Morgengedanken

Sonntag, 06. 01. 2002. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

von Dr. Angelika Pressler

 

 

Sonntag 6. Jänner 2002

Der vierte König

 

Dieser andere, vierte König stammte aus Russland, so erzählt die Legende. Auch er folgte dem Stern und wollte seinen Gott finden und ihm huldigen. Aber der vierte König war ein Träumer. Er ließ sich aufhalten, ist nie mit der Karawane der drei anderen zusammen getroffen. Einmal waren es frierende Kinder, denen er seine Pelze schenkte. Ein anderes Mal überließ er einem Bauern Pferd und Schlitten, damit er das mühsam gefällte Holz in die Stadt bringen konnte. Und die Juwelen, die für seinen Gott gedacht waren, gab er einem Tagelöhnerpaar. Als sein Stern schon lange verschwunden war, verdingte er sich selbst als Sklave auf eine Galeere, um damit den einzigen Sohn einer Witwe frei zu kaufen. Mehr als dreißig Jahre lang ist er auf der Ruderbank gesessen, hat die Weltmeere durchquert, immer auf der Suche nach seinem Stern. Schließlich sei er – so erzählt die Legende – in ein fernes Land gekommen. Und dort soll er den Stern wieder gefunden haben, in den Augen eines Mannes, der inmitten von zwei anderen auf einem Kreuz hing und ihn ansah.

 

 

Montag, 7. Jänner 2002

Der Pferdeknecht von König Balthasar?

 

Zu früher Stunde möchte ich heute schon ihre Phantasie bemühen. Ich stelle mir nämlich die Karawane der Hl. Drei Könige auf ihrem Rückweg vor. Die Kamele und Dromedare, die Packesel und Reitpferde, Knechte, Mägde, die flirrende Wüstenhitze und die eisigen Nächte. Und ich stelle mir Abdullah vor, den Pferdeknecht von König Balthasar. Abdullah ist noch jung, fast so jung wie das neue Jahr. Hat noch nicht viel gesehen von dieser Welt, gerade genug, um mitzubekommen, dass das Leben wie eine Prügelstrafe ist: Schlucken, durchatmen und keinen Mucks von sich geben. Zusammengekrümmt und immer ein bisschen mürrisch, tagaus, tagein – das ist Abdullahs Alltagstrott. Aber jetzt auf dem Rückweg in die Heimat scheint Abdullah wie verwandelt. Seinen Kopf trägt er, als wär’ eine Krone drauf, leichtfüßig läuft er durch den Wüstensand, ständig mit der Melodie im Ohr: Ich bin wer, ich bin wer, ich bin wer. Niemand weiß, dass er den drei Königen heimlich gefolgt ist; niemand weiß, dass auch er das Kind gesehen hat, und dass es ihm zugezwinkert hat, ihm ganz allein. Seitdem fühlt er sich wie ein König, Abdullah, der Pferdeknecht!

 

 

Dienstag, 8. Jänner 2002

König Melchiors Kamel

 

Kennen Sie ein Kamel? Nein, kein menschliches, und auch nicht eines aus dem Tiergarten, aus ihrer Weihnachtskrippe meine ich, ein Kamel aus der Karawane der Hl. Drei Könige. Genau von so einem Kamel habe ich heute Nacht geträumt. "Schochia heiße ich", so stellte es sich vor. "Ich bin das Kamel von König Melchior. Sein bestes. Deshalb hat er mich auch mitgenommen auf die weite Reise." Und es blickte mich aus seinen großen, kamelbraunen Augen ein wenig eitel an. "Soviel ich weiß", fuhr es fort, "hat unsereins bei euch ja nicht gerade den besten Ruf; von wegen Trampeltier und blödes Kamel. Aber hast du schon einmal bedacht, was mit den drei Königen ohne mich und meine Schwestern gewesen wäre? Richtig, aus, Maus! Der Wüstensand hätte sie geschluckt wie ein Rebhuhn den Wurm, und selbst wenn sie es geschafft hätten bis zu ihrem Ziel Bethlehem, spätestens nachher hätten die Herodes-Soldaten sie erwischt. Aber unsere Ausdauer, unsere Geduld, unsere leisen Sohlen, das hat die Drei Könige auf ihrem Heimweg gerettet. Wäre doch jammerschade gewesen um sie!"

Und damit hat Schochia, das Kamel, gar nicht so Unrecht, wie ich meine.

 

 

Mittwoch, 9. Jänner 2002

Nurreija, die Gemahlin von König Caspar

 

Schon wieder bemühe ich in aller Frühe ihre Phantasie. Ich stelle mir nämlich vor, wie wäre das, wenn einer der der Hl. Drei Könige eine Frau gehabt hätte? Ich glaube, dann hätte sich folgendes zugetragen:

Da gab es Nurreija, die Frau von König Caspar. Sie war schön, warmherzig und weise. Nur eines hatte sie nicht mehr: Die Liebe ihres Mannes und seine Lust am Leben, sie waren im Alltag der Regierungsgeschäfte kalt geworden. Nichts konnte ihn aufheitern, trübsinnig verbrachte er den Tag in einem abgedunkelten Raum oder starrte ziellos in den Nachthimmel. Selbst die klügsten Ärzte des Landes schüttelten bei seinem Anblick nur ratlos den Kopf. Bis eines Abends Nurreija, die ja bekannt war für ihre astronomischen Studien, einen neuen Stern entdeckte. Ich glaube, sie muss es irgendwie geschafft haben, ihren Mann zu davon überzeugen, dass es seiner ist, seine letzte Chance, das Leben in die Hand zu nehmen und aufzubrechen. Denn die weitere Geschichte kennen wir: Von den drei Königen und ihrer langen Reise. Als er zurückkam, der König Caspar, da war er ziemlich verändert, zur großen Freude von Nurreija!

 

 

Donnerstag, 10. Jänner 2002

Nabim, der Weihrauchhändler

 

Neulich als ich mein Weihrauch-Pfännchen über die Flamme stellte, erzählte mir der aufsteigende Rauch eine merkwürdige Geschichte. Dabei ging es um Nabim, jenem Weihrauch-Händler, der den drei Weisen aus dem Morgenland die kostbaren Harzklümpchen verkauft hatte. Nabim war ein gewiefter Händler, und er war schon unzählige Male die Weihrauchstraße entlang gezogen, oft bis hinauf zur roten Sandwüste Wahiba. Als Kenner seines Faches wusste Nabim natürlich um die betörende Wirkung des Harzes. Schließlich ist Weihrauch im Orient ja höchst begehrt gewesen als Aphrodisiakum, als Liebesmittel, denn sein Duft ließ die Sinne weit werden und die Gedanken schmelzen. Für die Könige ließ Nabim lächelnd eine ganz besondere Sorte verpacken. Und Jahre später hörte er auf Umwegen, dass in einem fernen Land ein junges Paar im Duft seines Weihrauchs zueinander in Liebe entbrannte. Dem Mann, einem gewissen Josef, sei damals klar geworden, was er an seiner Maria hat. Wie die Geschichte weitergegangen ist, davon weiß Nabim nichts, dass es eine Liebesgeschichte war, davon ist er überzeugt.

 

 

Freitag, 11. Jänner 2002

Fatima, die Myrrhe-Sammlerin

 

Haben sie eine Ahnung, was das für ein Geschenk war, die Myrrhe? Es ist ein Harz und tropft aus der angeschnittenen Rinde des Myrrhestrauches, der zur Familie der Weihrauchgewächse gehört. Und dazu möchte ich ihnen die Geschichte von Fatima, der Myrrhesammlerin, erzählen:

Die kleine Fatima musste jeden Morgen vor Sonnenaufgang zu den Myrrhesträuchern des reichen Omar gehen, um das klebrige Harz von der Rinde zu lösen. Fatima hasst das Myrrhesammeln. Denn die Strauchgewächse sind voll von spitzigen Dornen, an denen sie sich regelmäßig Arme und Beine wund reißt. Um nicht immer an den Schmerz zu denken, beginnt sie eines Tages zu singen. Sie singt von Sehnsucht und Zärtlichkeit, von den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes. Wir heute hätten dieses Lied natürlich sofort erkannt, hätten gesagt: "Ach, das ist ja, Maria durch ein Dornwald ging!"

Aber diesen Text kannte Fatima nicht. Sie hatten ihre eigenen Worte, mit denen sie die verklebten Hände vergessen konnte, die stechenden Dornen und die blutigen Fußsohlen. Mit dem Lied der kleinen Myrrhesammlerin im Dornwald.

 

 

Samstag, 12. Jänner 2002

Die Königin von Saba

 

Sind sie schon munter oder noch ein bissl traumverhangen? Träumen’s doch weiter, zum Beispiel von der Königin von Saba, nicht die, die den alten König Salomo besucht hat, sondern ihre Ur-Ur-Ur-Ur-Urenkelin. Sie regierte zu jener Zeit, als Kaiser Augustus im Westen herrschte und ein gewisser Herodes König von Jerusalem war. Sie war klug und besonnen und verstand es, in den Herzen der Menschen zu lesen.

Zu ihr kamen eines Tages drei Nachbarkönige, nebenberuflich weise Sterndeuter, um ihr von einem neuen Stern zu erzählen und den Weissagungen, die sich daran knüpften. Von einem Neugeborenen war die Rede, mit dem die Liebe in die Welt kommen sollte. Und die Drei baten die königliche Herrin höflich, sich ihnen auf der Suche nach dem Kind der Liebe anzuschließen; zudem sei es in Damenbegleitung amüsanter zu reisen und mache wohl auch mehr Eindruck. Die Königin von Saba dachte lange nach und sagte dann: "Verehrte Herren, wollt ihr die Liebe finden oder wollt ihr Zerstreuung und Macht?" Sprach’s und entließ mit einer königlichen Handbewegung die drei Sterndeuter, die verdutzt und etwas betreten zu ihrer Karawane zurückkehrten.