Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios
Msgr.
Dr. Ernst Pöschl aus Eisenstadt
Sonntag,
25. August 2002
Ein Mönch hat gerade den Tag seines kompletten Schweigens gehabt. Da
ersucht ihn einer seiner Schüler um ein Wort der Orientierung für
sein Leben. Der Mönch nimmt eine Schreibtafel und schreibt darauf:
“Bewusster Leben.”
Nach einiger Zeit fasst der Schüler wieder den Mut und fragt: “Was heißt
aber “bewusster leben?”
Der Mönch schreibt wieder die nämlichen Worte: “Bewusster Leben”
darauf. Ist dies nicht eine Aufgabe, die uns ganz persönlich
gestellt ist? Ich habe einmal gelesen: “Viele Menschen leben in
den Ruinen ihrer Gewohnheiten.” Wir brauchen ein Haus, in dem wir
wohnen können. Ganz schlimm ist es aber, wenn es Ruinen sind, an
die man sich gewöhnt hat, weil man meint, dass es gar nichts
anderes geben kann.
Ein erster Schritt ist es, wenn wir bemerken, dass es Ruinen sind, wo wir
leben. Ich denke, dass es entscheidend für uns ist, das eigene
Leben einmal zu beobachten, sich die Frage zu stellen: Wie lebe ich?
Lebe ich bewusst? Der Apostel Paulus sagt uns dazu im Brief an die
Christengemeinde in Ephesus (5,18): “Schaut, dass ihr vorsichtig
wandelt. Nutzt eure Zeit in der rechten Weise.” In der kommenden
Woche darf ich Sie vielleicht dazu einladen, bewusster zu leben.
Ganz einfach zu schauen. Manchmal gelingt es mir. Dann aber erkenne
ich wieder, dass auch ich in den Ruinen meiner Gewohnheiten gelebt
habe.
Wir dürfen täglich neu beginnen: einmal, zehnmal, 100mal, 1.000mal.
Montag, 26. August 2002
„SEHEN URTEILEN HANDELN“. Das ist der Dreischritt, den ich vom
Gründer der Katholischen Arbeiterjugend, Kardinal Josef Cardijn,
gelernt habe. Es ist wichtig, ganz genau hinzuschauen. Falsch wäre
es, wegzuschauen, weil ich etwas nicht sehen will. In einer Fabel
wird vom Vogel Strauß erzählt, der seinen Kopf in den Sand steckt,
weil er nicht will, was ist.
In der Bergpredigt hören wir immer wieder: Schaut genau hin! Schaut euch
die Blumen an, wie sie wachsen, wie schön sie sind!
Für viele Menschen heißt URTEILEN leider verurteilen oder Vorurteile zu
haben. Wieder gibt uns die Bibel ein Beispiel, wie die Emmausjünger
urteilen sollen, wie Gott die Dinge sieht.
Das HANDELN ist der dritte Schritt. Denn sonst bleibt alles unvollständig.
Nur reden, die Dinge zerreden, weil man nichts tun will, das führt
zu nichts.
Wieder sagt uns dazu dieser unbequeme Mann aus Nazareth: “Wer diese
meine Worte hört und danach handelt, der ist wie ein Mann, der sein
Haus auf einen Felsen gebaut hat.”
Ist es heute in einer Zeit des verwirrenden Marktangebotes nicht ganz
entscheidend: Zuerst sehen, dann urteilen und dann auch handeln.
Dienstag, 27. August 2002
Bei einem Besinnungswochenende für Jugendliche hat einer von ihnen ein
ganz persönliches Zeugnis abgelegt. Es erscheint uns heute
vielleicht als ungewöhnlich. Doch mir persönlich passiert diese
beeindruckende Ehrlichkeit in meiner Arbeit mit Jugendlichen immer
wieder. Dieser berufstätige Bursch, der mit beiden Beinen im Leben
steht, hat über sich selbst erzählt: Seit meiner Kindheit habe ich
eigentlich ein gutes Verhältnis zu Jesus gehabt. Ich habe ihn um
verschiedene Dinge gebeten, mich mit ihm unterhalten, ihm gedankt.
Aber immer habe ich das unangenehme Gefühl gehabt, er will, dass
ich ihm in die Augen schaue. Ich aber wollte nicht. Ich habe zwar
geredet, aber weggeschaut und habe gewusst, warum. Ich hatte Angst,
einen Vorwurf von ihm zu finden. Ich habe gedacht, er wird von mir
etwas fordern. Irgendetwas will er von mir. Plötzlich aber habe ich
kapiert: Kein Vorwurf. Keine Forderung. Seine Botschaft, die ich
verstanden habe, war nur die: “Ich liebe dich”. “Ich stehe zu
Dir”.
Und so hat dieser Bursch, wie er es selbst beschrieben hat, neuen Mut
gefasst.
Mittwoch, 28. August 2002
Bei einer Wallfahrt habe ich eine Jugendgruppe begleitet. An einem heißen
Sommertag stand das Gebet des Kreuzwegs auf dem Programm. Aber nicht
ein Kreuzweg, wie wir ihn sonst beten. Vor mir lag der Gipfel eines
hohen Berges, der aus der Ebene emporragte. Ganz oben am Gipfel die
letzte Station. Werde ich das schaffen? Das war mein Gedanke. Soll
ich aufgeben, noch bevor ich es versucht habe?
Da kam mir ein Gedanke: Ich werde Jesus jeden einzelnen
Schritt für jemanden schenken. Ich
hatte ja vielen Menschen versprochen, dass ich sie in mein Gebet
einschließen werde. Das habe ich sofort begonnen. Jeden Schritt,
der manchmal über hohe Steine führte, habe ich jemandem geschenkt.
Manche hatten mir ein wichtiges persönliches Anliegen anvertraut. Für
sie habe ich gleich mehrere Schritte gemacht. Ich war dann völlig
überrascht: Am Ende fehlten mir dann noch etliche Schritte, die ich
für jemanden gebraucht hätte. Seither hat die Wallfahrt für mich
eine ganz andere Bedeutung gewonnen.
Donnerstag, 29. August 2002
Wer einen hohen Berg ersteigen will, der ist gut beraten, wenn er sich
einen Bergführer nimmt. Immer wieder liest man von Leuten, die ihre
eigenen Kräfte einfach überschätzt haben und damit sich selber
und auch andere in große Gefahr gebracht haben.
Ein Bergführer kennt, so sagt man, jeden Stein, weil er schon viele Male
diese Steige gegangen ist. Wenn jemand zu ihm kommt, dann kann er
ihm auch nach den jeweiligen Fähigkeiten raten, welche Route er wählen
soll. Außerdem bleibt er immer an seiner Seite. Bei sehr
schwierigen Stellen ist der Neuling mit dem Bergführer durch ein
Seil verbunden.
Ich stelle mir vor, dass man auch den Weg unseres Lebens mit dem Aufstieg
zu einem hohen Berg vergleichen kann, auf den wir hinauf sollen. Aus
dem Leben vieler heiliger Menschen, ich denke da besonders an Mutter
Teresa, ist mir bekannt, dass sie ihren Weg mit Maria gegangen sind.
So sagt uns der Hl. Ludwig von Montfort, dass der kürzeste, aber
der sicherste und beste Weg zu Jesus, der Weg an der Hand Marias
ist.
So wie jede gute Mutter kann uns dieses einfache Mädchen aus Nazareth
wie eine Bergführerin sein, damit wir unser Ziel erreichen können.
Freitag 30. August 2002
In einem Gasthaus, in dem ich zum Mittagessen war, saß am Nebentisch ein
Ehepaar mit seiner Tochter. Auf einmal lächeln sie einander zu. Sie
sagen aber kein Wort. An ihrem Lächeln kann ich erkennen: Sie haben
einander etwas gesagt, ohne ein Wort zu sprechen. Solche Gesten der
Zuneigung berühren mich. Ganz anders verhalten sich manche Menschen
im Urlaub, wenn sie einander voll Ungeduld anschreien.
Wie begegnet Jesus uns Menschen? Eine Stelle aus der Heiligen Schrift
sagt uns dazu klar und eindeutig: “Erschienen ist uns die Güte
und Menschenfreundlichkeit unseres Heilands und Erlösers”.
In der Beziehung zu Jesus, so stelle ich es mir vor, gibt es auch die
menschlichen Gefühle. Dazu kann gehören, dass wir ihn anlächeln.
Wir dürfen menschlich mit ihm sprechen, wie wir es mit dem besten
Freund oder besten Freundin tun. Gott ist nicht ein komplizierter
Gott, den man nur in Büchern mit viel Intelligenz finden kann. Ich
stelle mir vor, dass Jesus auf ein Lächeln vor dem Tabernakel in
der Kirche und an jedem anderen Ort wartet, weil er jeden Menschen
in einmaliger Weise liebt.
Wir glauben an einen Gott der Freude und des Friedens, der Liebe und der
Barmherzigkeit. Keineswegs aber an einen Gott der Langeweile und der
Mutlosigkeit. Jesus ist bei uns, auch wenn wir ihn nicht sehen.
Samstag, 31. August 2002
In meinem Heimatort gibt es zahlreiche Marillenbäume. Immer wieder kann
es da passieren, dass durch einen Sturm ein Ast mit halbreifen Früchten
abgebrochen wird. Als Bub hat mir das oft gefallen. Ich habe mir
gedacht: Da brauche ich wenigstens nicht so hoch hinaufklettern, um
die Früchte zu pflücken. Sehr enttäuscht war ich aber dann, als
nach einigen Tagen die Blätter welk geworden sind und die Marillen
nicht reifen konnten.
Im Gleichnis vom Weinstock und von den Reben sagt Jesus uns dasselbe.
“Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben!” Eine Rebe, die vom
Weinstock abgeschnitten wird, kann keine Frucht bringen. Wenn es uns
manchmal schlecht geht, denken wir vielleicht daran. Das Bild vom
abgebrochenen Ast des Marillenbaums ist für mich sehr eindeutig.
Ganz schnell beginnen die Blätter zu welken, einfach deshalb, weil
sie keine Nahrungssäfte mehr vom Baum erhalten.
Das meint Jesus, wenn er uns sagt: “Getrennt von mir könnt ihr nichts
tun!” Er macht uns Mut, wenn er sagt: “Ich bin bei euch alle
Tage bis ans Ende der Zeiten”. Damit erinnert er uns, dass er Tag
und Nacht bei uns ist. Er ist jeden Augenblick bei uns gegenwärtig.
Gott will nicht, dass wir traurig sind. Er möchte uns von allen Ängsten
befreien.
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