Morgengedanken
Sonntag, 17. 03. 2002. 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios
von Rosa Windbichler, St. Veit a.d. Glan, Kärnten
Sonntag, 17. März 2002
In dieser Woche beginnt der Frühling. Höchste Zeit
für mich als Mutter von zwei kleinen Kindern das Lied "alle
Vöglein sind schon da" aus der Winterlade zu holen.
"Welch ein singen, musizieren, pfeifen,
zwitschern, tirilieren,..." heißt es in diesem Lied und sage
auch ich voll Freude, wenn ich aufwache. Der Frühling ist
vielstimmig.
"Vielstimmig" unter diesem Motto finden
heute in ganz Österreich die Pfarrgemeinderatswahlen der
katholischen Kirche statt.
Ich finde es mutig, die eigene Stimme in der Kirche
einzubringen und ich finde dieses Motto mutig.
Dort wo es vielstimmig zugeht, kommt es nämlich
auch zu Unstimmigkeiten, dort wo es vielstimmig zugeht ist Harmonie
nur mit Feinabstimmungen zu erreichen .
Es wäre schön, wenn über die Wahl hinaus auch die
Amtszeit des Pfarrgemeinderates unter dem Anspruch der
Vielstimmigkeit stehen würde: dass die neuen Pfarrgemeinderäte die
vielen Stimmen in der Kirche hören: die ungebremsten Stimmen der
Kinder, die kritisch fragenden Stimmen Jugendlicher und neben den
sicheren, erfahrenen auch die zweifelnden und leisen Stimmen der
Erwachsenen.
Vielstimmig in diesem Wort steckt eine Chance, eine
Herausforderung, steckt Frühling für die Kirche .
Für heute wünsche ich mir und Ihnen einen
vielstimmigen Tag.
Montag, 18. März 2002
Nach der braun-grauen bzw. weißen Farbe des Winters
freue ich mich nun über das erste Grün des Frühlings. Jung,
frisch, lebendig, stark ist dieses Grün und so verstehe ich es
nicht, wenn jemand herablassend sagt: "Du bist ja noch grün
hinter den Ohren!"
Sicherlich ist ein Mensch im Frühling seines Lebens
noch unerfahren, ungestüm, vielleicht vorwitzig und unvorsichtig.
Eltern sorgen sich und auch ich als Lehrerin bin oft in Ängsten,
weil wir um die Gefahren für Jugendliche wissen. Um im Bild zu
bleiben, es kann im April noch schneien und im Mai gibt es noch
frostige Tage.
Doch weder Frost und Schnee haben es geschafft, das
Grün zu besiegen.
Hildegard von Bingen spricht von der Grünkraft
Gottes und empfiehlt z.B. bei geschwächten Augen den Anblick oder
die Imagination einer Wiese.
Wenn wir also schwarz sehen, gilt es, unser inneres
Auge von der Grünkraft Gottes stärken zu lassen und fassen sie es
in Zukunft ruhig als Kompliment auf, wenn jemand sagt: "Du bist
ja noch grün hinter den Ohren!"
Ich wünsche ihnen heute einen frischen, lebendigen,
grünen Tag.
Dienstag, 19. März 2002
Im Frühling kommt das Leben in Fluss. Neues bricht
auf. Es steht alles in Blüte. Ich liebe die Zartheit, den Duft, die
Farbe und die Verheißung der Blüten. In meiner Kindheit haben wir
Schwestern einander mit dem Satz gedroht: "Wenn du das tust,
wird dir etwas blühen." Heute hoffe ich, dass mir etwas
blüht, dort, wo der Alltagstrott mich alt werden lässt.
Hoffentlich treibt meine Fantasie Blüten, dort, wo
die Realität des Lebens nur Grautöne kennt.
Es ist schön, in der Früh aufzustehen mit dem
Gedanken: "Was wird der Tag Neues bringen?" Vielleicht
lerne ich heute einen interessanten Menschen kennen; vielleicht
koche ich ein neues Gericht; vielleicht stoße ich beim
Zeitungslesen auf eine gute Nachricht; vielleicht entdecke ich im
Garten eine zarte Blüte?
Wenn ich das Neue im Blick habe, traue ich mir
selbst, meinem Partner, meinen Kindern, meinen Arbeitskollegen und
Kolleginnen Unerwartetes zu und erlebe immer wieder Überraschungen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und dass ihnen
heute etwas blüht!
Mittwoch, 20. März 2002
Jetzt im Frühling erwartet uns die schöne, oft
auch anstrengende Arbeit im Garten: das Bereiten des Bodens und das
Aussähen. Wir geben den Samen aus der Hand und dann kommt es nicht
mehr auf uns an, die Zeit des Wartens beginnt.
Wird die Saat aufgehen?
Wachsen erfordert Zeit und Geduld.
Der Vergleich mit der Kindererziehung drängt sich
auf. Wir Eltern säen Liebe und Sorgfalt aus und tun unser Bestes.
Dass und wie die Saat aufgeht, liegt aber nicht in unserer Macht.
Die Versuchung, an den kleinen Pflanzen zu zupfen und das Wachsen zu
beschleunigen, ist groß. Doch Leistungsdruck und hohe Erwartungen
entwurzeln unsere Kinder. Es erfordert Geduld, wenn ein
Entwicklungsschritt auf sich warten lässt und wir erleben Zeiten
der Ohnmacht, wenn Kinder in das Alter kommen, in dem sie sich
nichts mehr sagen lassen.
So lehrt uns der Frühling zweierlei: Wenn wir
ernten wollen, müssen wir säen und wir dürfen in der Natur so wie
bei unseren Kindern auf die Wachstumskraft alles Lebendigen
vertrauen.
Ich wünsche ihnen einen lebendigen Tag.
Donnerstag, 21. März 2002
Heute beginnt der Frühling. Die Tage werden
länger; Gott sei Dank wird es früher hell. Das Aufstehen fällt
mir jetzt leichter. Die Natur hilft und unterstützt uns, die Sinne
zu öffnen: zu spüren, zu schauen, zu riechen, zu hören, zu
schmecken.
So werde ich heute meinen Frühstücksapfel mit
Genuss verspeisen.
Meinem Mann möchte ich heute ganz bewusst in die
Augen schauen und warten, wer zuerst zu lachen beginnt.
Ich werde heute meinem Sohn so zuhören, dass ich
auch die Stimmung hinter seinen Worten erfasse.
Ich werde heute den Babygeruch meiner kleinen
Tochter tief aufsaugen.
Dies alles braucht nicht mehr Zeit, sondern nur eine
andere Art von Aufmerksamkeit. Weil es draußen wärmer wird,
fürchte ich nicht mehr den Energieverlust und lasse die Fenster
untertags offen.
So ist es auch mit den Sinnen, den Türen und
Fenstern unseres Körpers. Wenn wir sie öffnen, kommt Frischluft in
die Seele.
Der Frühling reicht uns unaufdringlich Nahrung.
Ich wünsche Ihnen einen sinnen-vollen
Frühlingsbeginn.
Freitag, 22. März 2002
Zum Frühling und zur Vorbereitung auf das Osterfest
gehört für viele Menschen der Frühjahrsputz.
Wir nützen die Gunst der Jahreszeit, Staub zu
entfernen, auf- und auszuräumen.
Mit wie vielen Gegenständen wir uns belasten, habe
ich im vergangenen Jahr gemerkt, als wir auf Grund eines Umbaues
unser ganzes Haus vorübergehend ausräumen mussten. Seither
verstehe ich die Feststellung der Philosophin Gerl-Falkowitz, das
der wahre Luxus darin besteht, nur das Notwendige zu haben.
Entrümpeln erleichtert.
Das, was für unser Haus gilt, gilt auch für
unseren Körper: Wer die Fastenzeit genützt hat, um den Winterspeck
loszuwerden, fühlt sich freier und leichter.
Es geht also beim Frühjahrsputz nicht darum, einem
überzogenen Sauberkeitsanspruch zu frönen, und beim Fasten geht es
nicht nur darum, Kilos loszuwerden.
Wer hergibt, gewinnt neuen Raum; wer loslässt,
gewinnt neue Lebensqualität. Ich gebe zu, dass Hergeben und
Loslassen schwierig ist, besonders für Menschen mit Sammelcharakter
und für solche wie mich, die meinen, alles noch einmal brauchen zu
können.
Lassen wir uns vom Frühlingsschwung erfassen.
Samstag, 23. März
Jetzt, wo es wieder wärmer und länger hell ist,
verlassen wir öfter unsere Behausung. So sitzt der alte Nachbar
wieder an einem sonnigen Plätzchen hinter dem Haus; eine in der
Nähe wohnende Freundin geht mit ihrem kleinen Kind spazieren und
schaut bei uns im Garten vorbei; auf dem Parkplatz vor dem Haus sind
die Buben der Umgebung beim Skaten.
Der Frühling bringt spontane Begegnungen und bietet
viele Möglichkeiten zu grüßen und ein paar freundliche Worte
über den Zaun hinweg auszutauschen. Auch wenn es nur ein Gruß ist
oder ein kurzes Gespräch über das Wetter, diese Kontakte bringen
uns einander näher.
Nützen wir sie.
Ich habe diese Woche genützt, mit ihnen über
Frühlingsgedanken in Kontakt zu kommen. Aufmerksamer als in anderen
Jahren habe ich die Boten des Frühjahrs wahrgenommen: Das
erfrischende Grün, die Vielstimmigkeit der Vögel, die
verheißungsvollen ersten Blüten, den länger werdenden Tag.
Dadurch bin ich eingestimmt auf die Dramaturgie der
Karwoche; auf die Feier unseres christlichen Glaubensgeheimnisses:
Im Tod liegt das Leben.
Ich wünsche ihnen, das die Kraft des Lebens auch
für sie spürbar ist.
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