Gedanken für den Tag

24. bis 29. 12. 2001, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr

mit Kardinal Dr. Franz König

 

 

24. Dezember, Heiliger Abend:

 

Wenn ich heute, am 24. Dezember, zurückblicke auf viele Jahre meines langen Lebens, so wundere ich mich noch immer, wie in meinen Kinderjahren, über den Zauber, der überall mit diesem Tag verbunden ist. Auch jene unter uns, denen die Botschaft von Weihnachten nicht mehr viel sagt, können sich der Stimmung dieses Festes kaum entziehen. Bedeutet nicht auch das Bedürfnis, Geschenke zu machen, im letzten, ein Zeichen der Zuneigung und der Wertschätzung des anderen zu setzen?

 

Ich wundere mich auch, dass dieser Tag bereits am Morgen als "Heiliger Abend" bezeichnet wird. Jeder spürt - mit Sehnsucht oder Skepsis - dass ein Geheimnis diesen Tag hell macht, an dem man nicht gleichgültig vorübergehen kann: Nach dem Bericht der Bibel und der Geschichte bietet Gott selbst den Menschen sein Geschenk an: durch die Geburt Christi den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit zu erkennen, der einmündet in die Geborgenheit des Friedens und der Liebe Gottes, in einer Welt, wo der Hass und das Böse so viel zerstört.

Diesen Gedanken der Weihnacht hat auch der ORF seit Jahren aufgegriffen. So wird heute vormittags wieder eine Kerze angezündet, um als "Licht in der Dunkelheit" unserer Welt und Zeit Hoffnung und Zuversicht zu wecken. Und der ganze Heilige Abend, bis spät in die Nacht, soll so mithelfen, das Dunkel seelischer und körperlicher Not in unserem Lande durch wohl vorbereitete Projekte zu erhellen. Ich freue mich über die positive Reaktion bei so vielen in unserem Lande. Besonders rühren mich die vielen kleinen Spenden, die zum großen gemeinsamen Zeichen werden: das heißt, alle wollen mithelfen, dass das Dunkel der Not und Bedrängnis nicht stärker wird als das Licht der Solidarität.

 

Damit wünsche ich Ihnen allen, die Sie nun die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest treffen: Vergessen Sie nicht auf das, was Weihnachten wirklich bedeutet: Gott hat in Christus Menschengestalt angenommen - aber er kam nicht als Herrscher, er kam als hilfloses Kind. Vielleicht sollte gerade dadurch unsere verborgene Sehnsucht geweckt werden: so einfach, so vertrauensvoll, so ganz ohne Vorurteile, so liebevoll zu werden wie die Kinder.

Damit wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen eine gesegnete Weihnacht!

 

 

27. Dezember:

 

Die beiden Weihnachtstage sind vorüber und heute gedenken wir anhand des liturgischen Kalenders der Kirche des hl. Johannes - nicht des Täufers, sondern des Apostels und Evangelisten. Von ihm stammt das vierte Evangelium, das getragen ist von der ganz persönlichen Verbindung dieses Apostels mit Jesus. Für ihn ist die Person Jesu verbunden mit dem Licht, das die Finsternis erhellt - so lesen wir bei ihm gleich zu Beginn: "Das Licht leuchtet in die Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst ... das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt".

 

Woran denken wir, wenn wir das Wort "Licht" hören? Licht erinnert uns an Wärme, Geborgenheit, Freude und Zuversicht. Vielen von uns, nicht nur Kindern, ist es schon einmal passiert: Man geht in einem dunklen Wald und fühlt sich unbehaglich und verängstigt. Und wenn dann in der Ferne ein Licht auftaucht, aus dem Fester einer kleinen Hütte, dann verflüchtigt sich die Angst.

Das Licht vertreibt die Dunkelheit. In der Bibel ist das Kommen Jesu immer mit Licht und Helligkeit verbunden. Dieses Bild der Bibel ist sehr treffend gewählt: Christus, das Licht, so hören wir es auch in der Osternacht. Es ist eine Einladung, die Augen zu öffnen und ihm voll Zuversicht zu folgen.

 

Die weihnachtlichen Festtage sind vorüber. Die Geschenke sind ausgepackt, die Zeit der weihnachtlichen Besuche im Verwandten- und Freundeskreis hat begonnen. Dazu möchte ich Ihnen aber noch die Frage stellen: Was bleibt von Weihnachten? War "Ihr" Weihnachten mehr als nur Brauchtum und Tradition? Für mich bedeutet Weihnachten die lebendige Erinnerung an einen Wendepunkt der Weltgeschichte: was sich vor 2000 Jahren, zur Zeit des Kaisers Augustus im Bereich des mächtigen Römerreiches, in Bethlehem, als eine unbedeutende Episode ereignet hat, hat unsere Welt für immer verändert, bewegt und provoziert - heute vielleicht noch mehr als damals - die Menschen am Beginn des dritten Jahrtausends.

 

Daher wünsche ich Ihnen, dass das weihnachtliche Brauchtum Sie hinführen möge zur religiösen, zur frohen Botschaft von Weihnachten: Gott lässt uns nicht allein!

 

28. Dezember, "Tag der unschuldigen Kinder":

 

Der liturgische Kalender des heutigen Tages erinnert uns an ein weiteres Ereignis, das mit Weihnachten in Verbindung steht: es ist der Gedenktag der unschuldigen Kinder. Die geschichtliche Nachricht darüber findet sich nur beim Evangelisten Matthäus. Nachdem die drei Weisen aus dem Morgenland den damaligen König Herodes nach dem neugeborenen Kind, dem - wie sie sagten - neugeborenen König der Juden befragten, ließ dieser, aus Angst um seine Herrschaft - ich zitiere die Bibelstelle - "in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten".

 

Für mich, wohl auch für Sie, stellt sich damit die Frage: Warum hatte dieser mächtige König, der aus der Geschichte bekannt war als großer Bauherr in Jerusalem, warum hatte er eine solche schwer verständliche Angst vor einem kleinen Kind?

 

Aus der Bibel wissen wir, dass die Stimmen der großen Propheten, allen voran Jesaias aus dem 8. vorchristlichen Jahrhundert, in verschiedener Weise auf das Kommen eines Messias, eines Retters des Volkes Israel, in Bethlehem in Judäa, hingewiesen haben. Am Schluss hatte das noch Johannes der Täufer getan.

 

Herodes steht hier stellvertretend für den Menschen, der versucht, mit allen Mitteln seine Macht zu halten, der dafür jedes Mittel einsetzt, auch Lüge und Mord.

 

Damit stellt sich für uns die Frage: Was bedeutet Macht in dieser vergänglichen Welt? Daraus folgt die weitere Frage nach Sinn und Ziel des Lebens eines jeden von uns? Für Herodes war es Sinn und Ziel, seine Position auf dieser Erde, in seiner Welt und zeit, zu behaupten um jeden Preis. Das Kind in der Krippe aber weist uns einen anderen Weg: es stellt uns vor die Frage, die alle Menschen seit eh und je beschäftigt, eine Frage, die wir gerne zur Seite schieben, die sich aber immer wieder neu stellt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und was ist Sinn und Ziel meines Lebens? Was ist das letzte Geheimnis meiner Existenz, aus dem ich komme und wohin ich zurückkehre?

 

Damit sprengt das Kind in der Krippe die Grenzen dieser vergänglichen Welt und eröffnet uns einen neuen Horizont, wohin die Sehnsucht unseres Herzens weist.

 

 

 

29. Dezember:

 

Nach Jesus Christus, dessen Geburt wir vor wenigen Tagen gefeiert haben, nennen wir uns Christen. Dazu schlage ich die Apostel- geschichte des Neuen Testamentes auf und lese dort über die Entstehung einer christlichen Gemeinde in Syrien, die sich im Gefolge der Steinigung des hl. Stephanus dort bildete.

 

In Antiochia "nannte man die Jünger zum ersten mal Christen" - so heißt es in der Apostelgeschichte, 11, 26. Antiochia war die drittgrößte Stadt im damaligen Römerreich. Die Bezeichnung "Christen" hat also eine sehr alte ungebrochene Tradition. Auch wir Menschen des dritten Jahrtausends nennen uns so, trotz eingetretener Spaltungen.

Wir heißen also alle Christen, auch in unserem Lande - aber ich frage: Sind wir auch Christen?

 

Das ist eine zentrale Frage, die mich sehr beschäftigt: Denn Christ-sein, nicht nur Christ-heißen bedeutet mehr als schönes Brauchtum und romantische Tradition. Christ-sein ist eine ernste Sache und verlangt von jedem von uns eine persönliche Entscheidung. Christ-sein fordert uns heraus, uns um ein entsprechenden Wissen über unseren Glauben zu kümmern, die Botschaft Christi und ihre Auswirkungen in der Geschichte wirklich zu kennen und daraus die praktischen Konsequenzen zu ziehen. Dann werden die Menschen uns unser Christ-sein abnehmen und nicht immer nur das menschliche Versagen registrieren.

 

Dieses Problem hat die Christen schon von Anbeginn an beschäftigt: die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Ich nehme ein Beispiel aus der christlichen Frühzeit, einen Kommentar des hl. Chrysostomus, des Patriarchen von Konstantinopel, ein Zeitgenosse des hl. Augustinus, der damals seinen Zuhörern gegenüber bereits feststellte: "Leuchtet wie Licht in der dunklen Welt ... man brauchte so etwas nicht zu sagen, wenn unser Leben wirklich leuchtete. Es brauchte keine Belehrung, wenn wir Taten sprechen ließen. Es gäbe keine Heiden, wenn wir wahre Christen wären, wenn wir die Gebote Christi hielten ... aber: dem Geld huldigen wir genauso, wie sie (d.h., die Heiden), ja, noch mehr als sie. Vor dem Tod haben wir Angst wie sie. Armut fürchten wir wie sie. Krankheit ertragen wir schwerer als sie ... wie sollen sie vom Glauben überzeugt werden? Durch Wunderzeichen? Wunder geschehen nicht mehr. Durch unser Verhalten? Das aber ist schlecht. Durch Liebe? Keine Spur davon ist zu sehen. Darum werden wir auch einst nicht nur über unsere Sünden, sondern auch über den Schaden Rechenschaft ablegen müssen, den wir angerichtet haben." - Soweit Chrysostomus. - Was dieser am Beginn eines christlichen Europa gesagt hat, gilt auch heute unverändert für uns.

 

Das Entscheidende ist letztlich immer der Mensch und das, was er tut. Schöne Worte allein genügen nicht.