Morgengedanken

Sonntag, 28. 07. 2002. 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

 

 

von Wolfgang Klaghofer, Wien

 

Geschichten aus der Wüste

 

 

Sonntag, 28. Juli 2002

Veränderte Zeit

 

Anfang April konnte ich mit einer 20köpfigen Gruppe und in Begleitung von Beduinen 12 Tage in der Wüste um den Sinai verbringen.

 

Eine der eindrucksvollsten Erfahrungen war der ganz andere Takt der Zeit: nicht die Uhr gab ihn vor, sondern die Sonne und die Sterne. Wenn ich mich so gegen 7 Uhr abends unter freiem Himmel in den Schlafsack legte und ein wenig nach 5 Uhr morgens wieder aufstand, wenn ich in der Nacht Tausende von Sternen erblickte und zu Mittag überhelles Licht, dann fühlte ich mich manchmal wie am ersten Tag der Schöpfung, wie am Sonntag, da Gott Licht und Finsternis geschieden hatte. So lange die Sonne schien, war Tagzeit; wenn die ersten Sterne in den Himmel stiegen, kam die Nachtzeit – so einfach ist die Zeit der Wüste. Und weil ich genügend Schlaf fand, habe ich mich auch gut erholt.

 

In den Wochen seither habe ich mich wieder an den Rhythmus der Uhr gewöhnt. Kaum noch höre ich es, wenn eine Uhr tickt. Doch am Sonntag erinnere ich mich immer noch an dieses Erlebnis der Zeit in der Wüste, an die Scheidung von Tag und Nacht wie am ersten Tag der Schöpfung.

 

 

Montag, 29. Juli 2002

Veränderter Schritt

 

Die Wege in der Wüste sind ganz anders als unsere Wege hier, die meist über gepflasterte oder asphaltierte Straßen begangen und vor allem befahren werden, Glas an Glas, Blech an Blech.

 

Als unsere Wandergruppe zuerst durch die Sandwüste, dann durch die Felswüste der Sinaihalbinsel zog, waren wir meist allein unterwegs in dieser seltsamen Welt. Und alle haben wir den Schritt verändert. Aus dem forschen Voran-kommen-wollen wurde ein trottender Schritt, dem der Kamele ähnlich. Und vor allem hatte der Schritt etwas Nachgiebiges, ja etwas Zartes angenommen. Statt hart auf den Asphalt unsere Städte zu klopfen, wie wir es gewohnt waren, schien es, als kneteten unsere Füße den Sand, der willig nachgab und für kurze Zeit auch unsere Spuren aufnahm.

 

Seither habe ich ein wenig mehr Scheu als früher, unsere Erde zu treten. Sie ist nicht der Schemel unseres Hochmuts, sie ist nicht die Halde, die wir ausbeuten sollen; sie ist der Boden, der uns leben und der uns gehen lässt, der Boden, von dem wir genommen sind und zu dem wir gehören.

 

 

 

Dienstag, 30. Juli 2002

Traum in der Wüste

 

Eines Tages bin ich in der Wüste Sinai etwa 1 Stunde in ein Tal ganz allein hinein gegangen, dann auf einen Berg gestiegen und habe mich in eine Sandsteinhöhle gesetzt. Vollkommene Stille umfing mich, nur ein leiser Wind und der eigene Atem waren zu hören, sonst nichts. Mehr als 1 Stunde tat ich nichts, als diesem Wind zuzuhören.

 

Und in der folgenden Nacht träumte ich dann von einer Stimme, die mich Wochen davor wie keine noch angerührt hatte. Kein Wort hörte ich in meinem Traum, keinen Laut, nur diese unnachahmliche, wunderschöne Stimme, die mich von allen Seiten umfing. Diese Stimme war wie ein Versprechen einer guten, einer menschlichen Welt.

 

Am nächsten Tag ging ich wie in der Wolke dieses Traums bis zur Mittagszeit. Und dann verstand ich, weshalb Gott immer wieder nur die Stimme zugeschrieben wird. Und ich war der Stimme dankbar, die ich im Traum hören durfte.

 

Und ich sagte mir für die kommenden Zeiten: Sei aufmerksamer für die Träume – in der Nacht und auch am Tag. Denn mancher baut eine Brücke, die es sonst nirgends gäbe.

 

 

 

Mittwoch, 31. Juli 2002

Der zusammenschrumpfende Mensch

 

Die Wüste ist hart und unnachgiebig; sie verzeiht einem vieles nicht, vor allem nicht das Gottspielen, also die Einbildung, ich wäre der Mittelpunkt der Welt. Ein, zwei Tage in der Wüste, und das Gottspiel ist vorbei.

 

Immer wieder ging ich während der Mittagsrasten in der Wüste Sinai auf irgendeinen kleineren oder größeren Berg und sah ins Weite. Zwischen den Bergen und auf den weiten Flächen der Sandwüste schrumpfte mir der Mensch zusammen. Nur noch ein kleiner Punkt war er in der Überhelle des Wüstenlichts. Wir alle wirkten verloren in dieser öden, lebensfeindlichen Welt – und doch auch erleichtert. Endlich konnten wir erfahren, wie wenig es braucht zum Leben, und wie schwerelos und frohgemut man wird, wenn die vielen unnötigen Sorgen und Lasten und Pflichten Tausende Kilometer entfernt lagen.

 

Vielleicht liegt die Schönheit von uns Menschen in unserem Kleinsein, in unserem Leichtsein. Es hat mich befreit bis heute, dass ich ein ganz kleiner Punkt geworden bin und leicht werden konnte. Denn das nahm mir die vielen Überforderungen ab.

 

 

 

Donnerstag, 1. August 2002

Lebenskampf und Todesfarben

 

Wenn in der Wüste um den Sinai am Morgen die Sonne am Horizont erschien, gab sie den Bergspitzen unbeschreibliche Farben mit. Da spielte sie etwa dem Katharinenberg, diesem höchsten Berg des Sinai-Massivs, ein wunderschönes Violett zu. Bald färbte es sich ins Rot, dann ins Rotbraune, und dazwischen fiel immer wieder wie in kleinen Farbrinnen das Grau ein.

 

In der Sandwüste wieder zeichnete die Zeit dem Gestein eine Maserung ein wie wunderschönem Holz. Schichten von lila, gelb, weiß, rötlich und ocker durchzogen das Gestein, das markante Spuren der Erosion aufwies. Immer wieder stand ich vor einem solchen Naturgebilde oder saß in einer Höhle und sah dem Farbenspiel zu, seinen lebendigen Linien und Formen, wie sie kein Künstler erfinden könnte.

 

Seltsam: Diese Farben versprechen ein Leben, das die Wüste so augenscheinlich vernichtet. Es sind Farben, die gegen den Tod stehen und doch dessen Zeugen sind. Farben, die ein Versprechen fürs Leben tragen, das vielleicht nur Gott halten kann.

 

 

 

Freitag, 2. August 2002

Gottes unbegreifliche Erhabenheit

 

Gottes Erhabenheit – die Bibel spricht davon oft, für uns ist sie kaum noch zugänglich.

Die Wüste um den Sinai hat sie mir wieder zurückgebracht. Eines Tages saß ich am Eingang einer kleinen Höhe und sah hinaus, sah die Berge, die Täler, kleine Gebüsche und zerbrochenes Gestein, sah dürre Akazien, hörte den nimmermüden Wind und empfand überall die Lebensferne dieser Welt.

 

Da fasste mich der Gedanke an: In all dem ist Gott nicht. Er ist nicht von dieser Welt, er ist nicht wie sie, auch nicht wie ihre schönsten Erscheinungen; er ist über ihr in unaussprechlicher Erhabenheit und Größe.

 

Und ich wurde zufrieden, weil ich auf diesen Gott wirklich hoffen kann. Er wird den Weg aus der Wüste weisen, den Weg ins Leben, weil er nicht die Wüste ist, nicht die schweigsame Wüste des Sinai, nicht die rauschende Wüste unseres Alltags.

 

Er ist der Erhabene, der sich dem kleinen Menschen unbegreiflicherweise zugeneigt hat. Das ist das Glück, das uns zufällt.

 

 

 

Samstag 3. August 2002

Der ewige Bund: Shabbat

 

An einem späten Nachmittag saß ich unter einem Felsvorsprung und hatte vor mir den Berg Sinai, als ich im 31. Kapitel des Buches Exodus plötzlich las:

„Die Israeliten sollen den Shabbat halten, indem sie ihn von Generation zu Generation als einen ewigen Bund halten. Für alle Zeiten wird er ein Zeichen zwischen mir und den Israeliten sein. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht; am siebten Tag ruhte er und atmete auf.“ – So weit der Text.

 

Der Shabbat ist der ewige Bund, weil da der Herr geruht und aufgeatmet hat. Da hörte ich wieder den Atem, der frei war von der Last; ich hörte den Wind der Wüste Sinai und lebte auf, weitab von den dröhnenden Blechkarawanen und von der geldgierigen Hektik des Samstags, die diese Ruhe zerstört und in der sich der Mensch schließlich zu Tode laufen wird.

 

Vielleicht ist der heutige Samstag ein Tag, an dem Sie zur Ruhe finden können, den eigenen Atem und den Wind hören werden und wieder aufatmen.

 

Das wünsche ich Ihnen am Ende dieser Woche.