Gedanken für den Tag
23. 12. 2003, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr
im Programm Österreich 1
"Zeit der Wende"
von Claudia Mitscha-Eibl, Theologin und Liedermacherin aus
Korneuburg
Jetzt
ist die dunkelste Zeit im Jahr. Unser Brauchtum bringt die große
Sehnsucht nach dem wiederkehrenden Licht zum Ausdruck. In vielen Häusern
gibt es einen Adventkranz, an dem
Woche für Woche eine Kerze mehr angezündet wird. Inzwischen
brennen alle vier und verheißen das herannahende Weihnachtsfest mit
seinem Lichterglanz.
Dennoch
gehört das Dunkel ebenso zum Leben wie das Licht. Die dunkle
Jahreszeit ist Teil des jährlichen Rhythmus, so wie die Nacht Teil
des täglichen Rhythmus ist. Dunkel und Licht sind untrennbar
miteinander verbunden und wechseln sich ab im rhythmischen
Zusammenspiel.
Oft
waren Menschen versucht, das Licht zu verherrlichen und das Dunkel
zu verteufeln. Gerade fanatische und sektiererische religiöse
Bewegungen haben immer gern diesen Dualismus verwendet: Wir, die
Angehörigen der einzig richtigen Religion, sind im Licht – das
bedeutet, bei uns ist das Gute, die Wahrheit, die Rettung und Erlösung
– und dort draußen, bei den anderen, herrscht Finsternis – dort
ist das Böse, Verdammnis, Tod und Teufel. Dieser unversöhnliche
Gegensatz entsteht, wenn Angst die Grundlage der Religion darstellt:
das Finstere entzieht sich nämlich dem Blick und damit auch der
Kontrolle, es kann nicht gelenkt und beherrscht werden.
Wer
sich in der Dunkelheit bewegen will, braucht Vertrauen, braucht die
Aufmerksamkeit aller Sinne und eine wache Intuition. Dasselbe gilt für
einen Weg, der weg von jeder religiösen Ideologie in eine
spirituelle Tiefe hineinführt: da heißt es, in die eigene
Dunkelheit hineingehen, die Schatten in der eigenen Seele
anerkennen.
„Und
das Licht leuchtet in der Dunkelheit...“, mit diesen Worten
umschreibt die Bibel die Menschwerdung Gottes. Die kommt nicht daher
wie ein Suchscheinwerfer, der unbarmherzig jede Ecke ausleuchtet.
Eher geschieht sie wie das Entzünden einer Kerze, deren sanfte
Flamme immer noch vieles im Dunkeln und Unbegreiflichen lässt und
trotzdem Wärme und Hoffnung ausstrahlt.
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