Morgengedanken

Sonntag, 05. 05. 2002. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

von Georg Wieländer,
Dipl. Sozialarbeiter (Wien)

 

 

Sonntag, 5. Mai 2002

Oft schon bin ich mit dem Gedanken aufgewacht:

„Mir kann nichts passieren! Ich bin ein Geschöpf Gottes – erschaffen, geformt und geschöpft von einem mich liebenden, mich frei gebenden Gott. Und es ist gut, dass es mich gibt!“

Alles, was existiert, ist begründet auf einem göttlichen Ursprungsbild, nämlich der Vision Gottes, wie Leben sein soll. Diese Vision wohnt in uns wie ein Keim in der Erde. Es gibt daher kein „Außerhalb Gottes“! Alles gehört dazu!!

Tatsächlich befinden wir uns inmitten des „achten Schöpfungstages“ und der Keim – die göttliche Vision – hat gerade erst begonnen, sich aus der Erde zu erheben.

 

Die Schöpfung ist ein noch nicht abgeschlossener Prozess, deren wichtigstes Element das Geschenk der Freiheit ist. Uns ist die Freiheit gegeben worden, diesem göttlichen paradiesischem Urbild nachzufolgen oder nicht. Jene Vision der Liebe und Gewaltlosigkeit, die Jesus durch sein Leben als Mensch verkörpert hat und uns nahe bringen wollte.

 

Bis zum heutigen Tag haben wir aber erst Bruchteile von dieser Vision verstanden.

Jeden Morgen sind wir jedoch aufs Neue aufgefordert, uns auf diesen noch andauernden Schöpfungsprozess einzulassen.

 

 

 

Montag, 6. Mai 2002

Wie oft ist es mir schon passiert, dass ich zu Anfragen und Aufgaben, die an mich herangetragen werden zu leichtfertig  „JA“ gesagt habe. Selbstverständlich fühle ich mich zunächst einmal sehr geehrt, dass man mir so viel Vertrauen entgegen bringt.

Möglicherweise ist Ihnen dieses Problem auch nicht ganz unbekannt:

Mir jedenfalls fällt es in manchen Situationen äußerst schwer „NEIN“ zu sagen!

....oft, weil ich glaube, es allen recht machen zu wollen

....oft, weil ich befürchte, die anderen zu enttäuschen

Aber wenn ich nur mehr das tue, was andere von mir erwarten, dann lebe ich gar nicht mehr mein eigenes Leben.

Habe ich denn schon entdeckt, was alles in mir lebt und nach Entfaltung schreit.

Da ist noch so viel ungelebtes Leben, das noch leben möchte.

Ich möchte darauf achten, dass ich mich nicht nur durch andere bestimmen lasse, sondern auch die Freiheit habe, NEIN zu sagen, um frei zu werden für das, was Gott mit mir heute vorhat.

 

 

Dienstag, 7. Mai 2002

Schneller ist besser!!!

Autos, die noch schneller fahren.

Arbeit, die noch effizienter und schneller erledigt sein muss

Schneller muss einfach besser sein!!

 

Wenn wir Zeit gewinnen können, scheint dies einen viel höheren Wert zu haben.

Schon in der Schulzeit wurde meine etwas gemächlichere Art abgewertet. Von meiner Umwelt wurde ich zur Schnelligkeit erzogen.

 

Was machen wir denn eigentlich mit der gewonnenen Zeit? Wem oder was widme ich sie?

 

Heute versuche ich, einmal langsam in die Arbeit zu gehen. Langsam mich von einem Punkt in der Stadt zum anderen Punkt zu bewegen.

Langsam einkaufen zu gehen. Mich von der Hektik rund um mich nicht anstecken zu lassen.

 

Es tut einfach einmal gut, den inneren Zwang, alles so schnell wie möglich zu erledigen, zu widerstehen.

 

Das Erstaunliche daran ist, dass ich langsamer, wesentlich kreativer und auch effektiver bin. Das klingt zwar unlogisch, entspricht jedoch meinen Erfahrungen.

 

Hektik und übertriebene Schnelligkeit haben in der Schöpfungsvision Gottes wenig Bedeutung.

 

Ich darf auch langsam sein! Meine Seele braucht es!!


Mittwoch, 8. Mai 2002

Verglichen mit der restlichen Weltbevölkerung, leben wir in der westlichen Welt im satten Wohlstand! Die tägliche Werbung auf Plakatwänden im Radio und im Fernsehen überschüttet uns mit Angeboten, die wir unbedingt haben sollten und worauf wir auf keinen Fall verzichten sollen.

 

Wenn ich in schlecht geheizten Räumen sitzen muss oder im Urlaub keine Dusche bei meinem Zimmer dabeihabe, merke ich, wie sehr mich dieser Wohlstand schon gefesselt hat.

 

Hinterfrage ich auch meinen Lebensstil? Frage ich mich, was ich Privilegierter als solidarisches Zeichen für mehr Gerechtigkeit tun könnte?

 

Oft arbeiten Menschen für sehr wenig Lohn auf Plantagen, damit ich meinen Kaffee, meinen Orangensaft und meine Schokolade genießen kann.

 

Wir sind aufgefordert, sie als gleichwertige Brüder und Schwestern anzusehen. Und die Erde, sie gehört allen gemeinsam.

 

Ich gebe heute diesen Menschen ganz bewusst Raum in meinen Gedanken, in meinen Gesprächen und Diskussionen, wohlwissend, dass dies erst ein kleiner Schritt der Solidarität sein kann.


 

Donnerstag, 9. Mai 2002

Zum Leidwesen meiner Frau, fällt es mir sehr schwer, Dinge wegzuschmeißen, weil an all diesen Gegenständen hängt ja meine Erinnerung. Im Laufe der Jahre sammelte sich da schon einiges Gerümpel an, das den Platz für Wichtigeres verstellt.

 

Von Zeit zu Zeit merke ich jedoch selber, dass wir Platz brauchen und so beginne ich, mich ganz bewusst von Dingen zu trennen. Ich versuche das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und verpacke die Gegenstände, von denen ich mich trennen möchte in Kisten für den Flohmarkt.

 

Wir wollen an früher gemachten Erfahrungen festhalten. Die alten Muster bestimmen unser Verhalten, dabei wäre es längst an der Zeit Veränderung zuzulassen. Auch hier scheint es wichtig, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und die Verhaltensweisen loszulassen, die mich heute in meinem Leben behindern.

 

Das Loslassen ist für mich ein schwieriger Prozess. Aber wenn es mir im Kleinen gelingt, dann merke ich, wie ich freier werde von den Lasten auf meinen Schultern und wie neues Leben in mich einziehen will.

 

Es gibt keinen Neubeginn ohne loszulassen.


 

Freitag, 10. Mai 2002

Verschiedenste Stimmen und Botschaften dringen tagtäglich in mein Ohr:

Du musst erfolgreich sein!! Bleib schlank und fit!! Denk doch nur an deinen Vorteil!!

 

Diese Botschaften wirken in mir, ob ich es will oder nicht. Wer möchte denn nicht erfolgreich und fit sein. Daran ist auch gar nicht das Geringste auszusetzen.

 

Höre ich jedoch auch die leisen Stimmen, die leicht untergehen im Stimmengewirr der Marktschreier. Es gibt ja auch eine ganz andere Botschaft:

 

„In deiner Schwäche bist du Kind Gottes“ „Du bist geliebt, so wie du bist!“ Denn gerade das Zerbrochene in dir ist liebenswert!!“

 

Der fehlerlose, erfolgreiche Perfektionismus ist letztlich nur Erstarrung! Da gibt es nichts mehr, was erlöst, verändert und bewegt werden will!!

 

So sind wir aufgerufen, den Mut zu haben, Fehler zuzulassen und aus unseren Fehlern zu lernen, dass es in diesem Leben nicht darauf ankommt perfekt zu sein.


 

Samstag, 11. Mai 2002

Unlängst hat mir meine Familie gestattet, ein Wochenende für mich allein in den Bergen verbringen zu dürfen.

Zunächst konnte ich die Einsamkeit und die Stille nicht ertragen. Es war eine Herausforderung, da mir 1000 Gedanken an unerledigte Arbeiten durch den Kopf gingen.

In meinem hektischen Alltagsleben kommt so eine Stille ja kaum vor.

Ich selbst neige dazu, Stille durch Einschalten von Musik oder Nachrichten gar nicht erst aufkommen zu lassen, immer mit dem Blick auf die Uhr und vollgestopft mit Informationen.

 

Die Erfahrung der Stille brachte mir die Erkenntnis, wie wenig ich eigentlich zum Leben brauche. Wie wohl das der Seele tut, den Kopf abschalten zu können.

Als es mir gelang sie zuzulassen, empfand ich die Stille als großes Geschenk. In der Stille konnte ich wahrnehmen, dass meine eigenen Gedanken für einen Moment gar nicht wichtig waren.

 

Wenn es mir gelingt, auch im Alltag ab und zu Stille zuzulassen, werde ich erträglicher für meine Mitmenschen. Ich werde besser zuhören können. Meine Sinne werden geschärft und ich kann aufmerksamer werden für die schöpferische Vision Gottes, für das was er mit mir noch vorhat.