Morgengedanken
Sonntag, 04. 11. 2001. 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios
von Superintendent Joachim Rathke,
(Villach, Kärnten) v. d. Evang. Kirche
Sonntag, 4.11.2001
Am letzten Mittwoch, dem 31. Oktober,
feierte die evangelische Kirche das Reformationsfest. Am kommenden
Samstag, dem 10. November wurde 1483 Luther geboren und tags darauf
nach dem Tagesheiligen Martin getauft.
Darum dachte ich mir, es könnte Sie
interessieren, etwas über ihn und von ihm zu hören. Der
Augustinerpater Daniel Olivier hat ein Buch über "Luthers
Glauben" geschrieben, weil er ihn so entdeckt hat, "wie
Ihn die Katholiken noch nicht und wie ihn die Protestanten nicht
mehr kennen. " Ums deutlich zu sagen: Luther ist nicht der
evangelische Heilige - er hat auch Unheiliges gesagt. Es geht nicht
um ihn. Es. geht um seine Entdeckung: Das Evangelium. Das sprach er
so erfrischend neu aus, dass man es seinerzeit zum Markenzeichen der
Kirche machte. Sie ist dazu da, das "lautere, reine Evangelium
ohne alle menschliche Zusätze" zu verkünden. Olivier schrieb
sein Buch für die ganze ökumenische Bewegung: Er will das
Evangelium in der Kirche befreien. Nichts kann mir wichtiger sein.
Ich will mit den Morgengedanken dieser Woche dazu beitragen.
Luther erinnert sich an seine
Schulzeit in Mansfeld. Da sang er mit Kameraden auf der Straße um
Brot. Einmal sahen sie einen Mann aus einem Laden kommen, der drohte
ihnen mit Stöcken in den Händen. Sie flohen vor Angst. Bis sie
einer aufhielt und sagte: Schaut euch den Mann doch an. Da sahen
sie: Er wollte ihnen zwei Würste schenken. Luther dazu: "So
machen wir's mit Gott auch, er schenkt uns Christus und trotzdem
fliehen wir vor ihm und halten ihn für unsern Richter. "
Montag, 5.11.2001
Ich denke, dass heute viele Menschen
unter der Überforderung ihres Lebens leiden. Es kann einen
intelligenten und tüchtigen Menschen deprimieren, wenn er allen
Forderungen genügen will und sich ehrlich eingestehen muss: Ich
komme nicht zurecht. Er hat gelernt, sich selbst helfen zu müssen
und schämt sich, wenn er sich’s billiger gibt.
Martin Luther, den ich in dieser
Woche zu Wort kommen Iasse, war Sohn eines Aufsteigers. Er hatte die
besten Schulen besucht und sollte Jurist werden. Aber er ging ins
Kloster - und setzte sich dort dem gleichen Leistungsprinzip aus, um
nun zwar nicht erfolgreich, aber vollkommen zu werden. Dabei lernt
er die Verzweiflung kennen, die schlimmste, die an sich selbst:
"Ich kann nicht perfekt werden. Ich bin ein Versager."
Dabei hat Luther nichts angestellt. Aber er prüft sich auf Herz und
Nieren, Gedanke und Gefühl, und spürt, wie er gegen den Druck
aufbegehrt: Du musst gut sein. Da hat man ihn getröstet: "Tu,
was an dir ist, den Rest schafft die Gnade." Das machte ihn
wild: Das ist zwar schlau, aber wozu muss da Christus leiden, wenn
Gott ja doch durch die Finger sehen kann. Luther erzählt, wie ihn
sein Beichtvater Staupitz tröstete: "Gott grollt nicht dir,
sondern du grollst ihm." Ein herrliches Wort. obwohl uns damals
das Evangelium noch nicht aufgegangen ist."
Dienstag, 6.11.2001
Sicher kennen Sie den deutschen
Mystiker Meister Ekkehard. Er war einmal Prior eines Klosters in
Erfurt. In seinen Schriften hat Luther eine erste Antwort auf seine
Frage gefunden: Wie kann ich bei meiner Sünde mit mir selber leben.
Ekkehard lehrt: Der Mensch soll sich Gott lassen. Keiner kann gut
machen, was er anderen angetan hat. Steh zu deiner Schuld und
"Lasse dich Gott". Überlass ihm das Urteil, selbst wenn
er dich in die Hölle verdammt. Auch die Hölle ist sein. Luther
verzichtete darauf, sich selbst zu rechtfertigen, seine Sünde zu
entschuldigen oder mit guten Werken ersatzweise auszugleichen.
"Luther überließ sich Gott." Er nahm seine Schuld und
Strafe an.
So verstehe ich die Reaktion des
Priesters Luther auf den Ablasshandel. Da kam ein Mann zur Beichte
und verlangte von ihm sofortige Absolution und Straffreiheit, er
habe ja schon bezahlt und zeigte den Ablasszettel her. Das machte
Luther wild: "Der Sünder soll zu seiner Sünde stehen und die
Strafe annehmen, statt sich zu rechtfertigen." Am 31.0ktober
schlug Luther an der Schlosskirche in Wittenberg die 95 Thesen an,
um mit den Kollegen über den Ablass zu disputieren. Der Ablass
wurde aus einem vermeintlichen Schatz der Kirche, bestehend aus den
Verdiensten Christi und der Heiligen, ausgeteilt. Luthers Hauptthese
lautet dagegen: "Der wahre Schatz der Kirche ist das
hochheilige Evangelium von der Ehre und Gnade Gottes."
Davon will ich morgen erzählen.
Mittwoch, 7.11.2001
Der Kampf, der nach Luthers Angriff
auf den Ablass ausbrach, zwang ihn endlich zu erkennen, wer er ist -
vor Gott und sich selbst. Keiner kann dauernd in sich uneins - und
mit Angst leben. Jetzt wird Luthers Frage zum Schrei. "Wie
kriege ich einen gnädigen Gott?" Er las in der Schrift von
"Gottes Gerechtigkeit." Das wirkte auf mein Gewissen wie
ein Blitz. Ist Gott gerecht, so muss er strafen. Da bin ich für
ewig verloren. So hasste ich dieses Wort, "ich hasste
ihn." Luther erzählt, wie er in seinem Turmgemach im Kloster
in Wittenberg Tag und Nacht über die Worte "Der Gerechte wird
seines Glaubens leben" und "Gerechtigkeit Gottes",
nachsann. Bis er den Zusammenhang der Worte beachtete: "Der
Gerechte lebt aus Glauben." Also nicht aus seiner Tüchtigkeit
und seiner Leistung. "Gott macht mich gerecht". Das ist
Gottes Gerechtigkeit. Christus ist meine Gerechtigkeit.
Das ist neu - und zwar bis heute.
Weder bin ich mir selber recht. Noch ist Christus meine Chance,
durch Besserung gerecht zu werden. Das kann ich nie!
Nein, ganz anders: Christus schenkt
sich mir. Wie an ihm, so hat nun Gott auch an mir Wohlgefallen. Er
rechtfertigt meine Existenz auf Erden - und im Himmel. Es ist alles
sein Erbarmen. Er wird mir in meiner Not gerecht. Er macht mir ein
gutes Gewissen. Ich spüre die reine Luft der Freiheit. Luther sagte
es so: "Hier fühlte ich mich völlig neu geboren, als wäre
ich durch die geöffneten Pforten ins Paradies eingetreten."
Donnerstag, 8.11.2001
Luther lehrte als Professor der
biblischen Fächer an der jungen Universität in Wittenberg an der
EIbe. Seine Aufgabe sah er darin, den Studenten die biblischen
Begriffe zu klären und seine Deutung wissenschaftlich zu beweisen.
Was bedeutet "Gottes Gerechtigkeit?" Meist antwortet man:
"Gott ist gerecht, er lohnt und straft." Luther hat etwas
Neues erkannt: "Gott macht mich gerecht." Paulus hat es so
gemeint: Er sagt: "Christus ist unsere Gerechtigkeit." Nun
sucht Luther Analogien für seine Deutung: Was heißt: "Gottes
Kraft" – "Er macht mich stark." Paulus: "Ich
vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus." Was
heißt: "Gottes Ehre?" Er ehrt uns. Der Psalm preist Gott,
denn "Der Herr gibt Gnade und Ehre." Und ist es nicht eine
Ehrung der Menschheit, wenn Gott selbst Mensch wird?
Da sind wir nun wirklich in eine neue
Welt eingetreten. Zu Palmsonntag 1518 hörte die Gemeinde einen
neuen Ton von Luthers Kanzel, hell und freudig: "Christus ist
gerecht. Mein ist, was Christus hat, litt und starb. Wie der
Bräutigam mit der Braut alles teilt, was er hat, so teilt Christus
alles mit mir. Er nimmt meine Schuld und gibt mir seine Unschuld, er
nimmt mir die Angst und gibt mir Gottes Freude, er nimmt meinen Tod
an und schenkt mir sein Leben. Wir sind was er ist, damit wir in ihm
seien und er in uns." Paulus hat es so gesagt: "Ich lebe,
doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir." Das ist die
neue Identität aller Christen. Da hat die ganze Welt ein neues
Gesicht.
Freitag, 9.11.2001
Darf ein Mönch dem Papst einen Brief
schreiben? Warum nicht? Luther hat es getan, während in Rom sein
Bann vorbereitet wurde. Er legte dem Brief seine Schrift bei:
"Von der Freiheit eines Christenmenschen."
Wollte er rebellieren, sich auf eine
natürliche Freiheit aller Menschen berufen, Gedankenfreiheit
fordern? Nein, Luther schreibt:
"Ein Christenmensch ist ein
freier Herr aller Dinge und niemandem untertan (im Glauben). Ein
Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann
untertan (in der Liebe)." Das Paradox löst sich so: Bisher
musste ich mich bemühen, mit meinen Leistungen die Gnade Gottes zu
verdienen, mich Ihrer zumindest würdig zu erweisen. Nun aber hat
mich Gott von Schuld befreit, er macht mir ein gutes Gewissen und
verspricht mir Gnade und Leben - einfach weil er es so will, weil er
mich liebt. Das glaube ich ihm. Er hat es mir zugesagt und es sagt
mir zu. Darum bin ich frei und leicht.
Christliche Freiheit ist die Freiheit
des Gewissens - nämlich von seiner Belastung. Darum bindet sich
mein Gewissen an seinen Befreier. Ich möchte von mir aus Gottes
Liebe gerecht werden, ihm zu Gefallen leben - mit ihm lieben, und
versuche anderen zu dienen.
Das ist Freiheit! Das Gesetz Gottes
liegt nicht auf meinem Nacken, sondern Gott legt mir seine Liebe ins
Herz. Sein Geist macht mir Lust an seinem Gebot, sodass ich's tun
will ohne Furcht noch Zwang, sondern aus freiem und fröhlichem
Herzen.
Samstag, 10.11.2001
Heute ist Luthers Geburtstag. Was hat
er der Welt gebracht?
Vielen Menschen einen von Angst, Gewissennot und -druck befreiten,
persönlichen Glauben an den dreieinigen Gott.
Er hat das Evangelium wieder entdeckt
und in der Kirche befreit. Er schreibt: Evangelium ist eitel Freude.
Ein Licht in der Welt, das die Menschen erleuchtet und zu Kindern
Gottes macht. Wer es erkennt, der erkennt die überschwängliche
Güte Gottes,... die kein Herz je genug kann verwundern und
begreifen. Das ist das große Feuer der Liebe Gottes zu uns, davon
wird das Gewissen froh, sicher und zufrieden. Nehmen wir Luther
ernst und reformieren wir die Kirche. Menschen sollen gerne dorthin
gehen, weil sie Trost finden, ihre Verzagtheit überwinden und
fröhlich werden.
Die Kirche ist unser aller Heimat und
Auftrag. Beruf nannte man vor Luther nur die geistliche Berufung. Er
sieht, dass jeder Mensch von Gott in seine Aufgabe berufen und ihm
verantwortlich ist. Es ist Gottesdienst, ob die Magd die Stube kehrt
oder der Priester die Messe feiert.
Wir entdecken Gott als Liebhaber des
Lebens. Die Freude am Leben will uns ergreifen. Gott ist aller
Freude Grund. Luther gibt jedem Puritanismus, Perfektionismus und
Asketentum den Abschied. Er gibt aller Lebensfreude, Spiel, Tanz,
Wein, Gesang und Musik, Liebe der Geschlechter, Familie und
Berufserfolg Recht und ein gutes Gewissen. Nun freut euch, Iiebe
Christen g'mein und lasst uns fröhlich springen.
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