Morgengedanken

Sonntag, 13. 01. 2002. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

von P. Dr. Augustin M. Pötscher (Wien)

 

 

Sonntag, 13. Jänner 2002

 

Taufe des Herrn, Ende der Weihnachtszeit, für Jesus beginnt der Ernst des Lebens. Und es ist mehr als ungewöhnlich, wie er seinen ersten öffentlichen Auftritt gestaltet. Eine Wallfahrt zum heiligen Fluss Jordan, wo Johannes sein Verwandter für Aufsehen sorgt, von sich reden macht. Er ein Asket, seine Predigt hart, kompromisslos. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Ändert euch total, sonst bleibt ihr übrig, wenn der von Gott gesandte Retter kommt. Jesus reiht sich unter die Hörenden ein, reiht sich ein in die Bundesgeschichte Israels. Als auch er in die reinigenden Wellen hinabsteigt, erschrickt Johannes: Du? Du bist doch der, auf den ich diese Menschen vorbereiten will. Ja, ich, ich bin ein Mensch wie alle hier. Und auch wenn ich nicht schuldig geworden bin, ist es eine Aufgabe, alle Schuld auf mich zu nehmen, sie wegzunehmen - wie Gott es in seiner Liebe will. In Jesus Christus ist Gott mit und für uns alle Mensch geworden - ist das noch mehr als eine abgegriffene Floskel. In seiner Taufe am Jordan macht sich Jesus mit uns solidarisch bis zuletzt, so sehr, dass dieser Auftritt missdeutbar ist, er ist auch ein Sünder. Taufe des Herrn, Jesus unter schuldig Gewordenen. Er steht auch heute fest zu uns in unserer Schuldgeschichte.

 

 

Montag, 14. Jänner 2002

 

Unsere katholischen Bischöfe haben dieses Jahr 2002 unter das Motto "Berufung" gestellt. Die Geschichte der Taufe des Herrn zeigt für mich gut, was mit Berufung gemeint ist. Wenn Jesus sicher als der Sohn Gottes noch einmal eine ganz einzigartige Berufung hatte, ereignet sich diese bei ihm nicht anders als bei uns. Berufung - es tut sich der Himmel auf, Gott berührt mich, Gott spricht mich an. Gott hat eine ganz bestimmte Erwartung an mich. Und er vermittelt mir auch seine Vorstellung, der oder die ich in seinem Plan sein darf. So eröffnet sich auch für Jesus, vermutlich nach Jahren, in denen er ein einfaches Leben in Nazareth führte, schlaglichtartig, wer er ist: der vom Vater geliebte Sohn Gottes. Berufung - wie ein Blitzlicht geht Jesus seine Bestimmung in den Augen Gottes auf. Und die Evangelien sagen, dass alle, die am Jordan waren, überwältigt sind, auch Jesus selbst. Berufung können wir nicht machen, wir können sie nur annehmen. Für jeden von uns, der seiner Berufung folgt, war einmal der Himmel offen.

mir.

 

 

Dienstag, 15. Jänner 2002

 

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel: Berufung geht von Gott aus und gipfelt in der Antwort: Rede, Herr, dein Diener hört. Ich bin hier der Hörende und Empfangende. Und Berufung muss auch nicht mit spektakulären Erfahrungen verbunden sein, wie bei Jesaja oder bei Jesus am Jordan. Solche sind die Ausnahme, nicht die Regel. Die meisten Berufungsgeschichten brauchen keine außerordentliche Vision. Es ist entlastend, dass große Propheten wie Jeremia oder Jona sich nur mit Wasser gekocht haben. Sie haben Angst vor dem, was sie erwartet und wollen sich mit fadenscheinigen Ausreden der Einladung Gottes entziehen. Durch ihr Ja werden sie mit Gottes Hilfe zu großen Taten für das Volk fähig. Als ich selbst damit gerungen habe, meine Berufung anzunehmen, waren mit diese Geschichten ein großer Halt. Besonders jene der Verkündigung an Maria: Auf die Botschaft des Engels fragt sie zurück: Wie soll denn das gehen und sagt dann aus dem Glauben Ja zu einem atemberaubenden Abenteuer, Mutter des Sohnes Gottes zu werden. Dieses Ja, diese Entscheidung kann mir niemand abnehmen.

 

 

Mittwoch, 16. Jänner 2002

 

Berufung ist kein übersinnlicher oder esoterischer Vorgang, sondern Einladung zu einer Erfahrung mit Gott. In meinem Orden bin ich Leiter unseres Noviziates, des Probejahres für Kandidaten, die sich uns anschließen wollen. Ich habe diesen Dienst mit einigem Bauchweh angenommen. Ein bisschen ist es die Rolle, wie Jesus seine ersten Jünger ruft: Komm und sieh, probier es aus, du bist eingeladen. Lass dich ein. Berufung - das Ja dazu ist nicht theoretisch abzusichern, sondern ist meine Glaubenserfahrung in einer Gemeinschaft. So sage ich denn meinen Jungen: Ich kann euch die Entscheidung nicht abnehmen, ich kann mit euch nur Rahmenbedingungen schaffen, von denen ich glaube, dass sie euch eine Entscheidungshilfe sein können. Ich denke in diesem Jahr oft über meine eigene Berufungsgeschichte nach, die auch bei mir so manche Ehrenrunde nahm, aber im Rückblick fädeln sich die Ereignisse stimmig auf. Gott führt Regie und alle Ereignisse erhalten ihren Platz. Ich versuche Tag für Tag aus dem Vertrauen zu leben, dass der, der mich gerufen hat, auch weiterhin begleitet und führt.

 

 

Donnerstag, 17. Jänner 2002

 

Heute begehen wir den Welttag des Judentums, der Gott sei Dank unter uns Christen ein immer breiteres Echo findet. In Gottesdiensten denken wir an und danken wir für unsere jüdischen Wurzeln. Das 2. Vatikanische Konzil hat hier eine große Wende gebracht, ein längst überfälliges Umdenken. Eigentlich Selbstverständliches wurde zur großen Neuentdeckung. Die Juden sind unsere älteren Geschwister, der erste Bund hat auch für uns Christen Heilswert, Jesus war Jude. In diesem neuen Verhältnis zum Judentum ist unsere Kirche, in der ersten Reihe Papst Johannes Paul II., absolut konsequent, ein Bonus, den andere Konzilstexte nicht teilen. Ich kann auch das Neue Testament ohne den Schauplatz des Palästina der Zeitenwende nicht mehr lesen. Begegnungserfahrungen mit jüdischen Gemeinden haben bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Es wäre für mich schlichtweg grotesk, ohne die christlichen Wurzeln Christ sein zu wollen. Immer klarer wurde mir: Verdränge ich das "jüdische" in meinem Glauben, säge ich mir den Ast ab, auf dem ich sitze...

 

 

Freitag, 18. Jänner 2002

 

Heute beginnen wir die 50. Weltgebetswoche für die Einheit der Christen. Wir Christen versammeln uns in den kommenden Tagen zu ökumenischen Gottesdiensten, Gebetskreisen, Gesprächsgruppen, die unter dem Motto des letzten Gebetes Jesu vor seinem Leiden und Sterben - Vater, gib, dass alle eins seien, stehen. 50 Jahre Weltgebetswoche. Doch manche hegen den Eindruck: Treten wir nicht auf der Stelle, sind wir im ökumenischen Miteinander nicht an Grenzen gekommen, wo es nicht mehr weiter geht. Wie können wir die letzten Hürden überwinden? Keine Frage, Rückschläge gibt es. Aber kein Grund zur Resignation: In diesen 50 Jahren ist Epochales passiert. Auf der Sachebene ist der Dialog anspruchsvoller geworden, auf der Beziehungsebene hat sich zwischen den Kirchen enormes entwickelt. Begegneten sich die Kirchen anfänglich mit Berührungsangst, reserviert, misstrauisch, gehen wir heute herzlich, mit Toleranz und Wertschätzung miteinander um. Das ist eine Grundlage, miteinander so manche inhaltliche Spannung auszuhalten. Und ich bin ganz sicher: Jesus selbst wird uns die Einheit schenken, wenn wir das Unsere dazu beigetragen haben.

 

 

Samstag, 19. Jänner 2002

 

Ökumene ist Begegnung, ist Dialog, ist Weite und Mut, über den eigenen Schatten zu springen, bewusst über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Um neue Horizonte zu erahnen, muss ich mich darauf einlassen, aus meinem Schneckenhaus herauszukriechen. Mit den Kirchen ist es wie mit zwei sich begegnenden Menschen. In jeder Begegnung liegt immer eine doppelte Möglichkeit: sich zu blockieren, indem man das einem Fremde Andere im Anderen ablehnt oder sich ungemein zu ergänzen und zu bereichern. Letzteres möchte Ökumene: versöhnte Verschiedenheit. Für mich ist Ökumene ein wenig wie ein Orchester. Die Kirchen und Religionen sind für mich Gottes Orchester für diese Welt. Den vollen Klang gibt es nur, wenn alle zusammenspielen. Es mag schon sein, dass in diesem Orchester des Gespräches zwischen den Kirchen und Religionen noch manchen schrillen Ton gibt, aber in den letzten 50 Jahren hat sich das Ensemble Ökumene überraschend passabel gemausert.