von P. Dr. Augustin M. Pötscher (Wien)
Sonntag, 13. Jänner 2002
Taufe des Herrn, Ende der Weihnachtszeit, für Jesus beginnt der
Ernst des Lebens. Und es ist mehr als ungewöhnlich, wie er seinen
ersten öffentlichen Auftritt gestaltet. Eine Wallfahrt zum heiligen
Fluss Jordan, wo Johannes sein Verwandter für Aufsehen sorgt, von
sich reden macht. Er ein Asket, seine Predigt hart, kompromisslos.
Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Ändert euch total, sonst
bleibt ihr übrig, wenn der von Gott gesandte Retter kommt. Jesus
reiht sich unter die Hörenden ein, reiht sich ein in die
Bundesgeschichte Israels. Als auch er in die reinigenden Wellen
hinabsteigt, erschrickt Johannes: Du? Du bist doch der, auf den ich
diese Menschen vorbereiten will. Ja, ich, ich bin ein Mensch wie
alle hier. Und auch wenn ich nicht schuldig geworden bin, ist es
eine Aufgabe, alle Schuld auf mich zu nehmen, sie wegzunehmen - wie
Gott es in seiner Liebe will. In Jesus Christus ist Gott mit und
für uns alle Mensch geworden - ist das noch mehr als eine
abgegriffene Floskel. In seiner Taufe am Jordan macht sich Jesus mit
uns solidarisch bis zuletzt, so sehr, dass dieser Auftritt
missdeutbar ist, er ist auch ein Sünder. Taufe des Herrn, Jesus
unter schuldig Gewordenen. Er steht auch heute fest zu uns in
unserer Schuldgeschichte.
Montag, 14. Jänner 2002
Unsere katholischen Bischöfe haben dieses Jahr 2002 unter das
Motto "Berufung" gestellt. Die Geschichte der Taufe des
Herrn zeigt für mich gut, was mit Berufung gemeint ist. Wenn Jesus
sicher als der Sohn Gottes noch einmal eine ganz einzigartige
Berufung hatte, ereignet sich diese bei ihm nicht anders als bei
uns. Berufung - es tut sich der Himmel auf, Gott berührt mich, Gott
spricht mich an. Gott hat eine ganz bestimmte Erwartung an mich. Und
er vermittelt mir auch seine Vorstellung, der oder die ich in seinem
Plan sein darf. So eröffnet sich auch für Jesus, vermutlich nach
Jahren, in denen er ein einfaches Leben in Nazareth führte,
schlaglichtartig, wer er ist: der vom Vater geliebte Sohn Gottes.
Berufung - wie ein Blitzlicht geht Jesus seine Bestimmung in den
Augen Gottes auf. Und die Evangelien sagen, dass alle, die am Jordan
waren, überwältigt sind, auch Jesus selbst. Berufung können wir
nicht machen, wir können sie nur annehmen. Für jeden von uns, der
seiner Berufung folgt, war einmal der Himmel offen.
mir.
Dienstag, 15. Jänner 2002
Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel: Berufung geht
von Gott aus und gipfelt in der Antwort: Rede, Herr, dein Diener
hört. Ich bin hier der Hörende und Empfangende. Und Berufung muss
auch nicht mit spektakulären Erfahrungen verbunden sein, wie bei
Jesaja oder bei Jesus am Jordan. Solche sind die Ausnahme, nicht die
Regel. Die meisten Berufungsgeschichten brauchen keine
außerordentliche Vision. Es ist entlastend, dass große Propheten
wie Jeremia oder Jona sich nur mit Wasser gekocht haben. Sie haben
Angst vor dem, was sie erwartet und wollen sich mit fadenscheinigen
Ausreden der Einladung Gottes entziehen. Durch ihr Ja werden sie mit
Gottes Hilfe zu großen Taten für das Volk fähig. Als ich selbst
damit gerungen habe, meine Berufung anzunehmen, waren mit diese
Geschichten ein großer Halt. Besonders jene der Verkündigung an
Maria: Auf die Botschaft des Engels fragt sie zurück: Wie soll denn
das gehen und sagt dann aus dem Glauben Ja zu einem atemberaubenden
Abenteuer, Mutter des Sohnes Gottes zu werden. Dieses Ja, diese
Entscheidung kann mir niemand abnehmen.
Mittwoch, 16. Jänner 2002
Berufung ist kein übersinnlicher oder esoterischer Vorgang,
sondern Einladung zu einer Erfahrung mit Gott. In meinem Orden bin
ich Leiter unseres Noviziates, des Probejahres für Kandidaten, die
sich uns anschließen wollen. Ich habe diesen Dienst mit einigem
Bauchweh angenommen. Ein bisschen ist es die Rolle, wie Jesus seine
ersten Jünger ruft: Komm und sieh, probier es aus, du bist
eingeladen. Lass dich ein. Berufung - das Ja dazu ist nicht
theoretisch abzusichern, sondern ist meine Glaubenserfahrung in
einer Gemeinschaft. So sage ich denn meinen Jungen: Ich kann euch
die Entscheidung nicht abnehmen, ich kann mit euch nur
Rahmenbedingungen schaffen, von denen ich glaube, dass sie euch eine
Entscheidungshilfe sein können. Ich denke in diesem Jahr oft über
meine eigene Berufungsgeschichte nach, die auch bei mir so manche
Ehrenrunde nahm, aber im Rückblick fädeln sich die Ereignisse
stimmig auf. Gott führt Regie und alle Ereignisse erhalten ihren
Platz. Ich versuche Tag für Tag aus dem Vertrauen zu leben, dass
der, der mich gerufen hat, auch weiterhin begleitet und führt.
Donnerstag, 17. Jänner 2002
Heute begehen wir den Welttag des Judentums, der Gott sei Dank
unter uns Christen ein immer breiteres Echo findet. In
Gottesdiensten denken wir an und danken wir für unsere jüdischen
Wurzeln. Das 2. Vatikanische Konzil hat hier eine große Wende
gebracht, ein längst überfälliges Umdenken. Eigentlich
Selbstverständliches wurde zur großen Neuentdeckung. Die Juden
sind unsere älteren Geschwister, der erste Bund hat auch für uns
Christen Heilswert, Jesus war Jude. In diesem neuen Verhältnis zum
Judentum ist unsere Kirche, in der ersten Reihe Papst Johannes Paul
II., absolut konsequent, ein Bonus, den andere Konzilstexte nicht
teilen. Ich kann auch das Neue Testament ohne den Schauplatz des
Palästina der Zeitenwende nicht mehr lesen. Begegnungserfahrungen
mit jüdischen Gemeinden haben bei mir einen tiefen Eindruck
hinterlassen. Es wäre für mich schlichtweg grotesk, ohne die
christlichen Wurzeln Christ sein zu wollen. Immer klarer wurde mir:
Verdränge ich das "jüdische" in meinem Glauben, säge
ich mir den Ast ab, auf dem ich sitze...
Freitag, 18. Jänner 2002
Heute beginnen wir die 50. Weltgebetswoche für die Einheit der
Christen. Wir Christen versammeln uns in den kommenden Tagen zu
ökumenischen Gottesdiensten, Gebetskreisen, Gesprächsgruppen, die
unter dem Motto des letzten Gebetes Jesu vor seinem Leiden und
Sterben - Vater, gib, dass alle eins seien, stehen. 50 Jahre
Weltgebetswoche. Doch manche hegen den Eindruck: Treten wir nicht
auf der Stelle, sind wir im ökumenischen Miteinander nicht an
Grenzen gekommen, wo es nicht mehr weiter geht. Wie können wir die
letzten Hürden überwinden? Keine Frage, Rückschläge gibt es.
Aber kein Grund zur Resignation: In diesen 50 Jahren ist Epochales
passiert. Auf der Sachebene ist der Dialog anspruchsvoller geworden,
auf der Beziehungsebene hat sich zwischen den Kirchen enormes
entwickelt. Begegneten sich die Kirchen anfänglich mit
Berührungsangst, reserviert, misstrauisch, gehen wir heute
herzlich, mit Toleranz und Wertschätzung miteinander um. Das ist
eine Grundlage, miteinander so manche inhaltliche Spannung
auszuhalten. Und ich bin ganz sicher: Jesus selbst wird uns die
Einheit schenken, wenn wir das Unsere dazu beigetragen haben.
Samstag, 19. Jänner 2002
Ökumene ist Begegnung, ist Dialog, ist Weite und Mut, über den
eigenen Schatten zu springen, bewusst über den eigenen Tellerrand
hinauszuschauen. Um neue Horizonte zu erahnen, muss ich mich darauf
einlassen, aus meinem Schneckenhaus herauszukriechen. Mit den
Kirchen ist es wie mit zwei sich begegnenden Menschen. In jeder
Begegnung liegt immer eine doppelte Möglichkeit: sich zu
blockieren, indem man das einem Fremde Andere im Anderen ablehnt
oder sich ungemein zu ergänzen und zu bereichern. Letzteres möchte
Ökumene: versöhnte Verschiedenheit. Für mich ist Ökumene ein
wenig wie ein Orchester. Die Kirchen und Religionen sind für mich
Gottes Orchester für diese Welt. Den vollen Klang gibt es nur, wenn
alle zusammenspielen. Es mag schon sein, dass in diesem Orchester
des Gespräches zwischen den Kirchen und Religionen noch manchen
schrillen Ton gibt, aber in den letzten 50 Jahren hat sich das
Ensemble Ökumene überraschend passabel gemausert.