Gedanken für den Tag

10. bis 12. 12. 2001, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr

 

 

Von und über das Ende einer Ewigkeit

 

von Friedrich Ch. Zauner

 

Montag, 10. 12. 2001

"Verrückter hätte dieses Jahrhundert gar nicht anfangen können. Den ganzen Dezember über ist das Wetter regnerisch und eher mild gewesen, kaum zwei-, dreimal, dass die Hänge und Kuppen in der Früh weiß von Raureif geschimmert haben, plötzlich am alten Tag im Jahr beginnt es heftig zu schneien, die Wolken hängen tief über dem Berg und schieben sich nach hinten ins Fegfeuer, ein paar Stunden später nur ist das ganze Gebiet eine einzige Schneewüste. Ausgerechnet jetzt herrscht beim Wirt im Tal helle Aufregung, denn Anna, die Jungwirtin, ist wieder auf der Zeit, es kann nicht mehr lange dauern, und die Wehen werden einsetzen."

 

Das sind die ersten paar Zeilen von nachfolgend 1000 Seiten meiner Romantetralogie, der ich einen vielleicht widersprüchlichen Titel gegeben habe: "Das Ende der Ewigkeit".

 

Aber - Ewigkeiten sind in der Menschheitsgeschichte schon etliche Mal zu Ende gegangen, Kulturen, die für unübertreffbar gehalten wurden, wie die ägyptische - Reiche, die als unbesiegbar galten, wie jenes der Maya, - Religionen, die die Welträtsel endgültig gelöst zu haben vorgegeben hatten.

 

Es ist ausgerechnet der Advent, der einem solche – vielleicht auch düstere - Gedanken nahe legen kann, denn vor zweitausend Jahren ging schließlich auch eine Ewigkeit zu Ende, die aus griechischem Geist gebaut und vom staatsmännischen Talent der Römer getragen, guten Glaubens als eine für alle Zeiten etablierte erscheinen konnte.

 

Den Niedergang brachten dann aber nicht die mörderischen Intrigen, die sich um die Herrschaft des Römischen Reiches entspannen, nicht wirklich der sittliche und moralische Verfall der Menschen, das Ende wurde eingeläutet weit weg von den Zentren Athen oder Rom in einem weltvergessenen Nest namens Bethlehem, wohin der Zimmermann Josef mit seiner hochschwangern Frau einer Volkszählung wegen zu reisen gezwungen gewesen war.

 

Wie könnte eine Ewigkeit vor zweitausend, vor hundert Jahren oder gestern besser enden - als mit der Erwartung auf neues Leben.

 

 

Dienstag, 11. 12. 2001

Adventus, das bedeutet im Wortsinn Ankunft, Erwartung, Eintreffen, ist aber immer auch eng verknüpft, hat denselben lateinischen Wortstamm wie der Anmarsch der Truppen. Ist also behaftet auch mit Ängsten und mit Unsicherheiten vor einem bevorstehenden, noch unbekannten Ereignis.

 

Es mag die Angst vor einer Hölle gewesen sein, die dem mittelalterlichen Menschen einen irrealen Grusel verschafft hatte. Nachdem mit dem Übergang zur Neuzeit die Bedrohung durch ewige Höllenfeuer an Schrecken zu verlieren begonnen haben, sind andere Signale gekommen, ähnlich erschreckende, in denen die Zukunftsängste Bild und damit für Menschen sinnlich erfahrbar wurden. Die kruden Prophezeiungen eines Nostradamus tauchen auch heute noch regelmäßig in immer neuen Deutungen auf, und ob die Furcht vor Ufos oder intergalaktischen Invasionen sehr viel intelligentere Versionen alter Mythen sind, darf mit Fug angezweifelt werden.

 

In meinem Roman "Das Ende der Ewigkeit" stehen das Dorf und seine Bewohner im Zentrum der Betrachter, die letzten Abendländer wahrscheinlich, die noch in einer geschlossen von Religion bestimmten Welt zu leben gewohnt waren. Aber auch ihr Weltbild begann zunehmend materialistisch zu werden, ihre Ängste versuchten sie aber weiterhin auf der Basis ihrer alten Gottgläubigkeit zu bewältigen:

 

Der Halley’sche Komet, der eines Tages mit der Erde zusammenstoßen und sie vernichten würde, geisterte als Angstvision in regelmäßigen Abständen durch die Köpfe der Menschen damals. Eigentlich hätte er Anfang 1890, erscheinen sollen. Damals war weltweit zum Gebet aufgerufen worden. Vielleicht - glaubten die Menschen! - dass man ihn dadurch noch einmal hatte abhalten können, und dass er dafür zehn Jahre später komme, zur Jahrhundertwende, nachdem das Beten doch schon erheblich nachgelassen hatte...

 

 

Mittwoch, 12. 12. 2001

Es ist kaum ein, zwei Generationen her, dass der Advent zu einem Hinwarten auf sündteure und oft sinnlose Geschenke verkommen ist. Noch in meiner Jugend hatte im Innviertel, in meiner Heimat, ein Pferd, das Goldene Rössel, die Aufgabe der Bescherung zu übernehmen.

 

Freilich wussten auch wir bereits, dass in der Stadt andere Bräuche herrschten. Stadtleute wurden von einem Christkind beschert, sogar die Erwachsenen, hieß es. Es bringe teure Geschenke mit, Duftwässer den Damen, Hemden oder seidene Selbstbinder den Herren und den Kindern Spielsachen, von denen man sich im Dorf keine Vorstellung machen konnte. Mädchen bekämen Puppen, die echter aussähen als wirkliche Menschen, Buben solche kleinen Automobile, die wie Taschenuhren aufzuziehen waren und, losgelassen, selbsttätig im Kreis herumsausten. In der Stadt stellten sie Bäume in die Stuben.

 

Auf dem Dorf hielt man sich damals weiterhin an überlieferte Bräuche. Am 4. Dezember, dem Fest der Heiligen Barbara, pflückte man die Barbarazweige. Fingen sie zeitgerecht zu blühen an, bedeuteten sie Glück in der Wirtschaft oder dass eine Hochzeit ins Haus stünde. Am Abend des Weihnachtstages räucherte man Haus und Ställe aus, die Mettenkerze wurde angezündet. Auf keinen Fall durfte in der Nacht Wäsche auf Leinen hängen bleiben, böse Geister würden sich verfangen und ihren Spuk darin treiben. Vor dem Mettengang musste der Tisch sauber abgeräumt, musste die Tischplatte geschrubbt werden, nichts durfte darauf liegen- und stehen bleiben, nicht einmal leeres Geschirr. Kinder bekamen Selbstgestricktes geschenkt, Strümpfe, Fäustlinge, eine neue Pudelhaube, Erwachsene gar nichts.

 

Das war zu einer Zeit noch ehe dem Dorf das Ende seiner Ewigkeit eingeläutet worden war, aber es liegt - man möchte es nicht glauben - nur ein oder zwei Generationen zurück.

 

 

Donnerstag, 13. 12. 2001

Donnerstag, 13. Dezember 2001. Vielen Menschen verdirbt ein Datum den ganzen Tag.

 

Im alten Dorfe, dem ich in meinem Roman "Das Ende der Ewigkeit" einen Nachruf verfasse, war der Dezember abgefüllt mit gruseligen und deftigen Raunächten. Im Grunde handelt es sich dabei um ungründiges, heidnisches Brauchtum, das auch eine zweitausendjährige Christianisierung nie völlig aus dem Gedächtnis der Bevölkerung hatte löschen können. Die Männer schnitzten oder besorgten sich furchterregende Masken, mit Fratzengesichtern, schiefen Mäulern, vorstehenden Kebbelzähnen, Warzen oder Rotzglocken an den Nasen, triefenden Augen, Stirnhöckern... je abscheulicher, desto lieber. Den abstrusesten Phantasien waren keine Grenzen gesetzt. Mit Einbruch der Dunkelheit formierten sich an den bestimmten Tagen die Gruppen, zogen von Haus zu Haus, lärmten, grölten, vollführten Bocksprünge, knallten die Peitschen, schepperten mit Kuhketten und Rasseln, jagten Schulbuben kalte Schauer über die Rücken, brachten kleine Mädchen zum Weinen, größere zum Kreischen, weil sie diese in ihre Mitte zu kriegen versuchten, um ihnen dann im Gerangel an die Brüste und zwischen die Schenkel zu fahren. Noch größeren Spaß bereitete es freilich, wenn Flaumbärte, die der Hafer stach, den Respekt verweigern, sich vielleicht sogar unterstanden, einem der Maskierten die Larve vom Gesicht zu reißen, um aller Welt zu zeigen, wer sich dahinter verbarg.

 

Aberglaube, gewiss. Den Alten ist er zum Brauchtum geworden, zu einem Ereignis, in das die ganze Gemeinde einbezogen war. Heute fürchtet man sich vor einem 13., vor schwarzen Katzen, die den Weg kreuzen, geht nicht unter angelehnten Leitern durch, denn im Gegensatz zum Wir-Aberglauben der alten Dorfwelt kultiviert man heute einen reinen Ich-Aberglauben.

 

Freitag, 14. 12. 2001

"Wenn die Turmuhr der Thaler Kirche zunächst mit vier hellen, dann mit zwölf dumpfen Schlägen das neue Jahrhundert einläutet, liegen die Leute ringsum längst in ihren Betten und schlafen, aber keiner hat sich hingelegt, ohne ein mulmiges Gefühl, ohne eine bestimmte Bangigkeit vor dem beginnenden Jahrhundert..."

 

So beginnt das 20. Jahrhundert für die Menschen jener dörflichen Welt, die ich in meinem Roman "Das Ende der Ewigkeit" zum Thema gemacht habe. Und in der Tat, es wird eine aufregende Epoche für sie, denn sie sind noch in eine archaische, festgefügte, scheinbar für die Ewigkeit bestimmte bäuerliche Ordnung des alten Österreich-Ungarn hineingeboren und haben im Verlaufe ihrer kleinen Lebensspanne nicht nur dessen Zerfall am eigenen Leib erfahren. Sie, die dafür erzogen worden waren, ihren dörflichen Raum ein Leben lang nicht zu verlassen, haben an Weltkriegen gelitten, haben vom Abwurf der ersten Atombombe zu wissen bekommen, den ersten Schritt eines Menschen auf den Mond im Fernsehen live mitverfolgt. Sie haben sich diesen Änderungen Schritt für Schritt entlanggefürchtet und vollauf damit zu tun gehabt, ihre eigene karge Existenz und die ihrer Kinder und Kindeskinder zu sichern.

 

Wir leben im 21. Jahrhundert - immer noch mitten in einem aufregenden, unüberschaubar gewaltigen Zeitenwandel. Die alte Ewigkeit ist zu Ende, endgültig, wir sind ins Nuklearzeitalter eingetreten, haben Möglichkeiten zur Verfügung, von denen man vor einer Generation nicht einmal den Funken einer Ahnung hatte. Aber, Hand aufs Herz, könnte einen nicht auch heute oft genug und nicht sehr viel anders als die Bauern beim Schlag der Turmuhr ihrer Kirche ein "mulmiges Gefühl und eine bestimmte Bangigkeit" überkommen vor dem, was wir am Ende der Strecke zu erwarten haben?

 

 

Samstag, 15. 12. 2001

Advent bedeutet ein Warten auf etwas, das kommt, auf etwas, das neu beginnt, also schließt es notgedrungen mit ein, dass gleichzeitig etwas anderes aufhört. Sei’s das Jahr, das sich dem Ende zuneigt, sei’s der Kreislauf der Natur, der sich auf einen Neubeginn im Frühling vorbereitet, sei’s eine Melancholie, die in Hoffnung münden möchte.

 

Meine Romantetralogie "Das Ende der Ewigkeit" wird erstaunlich gern von Jungen und sehr Jungen gelesen und das trotz der 1000 Seiten Umfang. Vielleicht weil die neue Generation sich schon bewusster in jenem Umbruch empfindet, der der gewaltigste ist seit dem 15. Jahrhundert.

 

1492 hat Kolumbus die Welt zur Kugel gemacht - am 20. Juli 1969 ist von Neil Armstrong eine Entdeckungsreise eingeleitet worden, von der heute noch niemand sagen kann, zu welchem ‚Amerika’ sie führen wird. Gutenberg hat mit dem Buchdruck das Wissen allgemein zugänglich gemacht - die neuen Medien Rundfunk, Fernsehen, Internet lassen jedermann live mit am Weltgeschehen teilnehmen. Mit der Erfindung des Schießpulvers war die Zeit der Ritter zu Ende - heute im Nuklearzeitalter sind traditionelle Kriege unführbar geworden. Aufgehört hat das Schlachten, Morden, Töten, Hassen deshalb freilich keineswegs, geändert haben sich lediglich die Strategien.

 

In meinem Roman gibt es eine Figur, die Vev, eine Dorfhexe. Sie hat an dessen Beginn dem Zwanzigsten Jahrhundert die Karten gelegt, was dabei offenbar geworden war, "nix Gutes ist’s nicht gewesen".

 

Hundert Jahre später sind wir in diesem Punkt klüger, der Schritt in eine nächste Epoche ist gesetzt und kann nicht mehr zurückgenommen werden. Wenn am Ende dieser Entwicklung etwas Gutes - Besseres herauskommen soll, so liegt das sicher nicht an den Karten, sondern an uns selbst.