Morgengedanken

Sonntag, 02. 12. 2001. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

von Superintendent Werner Horn (Wien) v.d. Evang. Kirche

 

 

 

Sonntag, 2. Dezember 2001

 

Heute feiern wir den ersten Adventsonntag. Die erste Kerze am Adventkranz wird entzündet. Kinder zählen ab jetzt die Tage bis Weihnachten.

 

Grund auch für Erwachsene, die vor uns liegenden Tage einmal bewusst zu zählen? Sich die Bedeutung der Zahl bewusst zu machen? Jede Zahl sagt etwas aus. In vielerlei Hinsicht.

 

Heute die eins. Wer eine eins in der Schule bekommt, kann sich freuen. Die eins ist die beste Note bei der Schularbeit und im Zeugnis. Die eins ist das allen Zahlen gemeinsame Maß. Sie ist der Gegensatz zur Vielheit.

 

Daher ist sie die Zahl der göttlichen Einheit. "Gott ist einer", heißt es in der Bibel, sein Wesen ist Einheit. Der Mensch freilich hat die ursprüngliche Einheit zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf gestört. Darum wollte Jesus als der eine Mittler zwischen Gott und uns Menschen die verlorene Einheit und Gemeinschaft wiederherstellen. Deshalb bereiten wir uns jedes Jahr aufs neue vor, um seine Geburt und Menschwerdung zu feiern.

 

Und noch etwas sagt die Bibel: Gott hat aus Juden und Heiden ein neues Gottesvolk geschaffen, in dem es gilt, die Einigkeit durch das Band des Friedens zu erhalten. Wir sind berufen zu einerlei Hoffnung, haben einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe, einen Gott und Vater.

 

 

Montag, 3. Dezember 2001

 

Heute ist der zweite Tag der angebrochenen Adventzeit. Die Zahl zwei hat eine vielfältige Bedeutung.

 

Im Zeugnis ist die zwei gleichbedeutend mit "gut". Die zwei ist aber auch die Zahl der kleinsten Gemeinschaft. Zwei Menschen können einander in Freundschaft oder Liebe zugewandt sein. Die Ehe ist die Überwindung der Einsamkeit und möchte das Glück der Zweisamkeit vermitteln. Gegen das Singletum setzt Gott die Ehe als Geschenk der menschlichen Gemeinschaft.

 

Schon in der Bibel müssen zwei Zeugen die Wahrheit jeder Aussage bestätigen. Je zwei Jünger zusammen sendet Jesus aus, um das Reich Gottes anzusagen. Und er sagt: Niemand kann zwei Herren dienen. Er muss sich entscheiden zwischen Gott und den Mammon. Und am Ende der Bergpredigt spricht er von den zwei Wegen: dem breiten Weg, der zur Verdammnis führt, und dem schmalen Weg, der zum Leben führt.

 

Oft bin ich hin- und hergerissen zwischen zwei Möglichkeiten und weiß nicht, welche ich wählen soll. Der Mensch muss sich entscheiden, welchen Weg er gehen will. Und er sollte wissen: Nicht immer ist der angenehme, bequeme Weg der bessere.

 

 

Dienstag, 4. Dezember 2001

 

Heute ist der dritte Tag der Adventzeit Die Zahl drei ist eine besondere. In Märchen, Sagen und Legenden begegnet sie uns oft. Aber auch in der Bibel: Drei Tage war der biblische Joseph im Brunnen und drei Tage war Paulus blind. Die heiligen drei Könige sind ebenso bekannt wie die drei Brüder oder drei Schwestern im Märchen und die drei Rosen oder drei Lilien im Volkslied. Ein Gast soll, nach türkischer Sitte, drei Tage, drei Wochen oder drei Monate bleiben.

 

Die alten Griechen haben von einer Dreiteilung des Menschen gesprochen: Leib, Seele und Geist. Und der jüdische Tempel in Jerusalem bestand aus drei Teilen: dem Vorhof, dem Heiligen und dem Allerheiligsten. Diese drei Teile bildeten das Heiligtum, die Wohnung Gottes unter seinem Volk. Dreimal ertönt das "Heilig" bei der Berufung des Propheten Jesaja. Und dreigliedrig ist auch der aaronitische Segen in der Bibel, der jeden evangelischen Gottesdienst am Sonntag beschließt.

 

Auch bei Jesus spielt die Dreizahl eine Rolle: Dreifach ist der Angriff des Versuchers gegen ihn und drei Tage liegen zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung.

 

Schon sehr früh hat christliche Theologie von der Dreieinigkeit Gottes gesprochen. Sie wollte damit aussagen: Gott offenbart sich als Vater, Sohn und Geist. Diese Trinität gedanklich ganz zu verstehen, übersteigt freilich unsere Möglichkeiten. Sie bleibt ein Geheimnis.

 

 

Mittwoch, 5. Dezember 2001

 

Schon den vierten Tag seit Beginn der Adventzeit begehen wir heute. Was hat es mit der Zahl vier auf sich?

 

Wir kennen vier Jahreszeiten. Vier ist die Zahl der Himmelsrichtungen und der Winde. Die vier bezeichnet die Gesamtheit der geschaffenen Welt. Daher spricht die Bibel von den vier Enden der Erde und von den vier "Hauptwassern", in die sich der Paradiesstrom teilt.

 

Vierzig Jahre wandert Israel in der Wüste, vierzig Tage weilt Mose auf dem Gottesberg und der Prophet Elia braucht vierzig Tage und vierzig Nächte zur Wallfahrt an den Horeb: Auch von Jesus heißt es, dass er vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste gefastet hat.

 

Weiters spielt die vier eine Rolle in der Beschreibung der vier lebendigen Wesen am Thron Gottes, wie sie im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, enthalten ist.

 

Mehrstimmiger Gesang ist in der Regel vierstimmig. Sopran, Alt, Tenor und Bass teilen sich die Stimmen. In einem Streich-Quartett spielen zwei Violinen, eine Bratsche und ein Violoncello. Auch bei Unterhaltungsspielen ist es gut, wenn es vier sind.

 

Vier ist eine gute Zahl. Zu viert lässt sich schon etwas machen. Das können zwei Ehepaare sein oder vier Freunde. Vier entwickeln noch einmal ein anderes Gemeinschaftsgefühl als zwei. Das merken auch zwei Eheleute, wenn sie etwa zwei Kinder haben.

 

 

Donnerstag, 6. Dezember 2001

 

In China galt die fünf als Glückszahl. Der Islam spricht von fünf Säulen des Glaubens und vom fünfmaligen Gebet, das der Gläubige täglich verrichten soll.

 

Dem Pentagramm hat man magische, auch abwehrende Kräfte zugesprochen.

 

In der Bibel begegnet uns die Fünf-Zahl in der Geschichte von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen. Die einen schlafen ein, die anderen bleiben wach, bis der Bräutigam - gemeint ist Christus - kommt. Daher haben sie Öl mitgenommen als Lichtreserve für den Weg durch die Nacht. Die fünf törichten Jungfrauen haben auf dieses Öl vergessen.

 

Man kann das Leben und das Entscheidende im Leben verschlafen. Man kann aber auch wachen Auges und Sinnes seine Tage zubringen. Man kann viel erleben und doch blind bleiben für das wirkliche Leben. Man kann die Stunden verplempern mit Unnützem. Oder aber: man kann bewusst das aufgreifen, was der Tag einem bietet als Chance, auch als Aufgabe.

 

Vielleicht haben wir ein Ölproblem. Vielleicht fehlt uns der Wille, die Hoffnung durchzuhalten, die Geduld im Warten. Vielleicht fehlt uns manchmal im entscheidenden Augenblick das rettende Licht, die helfende Erleuchtung. Vielleicht löschen wir unsere Lichter zu früh aus und es bleibt dann dunkel, wenn Licht nötig wäre.

 

 

Freitag, 7. Dezember 2001

 

Mit diesem Morgen liegt bereits der sechste Tag der Adventzeit vor uns.

 

Sechs Tage beträgt nach der Bibel die Zahl der Schöpfungstage. In sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Damit ist nicht eine naturwissenschaftliche Aussage gemacht, denn wir wissen natürlich, dass die Entstehung der Welt, so wie wir sie heute vor Augen haben, wesentlich länger, nämlich Millionen von Jahren gedauert hat.

 

Und doch hat die Darstellung der Schöpfung in einem Sechs-Tage-Werk einen tiefen Sinn. Sie macht deutlich, dass diese Welt einen Anfang hat und dass sie in einer bestimmten Ordnung und Reihenfolge entstanden ist, die nicht zufällig ist, sondern Gottes Plan und Willen entspricht. Dabei ist es erstaunlich, dass im wesentlichen auch die Naturwissenschaft die gleiche Reihenfolge in der Entstehungsgeschichte der Erde beschreibt wie der biblische Schöpfungsbericht.

 

Gottes Schöpfung wohnt ein Sinn und eine Ur-Ordnung inne. Daher ist die Schöpfung nicht stumm. Sie redet durch diese Ordnung zum Menschen und weist ihn auf den Schöpfer hin. "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk", heißt es deshalb im 19. Psalm.

 

Von dieser Ordnung leben wir heute noch. Gott wollte die Welt und darum existiert sie. Er wollte die ganze Vielfalt der Pflanzen und Tiere und darum dürfen wir sie nicht ausrotten. Er wollte schließlich den Menschen, aber nicht, damit er diese Erde zerstört, sondern damit er sie erhält und sich an ihr erfreut.

 

 

Samstag, 8. Dezember 2001

 

Mit dem siebenten Tag der Adventzeit geht bereits die erste Woche zu Ende.

 

Die Zahl sieben war schon bei den Sumerern heilig, dann speziell bei den Sunniten. Sie bezeichnet die Vollkommenheit des Universums. Im jüdischen Sabbat kommt Gott nach sechs Schöpfungstagen zur Ruhe und das jüdische Volk leitet von daher die Begründung des menschlichen Ruhe- und Feiertages vom Ruhen Gottes und damit seiner Einsetzung des Sabbats ab. An sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen, aber am siebenten Tag hat er geruht. Daher hat auch der Mensch das Recht, ja die Pflicht, auszuruhen von den Anstrengungen der Arbeit.

 

Für Israel ist sieben die vollkommene Zahl. Der Prophet Sacharja spricht von den sieben Augen Gottes. Man denke an den siebenarmigen Leuchter, die siebentägigen Feiern beim Passa und Laubhüttenfest. Auch sonst kommt in alttestamentlichen Erzählungen die Zahl sieben immer wieder vor, etwa wenn von sieben Kühen Pharaos die Rede ist.

 

Nicht nur die 1. Sure des Korans, sondern auch das Vaterunser hat sieben Bitten. Und die kirchliche Überlieferung spricht von sieben Gaben des Hl. Geistes.

 

Der siebente Tag, der Sabbat, und das siebente Jahr, das Sabbatjahr, gliedern und ordnen für den Juden Zeit, Arbeit und Gottesdienst des Menschen. Wenn auch die Christen am ersten Tag der Woche ihre Gottesdienste feiern, bleiben sie sich doch dieser Ordnung bewusst.