Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Roland Trentinaglia, Hörbranz
Sonntag, 25.9.2005
Eine Frau sagte mir
neulich: „Der einzige Mensch, den ich habe, ist mein
Wellensittich!“ Der ist wenigstens
dankbar und registriert, wenn ich da bin und deshalb liebe ich ihn
so sehr!“
Hm, hab ich mir daraufhin
gedacht, welche Art von Erfahrungen hat wohl meine Gesprächspartnerin
mit anderen Menschen gemacht? Dann stelle ich mir in meinen
Gedankengängen vor, was so ein Wellensittich alles braucht: einige
Körnlein am Tag, frisches Wasser – gelegentlich einen sauberen Käfig
und ein gutes Wort. Im Grunde genommen ist er ziemlich anspruchslos
– im Vergleich zu uns Menschen. Heißt das jetzt, dass wir genauso
anspruchslos wie ein Wellensittich sein sollen? Geht nicht, nein,
geht wirklich nicht! Dazu sind wir eben Menschen, mit einer
unheimlich großen Gefühlspalette ausgestattet. Unser Menschsein
beschränkt sich nicht auf’s Essen, Trinken, Schlafen,
Fortpflanzung und auf ein gutes Wort, gelegentlich. Wir müssen spüren,
erleben, dass wir geliebt, getragen, gemocht werden. Wir müssen uns
eingebettet wissen in einem so genannten „sozialen Netz“, das
auch unsere elementarsten Wünsche, Vorstellungen und Sehnsüchte
halbwegs abdeckt. Wir brauchen Menschen, die zu uns gut sind und
denen wir selber immer wieder deutlich machen können, was sie uns
bedeuten. Ohne diesen Anspruch könnten wir nicht leben, geschweige
überleben.
Ein lateinisches
Sprichwort sagt: „Amo et amor, ergo sum!“ Auf gut deutsch:
„Ich liebe und ich werde geliebt, also bin ich, also lebe ich,
existiere ich!“
Montag, 26.9.2005
Die Grundsehnsucht eines
jeden Menschen liegt darin, geliebt zu werden und selber ein
Liebender zu sein. Liebe ist niemals abstrakt. Sie ist keine
inhaltslose Information, sondern beruht vielmehr auf Erfahrungen. Du
willst nicht nur mit dem Kopf wissen, dass du geliebt wirst; du
willst es auch gleichsam mit deinem Herzen, mit deinem ganzen Wesen
hören, spüren und dies erfahren. Deshalb brauchst du Menschen in
deinem Leben, die dich diese Liebe ein stückweit auch erfahren
lassen.
Aber das allein genügt
nicht. Du brauchst auch Menschen, die du selber lieben darfst. Jeder
von uns ist auf ein „DU“ ausgerichtet. Wir sind auf
Kommunikation hin geschaffen. Deshalb braucht es im Leben immer
wieder Begegnungen, damit du dich selber als Mensch erfährst und
Mensch bleibst!
Ich denke, dass diese
Ursehnsucht von uns Menschen nicht allein biologisch zu erklären
ist. Jemand hat mir einmal gesagt, dass der Mensch auf
„Anbetung“ hin geschaffen sei. Zugegeben, wir Menschen beten im
Laufe unseres Lebens vieles an: Dinge und Sachen, die uns das Leben
schöner machen; Menschen und Ideologien, von denen wir eine
Lebensgestaltung erwarten und doch, das allein füllt uns nicht aus.
„Unruhig ist unser
Herz, bis es in Dir, Gott, Ruhe findet!“, hat Augustinus gesagt.
Anbetung also ein Akt der Liebe? Oder umgekehrt: Liebe fordert
direkt eine Anbetung heraus? Daran sollten wir auch einmal denken.
Dienstag, 27.9.2005
„Meine Frau kritisiert
mich von früh bis spät!“, jammerte mir gegenüber am Stammtisch
im Gasthaus ein jüngerer Mann. Stell dir einmal vor, antwortete
ich, wenn du ganz allein auf einer Insel wohnen würdest, würde
dich dort aber schon gar niemand kritisieren. Du könntest machen,
was du willst und niemand würde sich über deine Art und Unart
beschweren. Aber du lebst nicht auf einer Insel, sondern in einem
Netz von Beziehungen. Es darf, ja es muss, Menschen geben, die dich
manchmal hinterfragen oder deine Geduld auf die Probe stellen. Ohne
sie könntest du letztlich gar nicht wissen, was in dir wirklich
verborgen ist. Nur durch die Begegnung mit dem Anderen kannst du
auch selber ein stückweit zu dir finden. Wenn du ganz allein auf
einer Insel lebtest, hättest du vielleicht deine Ruhe. Aber das
allein würde dich auf Dauer sehr unruhig werden lassen. Denn dann müsstest
du dich selber aushalten! Und das ist schwer genug. Der Mensch neben
dir, egal ob er nun Freund oder Feind ist, hilft dir, dich selbst in
deinen Stärken und Schwächen zu kennen. Und dafür sei, so gut du
es kannst, dankbar.
Manchmal bedeutet Kritik
auch Interesse an einer Person; das heißt: Ich kritisiere
vielleicht jemanden, weil er mir sehr, sehr wichtig ist. Wäre er für
mich nicht wichtig, wäre mir alles egal, was er denkt und tut.
Stell dir vor, niemand,
aber gar niemand sagte zu dir etwas. Wie würdest Du Dich dabei fühlen?
Mittwoch, 28.9.2005
„Stellen Sie sich vor,
Herr Pfarrer, was mir heute Morgen passiert ist!“, erzählte nach
dem Werktagsgottesdienst eine Frau. Hochrot war sie im Gesicht und
aus ihrem Mund sprudelte es nur so heraus: „Da sagt doch mein Mann
zu mir: ‚Du, ich bin froh, dass es Dich gibt.’ Das hat er schon
ewig lange nicht mehr gesagt!“ Ich persönlich denke mir jetzt
dabei, wie wichtig es für uns ist, Menschen zu haben, die auch ein
gutes Wort – ohne verborgene Absichten herausbringen. Ein gutes
Wort ist Zärtlichkeit besonderer Art. Es streichelt die Seele und
macht den Menschen froh. Es geht mir dabei nicht um billige
Komplimente oder Schmeicheleinheiten. Es geht mir um das
Bewusstsein, dass jeder Mensch jemanden braucht, der es versteht,
durch ein gutes Wort aufzurichten, zu ermuntern, zu trösten. Ja, es
tut uns einfach gut, wenn uns jemand lobt, eine Anerkennung
ausspricht oder uns in unseren Absichtet bestätigt, stärkt und fördert.
Ein gutes Wort kann wie
eine Brücke sein. Es trägt, verbindet, führt zusammen. Danken wir
Gott dafür, dass es solche Brückenbauer in unserem Leben gibt und
bitten wir ihn gleichzeitig darum, dass wir selber – durch gute
Worte – Brückenbauer sein können. „Der Mensch lebt nicht vom
Brot allein“, heißt es in der Heiligen Schrift, „…sondern aus
jedem guten Wort, das aus dem Mund Gottes kommt!“ Oder vielleicht
sogar aus dem Mund des Menschen.
Donnerstag, 29.9.2005
Es gibt es auch heute
noch Menschen, die ihr Leben aus dem Glauben an Gott herauswagen und
zu leben versuchen. Es gibt Menschen, die uns und unserem Leben Halt
und Orientierung bieten. Und dafür wollen wir auch dankbar sein,
weil in ihnen etwas von Gott spürbar wird. Von dem Gott nämlich,
der uns in seinem Sohn Jesus Christus nahe gekommen ist.
In einer Zeit, in der
viele an Orientierungslosigkeit leiden, braucht es Menschen, die
auch von ihrer Gläubigkeit reden und versuchen, danach zu leben.
Denn solche Menschen können für andere wie Leuchttürme in der
Nacht sein. Ihr Glaube und ihre Begeisterung bringen ein stückweit
Licht ins Leben, in unser Leben, ja in dein und mein Leben und
bewahren uns vor den Sackgassen, vor jenen Sackgassen, in denen oft
der seelische Tod zu Hause ist. Deshalb lade ich Dich auch ein,
heute so gut Du es kannst, auch offen zu werden für Jesus Christus
und seine Botschaft. Denn wenn du Gott erlaubst, in deinem Leben zu
wirken, du wirst dich wundern. Er wird Dein Herz berühren und dich
von deinen inneren Wunden heilen. Er wird dich ein Stück freier
machen. Du brauchst dabei nicht Angst zu haben vor deinem Gott.
Wie bitte geschieht denn
diese Gottesbegegnung? So wie ein Blitz aus heiterem Himmel? Nein!
Ich wünsche Dir, dass Du heute Menschen begegnest, die von Gott
ergriffen sind und denen die Botschaft Jesu Christi nicht egal ist.
Sie mögen Dich mit dem begeistern können, wovon sie selbst echt
– und nicht gespielt – begeistert sind.
Freitag, 30.9.2005
Ein Mönch soll einmal
gefragt worden sein, warum er trotz so vieler Beschäftigungen immer
so gesammelt sein könne. Er soll darauf geantwortet haben: „Ganz
einfach: Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe
ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; und wenn ich spreche, dann
spreche ich!“ Der Fragesteller fiel ihm ins Wort: „Moment, das
tue ich doch auch!“ „Nein, nein“, hat der Mönch darauf
geantwortet. „Wenn du sitzt, dann stehst du schon; wenn du stehst,
dann läufst du schon und wenn du läufst, bist du schon am Ziel!“
Ich hätte eigentlich der
Fragesteller sein können. Denn mir geht’s ja nicht besser. Wie
vielen anderen auch: während ich am Morgen eine Tasse Kaffee
trinke, höre ich im Radio die Nachrichten, lese nebenbei die
Zeitung und bin in Gedanken beim Gottesdienst oder in der Schule, im
Religionsunterricht.
„Wenn ich bete, bete
ich…“. Zu schön, um wahr zu sein. Es sei denn, ich nehme all
das, was mich zutiefst bewegt, beschäftigt, Freude und Sorge macht,
mit hinein in dieses morgendliche Beten: die Katastrophen von denen
ich gelesen habe, der Streit der Politiker, wie ich es im Radio gehört
habe, den Ärger, weil ich mich beim Rasieren geschnitten habe und
das Wissen um die Menschen, mit denen ich heute am Tag zu tun haben
werde. Gott versteht mich und schüttelt lächelnd seinen Kopf und
denkt sich dabei: „Warum geht der am Abend eigentlich nicht früher
zu Bett? Dann hätte er es am Morgen leichter!“
Samstag, 1.10.2005
Gelegentlich, wenn ich
den Müllsack mit dem so genannten Restmüll vor meinem Haus an den
Straßenrand stelle, wundere ich mich, was ich alles wegwerfe. Früher
wurden Dinge oft gesammelt: angefangen von Schnüren, über Tüten
und Kartons, nicht zu vergessen das Geschenk– und
Weihnachtspapier.
Heute gibt es sogar
Papierwäsche, Papierkleider, Einweg-Flaschen, Wegwerf-Windeln,
Wegwerf–Teller mit dem dazugehörenden Besteck. Also, weggeworfen
wird alles, Hunde, Katzen und Kinder und Menschen, die gestern Abend
noch gehört haben, dass sie das allerliebste seien, was Gottes
Erdboden herumläuft.
Im geistig–religiösen
Bereich ist das vielfach nicht anders. Man ist rational und kritisch
und merkt doch zugleich, dass der Mensch dabei zu kurz kommt. Man
gibt sich also gläubig und fällt zugleich auf jeden Aberglauben
herein. Mir scheint, dass viele Menschen etwas weggeworfen haben,
ohne es vorher auf seinen Lebens– und Gebrauchswert geprüft zu
haben. Und mancher friert nun in der trostlosen Atmosphäre einer
nur sachlich reinen Innenwelt ein. Kinder erfahren zwar, dass Eltern
miteinander streiten. Aber beten haben die Kinder ihre Eltern noch
nie gesehen, geschweige, dass sie als Familie gemeinsam in den
letzten Jahren bei einem Sonntagsgottesdienst waren. Das gehört bei
vielen einfach zum so genannten Restmüll, den man sorgsam außer
Haus schafft. Religion und gelebter Glaube in den eigenen Wänden!
Gott bewahre, das könnte ja zu stinken beginnen!
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