Morgengedanken
Sonntag, 07. 07. 2002. 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios
von
Benno
Elbs Pastoralamtsleiter
aus Feldkirch/Vlbg.
Sonntag,
7. Juli 2002
Ein
gesunder Lebensstil, so wird Ihnen jeder Psychologe sagen, braucht
gesunde Rituale. Es ist von Bedeutung, wie ich aufstehe, wie ich den
Tag beginne, wie ich an die Arbeit gehe, wie ich die Mahlzeit
gestalte, wie ich den Tag abschließe.
Wenn
wir nicht auf unsere täglichen Rituale achten, schleichen sich
unwillkürlich ungesunde und krankmachende Gewohnheiten ein, z.B.,
dass wir in den Tag hineinhetzen, das Frühstück hinunterschlingen,
immer zu spät kommen.
In
guten Riten fühlt sich die Seele wohl. Sie sind wie ein festes Gehäuse,
dort lässt sich gut wohnen. Gesunde Rituale geben dem Leben
Geborgenheit und Klarheit. Ich möchte Ihnen diese Woche ein paar
Rituale vorstellen.
Heute
möchte ich Ihnen vorschlagen, diesen Sonntag bewusst als Geschenk
entgegenzunehmen.
Genießen
Sie all jene Begegnungen und Erlebnisse, die Ihnen einfach so
zufallen: das freundliche Lächeln eines Kindes, die Gemütlichkeit
beim gemeinsamen Mittagessen, das gute Gespräch mit Freunden nach
der Sonntagsmesse. Sie werden merken, alle diese Dinge kann man
selbst für alles Geld der Welt nicht kaufen. Sie werden einem
geschenkt.
Wichtig
ist, dass man mit diesen Geschenken achtsam und liebevoll umgeht.
So
wird jede Stunde wertvoll.
Und
- schlussendlich macht es dankbar.
Montag,
8. Juli 2002
Heute
mache ich Ihnen das Angebot, sich ein paar Minuten Zeit nur für
sich zu schenken. Kein Mensch der wirklich Großes in der Welt
geleistet hat, kommt ohne die Zeit des persönlichen Rückzugs aus.
Jesus zieht sich z.B. des öfteren auf einen Berg zurück, um zu
beten.
Heute
ziehen sich Politiker und Manager hinter Klostermauern zurück.
Oft
erleben wir die Welt als zerrissen und wir sind mitten drin in
diesem Strudel aus Erwartungen, Aufgaben, Ansprüchen und Wünschen.
Umso mehr brauchen wir Nischen der Stille.
Der
Philosoph Blaise Pascal schreibt bereits vor über 300 Jahren:
“Das Unglück des Menschen beginnt damit, dass er unfähig ist,
mit sich selber in einem Zimmer zu sein”.
Es
ist ein wertvoller Brauch, in der Früh den Tag kurz anzuschauen und
sich zu überlegen, wo heute eine Insel der Ruhe für mich zu finden
ist: ein paar Momente im Büro, die Mittagspause auf der Baustelle,
der Blick in eine Kapelle am Wegrand usw.
Wenn
wir den Mut finden, allein zu sein, können wir entdecken, wie
wertvoll das ist, nichts vorweisen zu müssen, nichts beweisen, sich
nicht rechtfertigen zu müssen.
Da
liegt eine Quelle von Kraft.
Dienstag, 9. Juli 2002
Viele
Dinge in unserem Leben passieren täglich, ohne dass wir groß Notiz
davon nehmen. Wir stehen auf, frühstücken, machen uns auf den Weg
zur Arbeit, tratschen ein wenig beim Bäcker und vieles mehr. Diese
Routinen und Rituale sind wichtig für unser Leben, weil sie den Tag
strukturieren und weil sie uns Sicherheit geben.
Seit
ein paar Jahren habe ich mir angewöhnt, dass ich mir beim Aufstehen
die Zeit nehme, ein paar Minuten Gott ins Gesicht zu schauen. Ich
bete folgendes Segensgebet und ich merke, wie meine Seele sich
dadurch mit Geborgenheit füllt, auch wenn der Tag vielleicht nicht
nur Gutes verspricht.
Herr,
ich komme zu dir
dass
deine Berührung mich segne,
ehe
ich einen neuen Tag beginne.
Herr,
lass deine Augen
eine
Weile ruhen auf meinen Augen.
Herr,
lass mich das Wissen
um
deine Freundschaft
mitnehmen
in meinen Alltag.
Herr,
fülle meine Seele
mit
deiner Musik,
mit
deinem Frieden,
mit
deiner Freude.
Herr,
begleite mich durch diesen Tag,
und
lass den Sonnenschein
deiner
Liebe über mir erstrahlen.
Amen.
(nach
Rabindranath Tagore)
Es
lohnt sich Gott ins Gesicht zu schauen und zu erfahren, dass ich
Teil seiner Schöpfung bin, dass er mich eingeschrieben hat in seine
Hand.
Mittwoch,
10. Juli 2002
Ein
weiser Rabbi stellte seinen Schülern folgende Frage: Wie bestimmt
man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt. Einer
der Schüler antwortete: Vielleicht ist es der Moment, in dem man
einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann. Der Rabbi schüttelte
den Kopf.
Oder
vielleicht dann, wenn man von Weitem einen Dattelbaum von einem
Feigenbaum unterscheiden kann? Der Rabbi schüttelt wieder den Kopf.
Aber wann ist es dann, wollen die Schüler wissen.
Der
Rabbi antwortete: Es ist dann, wenn ihr in das Gesicht eines
beliebigen Menschen schaut und dort eure Schwester oder euren Bruder
erkennt. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns.
Die
Menschen, die mir heute begegnen werden, kann ich mir nicht
aussuchen. Aber ich kann versuchen, im Gesicht eines jeden Menschen
meine Schwester, meinen Bruder zu sehen.
Das
stiftet Frieden.
Der
heutige Tag hat wieder die Chance, unzählige Brücken der
Aufmerksamkeit zu bauen - zwischen mir und dem anderen.
Ich
wünsche Ihnen, dass Sie sich heute am Abend über schöne Bauwerke
freuen können.
Donnerstag,
11. Juli 2002
Letzte
Woche ging mir ein Fernsehbild durch Mark und Bein. Da saß eine palästinensische
Mutter, auf dem Schoß ihr totes Kind. Ich sah das alte Gesicht
einer jungen Frau: vom Leid gezeichnet und mit Augen die fragend
anklagen.
Fassungslos,
verzweifelt, leer - die Frau - und auch ich.
Ein
Bild der Ohnmacht, das alles sagt. Es teilt mit, was herauskommt,
wenn eine Macht regiert, die das Fühlen verlernt hat.
Ein
Bild das zeigt, was herauskommt, wenn Menschen Gewalt säen.
Ein
Ritual hilft mir angesichts solcher Bilder, den Zorn und den Hass
loszuwerden. Ich drehe das Fernsehgerät ab und versuche, das
schreckliche Bild etwas zu ordnen. Ich denke an die Menschen, die
Opfer und die Täter.
Wenn
Menschen mich verletzt haben, versuche ich sie zu segnen mit guten
Gedanken. Ich versuche bei ihnen zu verweilen oder für sie zu
beten. Zugegeben - das ist nicht leicht, aber es schenkt Versöhnung.
Dabei achte ich darauf, dass ich nicht überheblich werde, denn die
Gewalt, die mir von außen begegnet, hat auch in mir ihre Wurzeln.
Ich
habe eine Hoffnung. Im Segnen, in Gott ereignet sich die Versöhnung,
die die Welt braucht.
Freitag,
12. Juli 2002
Ob
der Ferrari von Michael Schumacher oder eine schon etwas ältere
Blechkiste - beide haben gemeinsam: ohne Sprit geht nichts.
Tankstellen sind interessante Orte. Es ist ein Kommen und ein Gehen,
es gibt Zeit für ein kurzes Gespräch, es gibt die Möglichkeit für
eine gemütliche Tasse Kaffee.
Wir
alle brauchen regelmäßig Tankstellen für die Seele.
Es
gibt Orte für mich, die mir an Leib und Seele gut tun, die mich
bestärken, meine Lebensaufgaben zu tragen.
Dieser
Ort der Kraft kann an einer Quelle sein, in einer Kirche, in einem
Kloster, an einem Grab, bei einem Aussichtspunkt, unter einem Baum
und vieles mehr.
Manchmal
gönne ich mir, dass ich diese Orte zu Fuß aufsuche, dass ich
dorthin wandere. Dadurch drücke ich die innere Bereitschaft aus,
einen Weg zu gehen, meinen Weg zu durchschreiten, meiner Seele auch
die Zeit zu geben, die sie braucht. Tankstellen für die Seele kann
man nicht auf Knopfdruck anzapfen. An diesem Ort lese ich dann
vielleicht einen Text, der mir gerade viel bedeutet, oder ich
spreche ein Gebet, das aus meinem Herzen kommt.
Ich
lade Sie ein, heute einen solchen ganz persönlichen Ort der Kraft
aufzusuchen.
Samstag,
13. Juli 2002
Ein
Urlaubsritual bereitet mir besonders im Sommer viel Freude. Morgens
wandere ich gelegentlich durch eine taufrische Wiese. Mein ganzer
Leib wird erfrischt, wenn ich barfuss Schritt um Schritt durch diese
Wiese laufe. Ich werde lebendiger. Es ist als würden die
Lebensgeister erwachen.
Der
Tau lädt mich ein, die Wiese einfach anzuschauen, über das Spiel
des Lichtes in den Tropfen zu staunen. Es ist etwas Unberührtes.
Manchmal scheue ich mich sogar, dieses geheimnisvolle Spiel zu zerstören.
Aber es lädt mich ein, einfach zu schauen, zu betrachten, zu
staunen.
Der
Sommermorgen lässt die Seele wieder froh werden, wenn dann und wann
auch Traurigkeit auf ihr liegt.
Das
Gefühl erinnert mich an die Psalmen.
Dort
ist zu lesen:
Wenn
man am Abend auch weint, am Morgen herrscht wieder Jubel.
Der
Tau am Morgen wischt oft die Sorgen des vergangenen Tages von der
Seele.
Sie
lohnen sich, die meditativen Schritte durch eine taubedeckte Wiese.
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