von Helga Kohler-Spiegel
Sonntag 28.10.2001
Der Herbst ist für viele Menschen eine
problematische Jahreszeit. Depressionen und depressive Stimmungen
nehmen zu. Trotzdem: Der Herbst hat auch seine schönen Seiten. Und
die zu sehen, kann ungeheuer wichtig sein, meint die Theologin Helga
Kohler-Spiegel aus Feldkirch in den heutigen Morgengedanken:
Jetzt - im Herbst - sehe ich Kinder, die mit ihren
Füßen Blätterhaufen aufwirbeln, ich erinnere mich, dass ich das
als Kind selbst gerne gemacht habe. Und ich denke an den Geruch der
Blätter, leicht modrig und feucht. Mir fallen die Farben der
Blätter ein, rot und gelb und ocker und braun, orange und manchmal
noch ein wenig grün. Der Herbst - ich kann ihn sehen, spüren,
riechen, mit seinen bunten Seiten.
In einer Kindergeschichte wird von einer Maus
erzählt, Frederik, der nicht wie die anderen Tiere Vorräte für
den Winter sammelt, sondern er sammelt Farben. Und als dann der
Winter kommt, und als der Winter immer dunkler wird, hat Frederik
Geschichten und Farben, die er den anderen erzählen kann. Und so
wird es unter den Tieren auch im Winter hell und warm und bunt.
Vielleicht - hoffentlich ist heute so ein Sonntag,
an dem Sie, wenn Sie ans Haus gebunden sind, das Fenster öffnen und
den Herbst sehen und riechen können. Vielleicht - hoffentlich ist
heute so ein Sonntag, an dem Sie einen Spaziergang durch den Herbst
machen können, an dem Sie die Farben und Gerüche des Herbstes
aufnehmen können - für den Winter.
Montag 29.10.2001
Der Herbst ist die Zeit der Ernte. Zeit der
Erntedankfeste. Aber auch die Zeit, in der wir uns fragen können:
Welche Früchte haben unsere Taten oder Unterlassungen gebracht? Die
Theologin Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch beschäftigt sich in
den heutigen Morgengedanken mit dieser Frage:
Jetzt im Herbst ist die Zeit der Ernte, es ist die
Zeit, die Früchte einzubringen und sich an dem zu freuen, was uns
die Natur geschenkt hat. Äpfel und Birnen, das Mostobst und die
Nüsse und vieles mehr können wir für den Winter verarbeiten oder
einlagern.
Die Zeit der Ernte macht mir immer wieder neu
bewusst, dass wir - bei aller Technik und bei allen modernen
Möglichkeiten - Teil der Natur sind und dass wir von ihr abhängig
sind. Die Natur zeigt uns den Rhythmus des Lebens, Wachsen und
Aufblühen, aber auch wieder Sterben und Vergehen. Die Natur zeigt
uns aber auch: Vor dem Vergehen können wir ernten, wir können uns
an den Früchten freuen - in der Natur und in unserem Leben.
Es ist Herbst. Es ist die Zeit der Ernte, es ist
die Zeit, die Früchte einzubringen und sich an dem zu freuen, was
uns die Natur geschenkt hat. Und wenn Sie heute einen Apfel oder
eine Birne oder ein Stück Brot oder Nüsse essen, können Sie -
wieder einmal - bewusst hineinbeißen, es bewusst schmecken und
riechen.....
Dienstag 30.10.2001
Im Herbst richtet sich die Natur auf eine
Brachzeit ein. Zeit zum Ruhen und Sammeln neuer Kräfte. Zeit des
Loslassens. Wie steht es damit bei Ihnen, fragt die Theologin Helga
Kohler-Spiegel in den heutigen Morgengedanken:
Jetzt - im Herbst - richtet sich die Natur ein auf
eine Brachzeit, eine Zeit zum Ruhen und zum Sammeln neuer Kräfte.
Die Gärten sind vorbereitet auf den Winter.
Und wenn auch ich mich vorbereite auf eine
Brachzeit, eine Zeit des Ruhens, das Lassens und des Loslassens... ?
Wir wissen von Jesus, wir wissen von allen
Religionsstiftern, dass sie immer wieder solche Zeiten brauchten, um
sich zurückzuziehen - in die Stille, zum Gebet. Ich denke an meine
Möglichkeiten, mir eine "Brachzeit" zu gönnen - heute
für ein paar Augenblicke, zu regelmäßigen Zeiten am Morgen oder
am Abend.
Wenn auch bei mir "Brachzeit" ansteht,
dann frage ich mich an diesem Morgen nicht nur: Was muss ich heute
alles tun? Wofür brauche ich heute meine Kraft? Ich kann auch
fragen: Was kann ich heute lassen, was kann ich heute loslassen?
Mittwoch 31.10.2001
Morgen ist Allerheiligen. Die meisten Gräber sind
geschmückt und man weiß auch, welche man morgen besuchen wird.
Für viele Menschen ist Allerheiligen aber auch verbunden mit
Tränen und Trauer. Dazu die heutigen Morgengedanken der Theologin
Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch.
Im Gedenken an die Verstorbenen - und frage mich
manchmal im Stillen, wie es denn sein wird, tot zu sein. Ich denke
meinen Bildern nach, wenn ich sage: "sie ist bei Gott, er hat
jetzt keine Schmerzen mehr" und christlich gesagt: "er ist
auferstanden, sie ist mit allem, was ihr Leben ausmachte, bei Gott
geborgen und aufgehoben." Da hat auch all das Platz, was nicht
so gelungen war im Leben. Da hat all das Platz, wo Beziehungen
schwierig waren, wo nicht alles eitel Wonne war, wo die Ehe und die
Familie nicht ganz so heil war, wie es vielleicht nach außen den
Eindruck machte.
Auf Allerheiligen vorbereiten heißt in meinen
Augen, mir zu vergegenwärtigen, was meine Beziehung zu den
verstorbenen Menschen ausgemacht hat, was schön war und was
schwierig war, was mich glücklich gemacht hat und was wir einander
nicht geben konnten.
Allerheiligen - ich fände es schön, wenn wir uns
ein wenig Zeit nehmen können, neben den Gräbern auch uns selbst
vorzubereiten....
Donnerstag 1.11.2001
Am heutigen Allerheiligentag wird wieder
Hochbetrieb herrschen auf den Friedhöfen. Man denkt an die
Verstorbenen und man trauert um sie. Aber dieses Totengedenken
sollte nicht nur rückwärts gerichtet sein, meint die Theologin
Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch:
Allerheiligen ist eigentlich ein fröhliches Fest.
Kirchlich feiern wir, dass Menschsein gelingen kann. An
Allerheiligen freuen wir uns über all die Menschen im Laufe von
Jahrhunderten, von denen wir den Eindruck haben: Die haben ihr Leben
gut und sinnvoll gelebt, sie haben sich ausgerichtet nach Gottes
Wort und sie haben versucht, ihren Glauben zu leben. Wir denken an
Menschen vor uns, die ihrer Überzeugung treu geblieben sind, die
keine faulen Kompromisse eingegangen sind und sich sozial engagiert
haben.
Allerheiligen ist ein fröhliches Fest. Denn wir
können - trotz so viel Bösem und so viel Leid auf unserer Welt -
menschlich leben, wir müssen nicht immer vergleichen, wer der
Reichste und die Schönste ist, wir können uns an dem freuen, was
wir selbst sind und was andere Menschen glücklich macht. Zu
Allerheiligen feiern wir: Wir können - trotz Terror und Gewalt -
menschlich sein, wir können einander achten und miteinander im
Gespräch sein - auch heute, gerade heute, an Allerheiligen.
Freitag 2.11.2001
Allerseelen ist der eigentliche Totengedenktag im
Kirchenjahr, auch wenn sich der Vortag, der Tag aller Heiligen als
Tag der Friedhofsbesuche etabliert hat. Wer der Toten gedenkt, der
sollte aber auch nicht die Lebenden vergessen. Daran erinnert die
Theologin Helga Kohler-Spiegel in den heutigen Morgengedanken:
"Die Kinder werden den Tod nicht fürchten,
wenn die Erwachsenen den Mut haben, das Leben nicht zu
fürchten", so sagte Erik Erikson, Psychoanalytiker und
humanistischer Psychologe. Leben und Tod gehören zusammen. Und wenn
wir heute der Toten gedenken, dann gedenken wir auch der Lebenden.
Dann denke ich an die Menschen, die mir lieb sind, an die Lebenden
und die Verstorbenen.
Manchmal ist jemand noch so gefangen vom Gedenken
an die Toten, dass er/sie die Lebenden vergisst. Dass ich vergesse,
wem ich schon lange nicht mehr geschrieben habe, wen ich schon
längst anrufen möchte, wen ich gar besuchen könnte. Heute könnte
ein Tag sein, an dem ich einen solchen Anruf mache bei jemanden, bei
dem ich mich schon lange nicht mehr gemeldet habe, oder jemanden
besuche. Allerseelen kann uns erinnern, dass wir nicht vor lauter
Totengedenken die Lebenden vergessen.
Allerseelen kann uns auch erinnern, dass wir nicht
vor lauter Totengedenken das Leben vergessen. Damit kann ich schon
heute beginnen: Ich lebe mein Leben bewusst, ich nehme mich wahr und
sorge für mich, ich freue mich an den Menschen, die ich gerne habe,
ich kann meinen Alltag / mein Leben gestalten.
Samstag 3.11.2001
Es gibt Herbsttage, an denen man am liebsten gar
nicht aufstehen möchte. Draußen ist es finster und nebelig, und
die Alltagsprobleme legen sich um so schwerer auf die Seele. Kann
man trotzdem so einem Tag etwas abgewinnen, fragt die Theologin
Helga Kohler-Spiegel aus Feldkirch heute:
Bei Kindern fragen wir manchmal: Welche Farbe hat
dein Tag? Welche Farben wird er wohl bekommen? Heute, am Morgen,
stelle ich mich auf den Tag ein, ich bereite mich innerlich darauf
vor. Und ich bitte auch Gott um den Segen für den Tag. Segen, das
heißt auf deutsch: etwas Gutes sagen. Der Segen für den Tag soll
mir helfen, aus dem heutigen Tag einen guten Tag zu machen. Das
heißt nicht, dass es ein konfliktfreier Tag werden muss, sondern
eher, dass wir die Konflikte gut lösen können, dass evtl. ein
Streit in der Familie nicht zerstörerisch, sondern klärend sein
wird, dass evtl. meine Traurigkeit mich nicht einsam macht, sondern
mit andern ins Gespräch bringt...
Noch ist der Tag an seinem Anfang. Es liegt auch
an uns, welche Farbe der Tag haben wird. Ich wünsche Ihnen, dass
Sie bewusst in den Tag gehen können. Wir können darauf vertrauen,
dass Gott uns für unsern Tag etwas Gutes sagen wird, dass es ein
gesegnet Tag werden kann.