Morgengedanken

Sonntag, 28. 10. 2001. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

 

von  Helga Kohler-Spiegel

 

 

Sonntag 28.10.2001

 

Der Herbst ist für viele Menschen eine problematische Jahreszeit. Depressionen und depressive Stimmungen nehmen zu. Trotzdem: Der Herbst hat auch seine schönen Seiten. Und die zu sehen, kann ungeheuer wichtig sein, meint die Theologin Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch in den heutigen Morgengedanken:

 

Jetzt - im Herbst - sehe ich Kinder, die mit ihren Füßen Blätterhaufen aufwirbeln, ich erinnere mich, dass ich das als Kind selbst gerne gemacht habe. Und ich denke an den Geruch der Blätter, leicht modrig und feucht. Mir fallen die Farben der Blätter ein, rot und gelb und ocker und braun, orange und manchmal noch ein wenig grün. Der Herbst - ich kann ihn sehen, spüren, riechen, mit seinen bunten Seiten.

 

In einer Kindergeschichte wird von einer Maus erzählt, Frederik, der nicht wie die anderen Tiere Vorräte für den Winter sammelt, sondern er sammelt Farben. Und als dann der Winter kommt, und als der Winter immer dunkler wird, hat Frederik Geschichten und Farben, die er den anderen erzählen kann. Und so wird es unter den Tieren auch im Winter hell und warm und bunt.

 

Vielleicht - hoffentlich ist heute so ein Sonntag, an dem Sie, wenn Sie ans Haus gebunden sind, das Fenster öffnen und den Herbst sehen und riechen können. Vielleicht - hoffentlich ist heute so ein Sonntag, an dem Sie einen Spaziergang durch den Herbst machen können, an dem Sie die Farben und Gerüche des Herbstes aufnehmen können - für den Winter.

 

 

Montag 29.10.2001

 

Der Herbst ist die Zeit der Ernte. Zeit der Erntedankfeste. Aber auch die Zeit, in der wir uns fragen können: Welche Früchte haben unsere Taten oder Unterlassungen gebracht? Die Theologin Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch beschäftigt sich in den heutigen Morgengedanken mit dieser Frage:

 

Jetzt im Herbst ist die Zeit der Ernte, es ist die Zeit, die Früchte einzubringen und sich an dem zu freuen, was uns die Natur geschenkt hat. Äpfel und Birnen, das Mostobst und die Nüsse und vieles mehr können wir für den Winter verarbeiten oder einlagern.

 

Die Zeit der Ernte macht mir immer wieder neu bewusst, dass wir - bei aller Technik und bei allen modernen Möglichkeiten - Teil der Natur sind und dass wir von ihr abhängig sind. Die Natur zeigt uns den Rhythmus des Lebens, Wachsen und Aufblühen, aber auch wieder Sterben und Vergehen. Die Natur zeigt uns aber auch: Vor dem Vergehen können wir ernten, wir können uns an den Früchten freuen - in der Natur und in unserem Leben.

 

Es ist Herbst. Es ist die Zeit der Ernte, es ist die Zeit, die Früchte einzubringen und sich an dem zu freuen, was uns die Natur geschenkt hat. Und wenn Sie heute einen Apfel oder eine Birne oder ein Stück Brot oder Nüsse essen, können Sie - wieder einmal - bewusst hineinbeißen, es bewusst schmecken und riechen.....

 

 

Dienstag 30.10.2001

 

Im Herbst richtet sich die Natur auf eine Brachzeit ein. Zeit zum Ruhen und Sammeln neuer Kräfte. Zeit des Loslassens. Wie steht es damit bei Ihnen, fragt die Theologin Helga Kohler-Spiegel in den heutigen Morgengedanken:

 

Jetzt - im Herbst - richtet sich die Natur ein auf eine Brachzeit, eine Zeit zum Ruhen und zum Sammeln neuer Kräfte. Die Gärten sind vorbereitet auf den Winter.

Und wenn auch ich mich vorbereite auf eine Brachzeit, eine Zeit des Ruhens, das Lassens und des Loslassens... ?

 

Wir wissen von Jesus, wir wissen von allen Religionsstiftern, dass sie immer wieder solche Zeiten brauchten, um sich zurückzuziehen - in die Stille, zum Gebet. Ich denke an meine Möglichkeiten, mir eine "Brachzeit" zu gönnen - heute für ein paar Augenblicke, zu regelmäßigen Zeiten am Morgen oder am Abend.

 

Wenn auch bei mir "Brachzeit" ansteht, dann frage ich mich an diesem Morgen nicht nur: Was muss ich heute alles tun? Wofür brauche ich heute meine Kraft? Ich kann auch fragen: Was kann ich heute lassen, was kann ich heute loslassen?

 

 

Mittwoch 31.10.2001

 

Morgen ist Allerheiligen. Die meisten Gräber sind geschmückt und man weiß auch, welche man morgen besuchen wird. Für viele Menschen ist Allerheiligen aber auch verbunden mit Tränen und Trauer. Dazu die heutigen Morgengedanken der Theologin Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch.

 

Im Gedenken an die Verstorbenen - und frage mich manchmal im Stillen, wie es denn sein wird, tot zu sein. Ich denke meinen Bildern nach, wenn ich sage: "sie ist bei Gott, er hat jetzt keine Schmerzen mehr" und christlich gesagt: "er ist auferstanden, sie ist mit allem, was ihr Leben ausmachte, bei Gott geborgen und aufgehoben." Da hat auch all das Platz, was nicht so gelungen war im Leben. Da hat all das Platz, wo Beziehungen schwierig waren, wo nicht alles eitel Wonne war, wo die Ehe und die Familie nicht ganz so heil war, wie es vielleicht nach außen den Eindruck machte.

 

Auf Allerheiligen vorbereiten heißt in meinen Augen, mir zu vergegenwärtigen, was meine Beziehung zu den verstorbenen Menschen ausgemacht hat, was schön war und was schwierig war, was mich glücklich gemacht hat und was wir einander nicht geben konnten.

 

Allerheiligen - ich fände es schön, wenn wir uns ein wenig Zeit nehmen können, neben den Gräbern auch uns selbst vorzubereiten....

 

 

Donnerstag 1.11.2001

 

Am heutigen Allerheiligentag wird wieder Hochbetrieb herrschen auf den Friedhöfen. Man denkt an die Verstorbenen und man trauert um sie. Aber dieses Totengedenken sollte nicht nur rückwärts gerichtet sein, meint die Theologin Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch:

 

Allerheiligen ist eigentlich ein fröhliches Fest. Kirchlich feiern wir, dass Menschsein gelingen kann. An Allerheiligen freuen wir uns über all die Menschen im Laufe von Jahrhunderten, von denen wir den Eindruck haben: Die haben ihr Leben gut und sinnvoll gelebt, sie haben sich ausgerichtet nach Gottes Wort und sie haben versucht, ihren Glauben zu leben. Wir denken an Menschen vor uns, die ihrer Überzeugung treu geblieben sind, die keine faulen Kompromisse eingegangen sind und sich sozial engagiert haben.

 

Allerheiligen ist ein fröhliches Fest. Denn wir können - trotz so viel Bösem und so viel Leid auf unserer Welt - menschlich leben, wir müssen nicht immer vergleichen, wer der Reichste und die Schönste ist, wir können uns an dem freuen, was wir selbst sind und was andere Menschen glücklich macht. Zu Allerheiligen feiern wir: Wir können - trotz Terror und Gewalt - menschlich sein, wir können einander achten und miteinander im Gespräch sein - auch heute, gerade heute, an Allerheiligen.

 

 

Freitag 2.11.2001

 

Allerseelen ist der eigentliche Totengedenktag im Kirchenjahr, auch wenn sich der Vortag, der Tag aller Heiligen als Tag der Friedhofsbesuche etabliert hat. Wer der Toten gedenkt, der sollte aber auch nicht die Lebenden vergessen. Daran erinnert die Theologin Helga Kohler-Spiegel in den heutigen Morgengedanken:

 

"Die Kinder werden den Tod nicht fürchten, wenn die Erwachsenen den Mut haben, das Leben nicht zu fürchten", so sagte Erik Erikson, Psychoanalytiker und humanistischer Psychologe. Leben und Tod gehören zusammen. Und wenn wir heute der Toten gedenken, dann gedenken wir auch der Lebenden. Dann denke ich an die Menschen, die mir lieb sind, an die Lebenden und die Verstorbenen.

 

Manchmal ist jemand noch so gefangen vom Gedenken an die Toten, dass er/sie die Lebenden vergisst. Dass ich vergesse, wem ich schon lange nicht mehr geschrieben habe, wen ich schon längst anrufen möchte, wen ich gar besuchen könnte. Heute könnte ein Tag sein, an dem ich einen solchen Anruf mache bei jemanden, bei dem ich mich schon lange nicht mehr gemeldet habe, oder jemanden besuche. Allerseelen kann uns erinnern, dass wir nicht vor lauter Totengedenken die Lebenden vergessen.

 

Allerseelen kann uns auch erinnern, dass wir nicht vor lauter Totengedenken das Leben vergessen. Damit kann ich schon heute beginnen: Ich lebe mein Leben bewusst, ich nehme mich wahr und sorge für mich, ich freue mich an den Menschen, die ich gerne habe, ich kann meinen Alltag / mein Leben gestalten.

 

 

Samstag 3.11.2001

 

Es gibt Herbsttage, an denen man am liebsten gar nicht aufstehen möchte. Draußen ist es finster und nebelig, und die Alltagsprobleme legen sich um so schwerer auf die Seele. Kann man trotzdem so einem Tag etwas abgewinnen, fragt die Theologin Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch heute:

 

Bei Kindern fragen wir manchmal: Welche Farbe hat dein Tag? Welche Farben wird er wohl bekommen? Heute, am Morgen, stelle ich mich auf den Tag ein, ich bereite mich innerlich darauf vor. Und ich bitte auch Gott um den Segen für den Tag. Segen, das heißt auf deutsch: etwas Gutes sagen. Der Segen für den Tag soll mir helfen, aus dem heutigen Tag einen guten Tag zu machen. Das heißt nicht, dass es ein konfliktfreier Tag werden muss, sondern eher, dass wir die Konflikte gut lösen können, dass evtl. ein Streit in der Familie nicht zerstörerisch, sondern klärend sein wird, dass evtl. meine Traurigkeit mich nicht einsam macht, sondern mit andern ins Gespräch bringt...

 

Noch ist der Tag an seinem Anfang. Es liegt auch an uns, welche Farbe der Tag haben wird. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bewusst in den Tag gehen können. Wir können darauf vertrauen, dass Gott uns für unsern Tag etwas Gutes sagen wird, dass es ein gesegnet Tag werden kann.