschen zu einer großen Unabhängigkeit
und reifen Anpassungsfähigkeit, denn das Fasten bringt einen neuen
Lebensrhythmus mit sich, da die gewohnten Unterbrechungen bedingt
durch die Nahrungsaufnahme entfallen und er wird dadurch veranlasst,
diese gewonnenen Zeiträume, befriedigend auszufüllen. Den Ablauf
der Zeit aber auch das eigene individuelle Leben bewusst in den
Einzelheiten wahrzunehmen, die eigenen Schwächen aber auch das
Durchhaltungsvermögen zu erleben, wird durch die Enthaltsamkeit und
das Fasten noch stärker.
Samstag, 24. November 2001
Islamisches Fasten lehrt den
Muslim das Prinzip der aufrichtigen Liebe, denn wenn er fastet, dann
tut er dies aus reiner Liebe zu Gott. Allah sagt: Der Fastende
stellt Meinetwegen sein Essen und sein Trinken ein und bezwingt
seine Begierden. Das Fasten ist MIR gewidmet und ICH belohne es
entsprechend; und jede gute Tat wird gleichermaßen zehnfach
belohnt. Natürlich erfüllt das Fasten einen bestimmten
gesundheitlichen Zweck, da der Bauch und das Verdauungssystem
entlastet und entgiftet werden. Es bewirkt überdies einen echten
und wahrhaften Geist der sozialen Anteilnahme, Einheit,
Brüderlichkeit und Gleichheit vor Gott, wie vor dem Gesetz. Die
Tatsache zu fühlen und zu wissen, dass man mit der gesamten
Gemeinschaft der Muslime zur gleichen Zeit die selbe Pflicht
erfüllt, bewirkt dieses unzerstörbare Gefühl der
Zusammengehörigkeit und Zuneigung.
Somit kann das Fasten ein Rezept
sein zur Selbstabsicherung und Selbstkontrolle, um die menschliche
Würde und Freiheit, den Sieg und den Frieden zu bewahren. Wenn der
Mensch in der rechten Art fastet, übt er selbst die Kontrolle über
sich und seine Leidenschaften aus, diszipliniert seine Begierden und
widersteht schlechten Anfechtungen. Durch diese Haltung befindet er
sich in der Lage, sich aus eigenem Vermögen wieder ins
Gleichgewicht zu bringen, seine Würde und Integrität wieder
herzustellen und Freiheit aus der Fessel des Schlechten, des Bösen
zu erlangen. Nachdem er all dies erlangt hat, hat er seinen inneren
Frieden hergestellt, welcher die Voraussetzung für den
immerwährenden Frieden mit Gott ist und daraus in konsequenter
Weise resultierend, Friede mit der gesamten Schöpfung.
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