Morgengedanken

Sonntag, 17. 02. 2002. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

von Mag. Gilbert Schandera (OÖ)

 

 

Sonntag, 17. Februar 2002

"Älter werden"

 

Eigenartig. Zwei Tage nach dem Aschermittwoch, an dem ich duzende Male das Aschenkreuz gegeben habe, bekomme ich Post. Unter meinen Namen steht: "Pfarrer in Ruhe". Irgendein Irrtum. Ich fühle mich noch nicht so alt und trotzdem hat mich der Briefumschlag nachdenklich gestimmt.

Es ist eine gewisse Wehmut in der Erfahrung, auf den letzten Lebensabschnitt zuzugehen. Die äußeren Kräfte nehmen ab, man spürt die Verengung der Entscheidungsmöglichkeiten.

Gleichzeitig ist mir aber bewusst geworden, dass ich mich noch nie so wohl gefühlt habe wie jetzt. Ist das Älterwerden nicht zu vergleichen mit dem Bergwandern? Je höher es hinaufgeht, desto mehr Kräfte sind verbraucht. Aber umso schöner und weiter ist auch die Ansicht.

Zwei Linien kreuzen sich im Leben. Die eine beginnt oben und fällt nach und nach ab – bis zum Tod. Die andere steigt von oben ganz unten auf.

Je bewusster wir leben, je mehr wir versuchen, über unsere Grenzen hinauszuschauen, desto stärker steigt sie. Diese aufsteigende Linie trägt und hoffentlich mit und lässt uns mit Gelassenheit auf die Absteigende schauen. Das möchte uns diese Fastenzeit ein wenig zeigen.

 

 

Montag, 18. Februar 2002

Die eigene Würde können wir uns nur selber geben

 

Ganz selbstverständlich klagen wir über das Böse, das andere uns antun. Selbstverständlich meinen wir immer, Opfer der anderen zu sein.

Vor lauter Selbstmitleid kommen wir nicht dazu, unsere Lebenswege in Frage zu stellen. Bin ich wirklich immer das Opfer anderer, oder erleide ich nur etwas, das ich mir selbst verhängt habe? "Wer sich nicht selbst verletzt, kann von niemand verletzt werden (Joh. Chrysostomus)

Alle Mühe um Veränderung zum Besseren muss daher bei uns selbst beginnen. Die eigene Würde können wir uns nur selber geben. Sie ist von niemand anderem abhängig. Wir müssen unser Inneres stärken. Ich-starke Menschen sehen im Anderen nicht eine Bedrohung, sondern die Möglichkeit einer Begegnung und einer Bereicherung.

Bei einem, der an Gott glaubt, der hinter allem steht, stärkt sich das Ich noch mehr. Ein gläubiger Mensch ruht noch fester in sich und kann sich gelassen der Welt anvertrauen. Die Sorge für andere wird zur eigenen Bereicherung. In schwierigen, dunklen Zeiten zeigt sich ein wegweisendes Licht.

Zu diesem Vertrauen und zu dieser Ich-Stärke will die christliche Fastenzeit führen. Nicht Abtötung ist das Ziel, sondern ein sinn-volleres, unverkrampftes und waches Leben.

 

 

Dienstag, 19. Februar 2002

Falsche Anpassung

 

Die Krise des kirchlichen Lebens beruht wahrscheinlich nicht auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber dem modernen Leben und Lebensgefühl, sondern auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber dem, in dem alle christliche Hoffnung wurzelt, im Herzen Jesus Christus selber.

In einer ganz neuen Weise ist heute unter vielen Menschen das Interesse am Leben und Verhalten Jesu erwacht: an seiner Menschenfreundlichkeit, an seiner Teilnahme an fremden Schicksalen, an der Art, wie er seinen Zuhörern ein neues Verständnis ihres Daseins erschließt. Wie er ihnen zugleich die Augen öffnet für ihre eigenen menschenverachtenden Vorurteile, für ihre Selbstgerechtigkeit und Hartherzigkeit angesichts fremden Leids. Lange haben wir aber zu wenig auf ihn geschaut und uns zu wenig bemüht, ihm "gleich zu werden".

Wir haben eher ihn uns angepasst. Wir haben seinen Geist wie ein abgedecktes Feuer gehütet, dass er nicht zu lebendig wird und uns eventuell aus unserer bürgerlichen Ruhe aufscheucht. Durch Ängstlichkeit und Routine ist unsere Begeisterung schnell eingeschlafen.

Vielleicht finden sie jene, die das alte christliche Bekenntnis "Jesus ist der Herr" sagen und die in seinem Sinn leben. Vielleicht finden sie Menschen, die diese "Beunruhigung jedes christlichen Lebens erfahren, dass sie von Gott nicht mehr loskommen können".

 

 

Mittwoch, 20. Februar 2002

 

Wir stehen am Beginn der sogenannten Fastenzeiten. Der Christ wird an den Ernst des Lebens erinnert, an seine Verantwortung in diesem einmaligen Leben.

Das steht im Widerspruch zum Gedanken der Wiedergeburt oder Re-Inkarnation. Die Idee der Seelenwanderung ist in der Bibel nicht zu finden. Der Mensch der Bibel glaubt, dass er sein Leben Gott verdankt, dass es einmalig ist und dass es, sosehr es bruchstückhaft bleibt, von Gott vollendet wir.

Er weiß, dass ihm dieses Leben nicht alles bieten kann, aber er erwartet sich die Erfüllung nicht von einer Wiederholung des Lebens, sondern von Gottes Hilfe. Es hat in den ersten Jahrhunderten zwar Ansätze zu dieser Sicht in der Kirche gegeben, sie wurden aber bald deutlich abgelehnt.

Die Bibel spricht von einem persönlichen Gott, der mit seinen Geschöpfen in Beziehung leben will. Im Glauben an die Notwendigkeit der Kreisläufe ergibt sich eher die Annahme eines unpersönlichen Schicksals.

Der Mensch der Bibel wird gefragt, was er aus seinem Leben macht, wie er mit seiner Freiheit verantwortungsbewusst umgeht. Die Lehre von der Widergeburt verschiebt die Verantwortung für das Böse auf frühere oder spätere Existenzformen.

Und: - Wo alles Leid auf früheres Verschulden zurückgeführt wird, kann es leicht gerechtfertigt und hingenommen werden. Christen aber sind herausgefordert, gegen Ungerechtigkeit und sinnloses Leid aufzutreten und zur Änderung beizutragen.

Ist es ein Mangel an innerer Kraft, der viele in diese Sicht der Wiedergeburt ausweichen lässt. Fehlt der Mut, sich diesem einmaligen Leben zustellen? Die Einmaligkeit gibt dem Leben doch erst Tiefe und Größe...

 

 

Donnerstag, 21. Februar 2002

 

"Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beisammen und hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim ist: Wenn man‘s gut hat, hätt man‘s gerne besser. Aus diesem Fehler entstehen so viele dumme Wünsche." Soweit das Wort eines Dichters.

Ich habe oft den Eindruck, wir können es nicht glauben, das es uns gut geht. Oder wir finden es fast als unanständig, zufrieden zu sein. Wir erlauben es uns zu wenig, zu genießen und mit Wenigem das Auslangen zu finden. Der soziale Druck ist groß: Das hast du nicht? Dort warst du noch nicht? Das kennst du nicht?

Es gibt ein schicksalhaftes Unglück, aber es gibt auch das selbstgemachte, das aus unserem Inneren kommt. Wir geben uns auch gern Bedingungen für unser Glück vor: Wenn ich eine Ausbildung hätte, wenn mein Ehepartner mehr zu Hause wäre, wenn die Nachbarn nicht so lästig wären, dann könnte ich ja glücklich sein. Aber es ist nicht so, meinen wir indirekt. Und machen uns damit selbst unglücklich. Streichen wir doch diese Bedingungen! Entdecken wir unbeschwert das Erfreuliche, das Schöne, das Beglückende!

Fasten könnte auch das bedeuten: Falsche Wünsche lassen und das viele Gute, das unser Leben, so wie es ist, ausmacht, erleben.

 

 

Freitag, 22. Februar 2002

Kultur

 

Rund um uns erleben wir einen "Verbesserungs-Wahn". Mit der Änderung äußerer Gegebenheiten soll das Paradies auf Erden geschaffen werden. Qualitätssicherung ist hochaktuell.

Vor lauter Mühen um die Verbesserungen wird das Leben kompliziert und kommen die Einzelnen unter Druck.

Vielleicht setzen wir falsch an. Die Welt wird besser, wenn wir unser Inneres verbessern. Dazu treffend Eugen Roth: "Ein Mensch nimmt guten Glaubens an, er hab‘ das Äußerste getan. Doch, leider Gott’s vergisst er nun, auch noch das Innerste zu tun."

Reife Müdigkeit, Gelassenheit, Toleranz, innere Festigkeit, machen Menschen zum Segen für andere und sie selber glücklich. Wenn Menschen reifen an Verantwortungsbewusstsein und Moral, dann erledigen sich manche Probleme und können manche Missstände gar nicht erst aufkommen.

Diese Fähigkeit, sein Inneres zu verbessern, ist die Form von Kultur. Wie wenig scheint diese Kultur heute auch in der Schule vermittelt zu werden. Der christliche Glaube hat diese Kultur immer gesucht. Diese Kultur der inneren Verbesserung und Erneuerung soll in der Fastenzeit, einen Anstoß erhalten. Es geht dabei nicht so sehr um Kasteiung und Verzicht, sondern um Sinneserfahrung und Lebensglück. Sein Inneres gestalten zu können ist ja wohl mehr Kultur als Theater- und Konzertbesuche.

 

 

Samstag, 23. Februar 2002

 

Vor kurzem war in einer Familienrunde das Thema "Gott und das Leid der Menschen" am Programm. Das Gespräch war interessant und beeindruckend.

Darf der Mensch Gott zur Rechenschaft ziehen, wie es zum Beispiel in den Psalmen geschieht? Wird dort nicht Gott – sehr menschlich! – aufgefordert, nach dem Rechten zu sehen und einzugreifen? Was ist mit den Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts? Warum bekommen wir keine Antwort auf unsere Fragen nach dem Sinn von Krankheit und Leid? Können wir als Christen Gott schützen vor den Protesten der Zweifler?

Am Schluss gab es jedenfalls so viele Fragen und Meinungen wie Teilnehmer in der Runde. Es gab trotzdem ein Ergebnis. Es war die Erfahrung: Hier und auch bei manchen anderen Fragen gibt es keine eindeutige Antwort.

Und die Einsicht, dass es zu einem vertretbaren Gottesbild gehört, dass Gott nicht be-greifbar ist.

Ein Literaturkenner in der Runde betonte am Schluss die Bedeutung der Fragen, die nicht immer eine Antwort bekommen müssen und zitierte Max Frisch: "Die Frage ist oft das letzte Gebet, das Gott uns gibt."

In der Atmosphäre der gemeinsamen Ratlosigkeit haben wir ein wenig erahnt, dass es außer rationaler, verstandesmäßiger Wahrheit noch eine größere gibt, der man sich nur anvertrauen kann.