Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

So 1.9. - Sa 7.9.2002

Dir. Josef Kopeinig (Bildungshaus Tainach, Kärnten)

 

Sonntag, 1. September 2002

Es freut mich Ihnen heute und in den nächsten Tagen begegnen zu dürfen, zwar nicht persönlich auf der Straße, aber vielleicht doch auf Ihrem Lebensweg.

Ich möchte Ihnen begegnen mit kurzen Morgengedanken und hoffe, dass wir uns gemeinsam von guten Worten beschenken lassen.

 

Vor einiger Zeit schickte mir ein Freund folgenden Text über die Begegnung. Einige dieser Gedanken möchte ich Ihnen als Morgengabe schenken.

Wir können so gemeinsam bedenken, was Begegnung bedeuten und bewirken kann.

 

Begegnung

großes Ereignis im Kleinen

so oft ersehnt und verweigert

begonnen und oft behindert

aufgeblüht und oft nicht angenommen

 

Begegnung

geheimnisvolle Wirklichkeit

faszinierend und doch nicht ergründbar

erlebt – und doch nicht erklärbar

erfahren – und doch nicht begreifbar

 

Begegnung

die große Gabe

ausersehen zum Schenken

angeboten in Liebe

getragen vom Glauben

geprägt von der Hoffnung

 

Begegnung

Weg aus der Krise

aus Enge und Habsucht

aus Elend und Not

aus Streit und Verletzung

aus Bosheit und Ichsucht

 

Begegnung

von Gott begonnen

für Menschen bestimmt

als Weg zwischen Ich und Du

als Baustein fürs Leben

für Glück und Freude und Frieden

 

Ja, wenn wir die schönsten Tage unseres Lebens aufzählen, immer wird sich die Erinnerung an jene damit verbinden, denen wir in Liebe begegnet sind.

So wünsche ich uns allen an der Schwelle des neuen Tages  viele solcher Begegnungen!

 

 

Montag, 2. September 2002

 

Begegnungen sind entscheidend für unser Lebensglück.

Aber die Wege zu unseren Nächsten sind manchmal sehr weit und mühsam.

 

Ein irischer Weisheitsspruch lautet: „Auf dem Weg zu Deinem Freund soll kein Gras wachsen.“

Erschrecken wir nicht manchmal, dass die Wege und Straßen, Pfade und Stege zu vielen Mitmenschen schon mit viel Gras oder gar mit Gestrüpp überwuchert sind?

 

Oft genügt nur ein gutes Wort oder ein offener und ehrlicher Blick in die Augen des anderen und es erstrahlt neues Licht in den Alltag der flüchtigen Begegnungen.

 

In einem einzigen Augenblick kann sich das Wunder einer tiefen Begegnung ereignen, denn die Augen sind die Türen unseres Herzens und die offenen Fenster des Inneren.

 

Einem in die Augen schauen,

heißt eins werden mit seiner Freundlichkeit und seinem Wohlwollen;

heißt überrascht werden von seiner Offenheit und seiner Herzlichkeit;

heißt eingeladen werden in die Fantasie der Freundschaft.

 

Einem in die Augen schauen,

heißt Vergebung schenken und Verzeihung erbitten;

heißt Not erkennen und Rätsel des Lebens annehmen;

heißt Tränen der Trauer sehen und Ängste des Lebens erspüren;

heißt oft einen gemeinsamen Weg aus erschreckender Einsamkeit finden.

 

Einem in die Augen schauen,

heißt Anerkennung und Freundschaft, Anteilnahme und Begeisterung, Hilfe und Zuspruch, stille Übereinkunft und zärtliche Zuwendung.

 

Im Augenblick einer solchen Begegnung begegnen wir im Gegenüber den Mit-Menschen und in ihm Gott selbst!

 

Mutter Teresa aus Calcutta schreibt in ihrem geistlichen Tagebuch: „Suchen wir Gott nicht über den Sternen, sondern in den leuchtenden oder erlöschenden Augen unserer Mit-Menschen.“

 

 

Dienstag, 3. September 2002

 

Einige Stunden des heutigen Tages haben Sie schon schlafend und vielleicht auch träumend verbracht.

Jetzt sind Sie wach und blicken in die nächsten Stunden erwartungsvoll und hoffend auf einen guten heutigen Tag und auf viele gute Begegnungen.

 

Der gütige und inzwischen selig gesprochene Papst Johannes XIII. schenkt uns in seinem Tagebuch folgenden Rat:

Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne die Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.

Nur für heute werde ich nicht die anderen ändern wollen, sondern nur mich selbst.

Nur für heute werde ich eine gute Tat vollbringen, und ich werde es niemandem erzählen.

Nur für heute werde ich in der Gewissheit leben, dass ich für das Glück geschaffen bin.

Nur für heute werde ich mich bemühen, den anderen kein trauriges Gesicht zu zeigen, sondern sie zu ermuntern.

Nur für heute werde ich zuerst das tun, wozu ich momentan keine Lust verspüre.

Nur für heute werde ich mich über die Sonne freuen, auch wenn sie noch Wolken verdecken.

Nur für heute werde ich glauben, dass Gott für mich so da ist, als gäbe es sonst niemand auf der Welt.

Nur für heute mache ich diesen Vorsatz, weil ich weiß, dass Gott mir auch für morgen die Kraft geben wird. – So weit Johannes XXIII.

 

Ich weiß, dass man nicht immer und jederzeit alle guten Ratschläge und Vorsätze verwirklichen kann.

Aber versuchen wir es vielleicht nur für heute mit einem dieser Vorsätze?

 

So wünsch´ ich Ihnen und mir selbst einen guten heutigen Tag!

 

 

Mittwoch, 4. September 2002

 

Ich wünsche Ihnen heute eine gute Zeit.

Die Zeit ist eine kostbare Gabe.

Wir können sie nicht festhalten, besitzen, sondern nur nützen, sie sinnvoll erfüllen oder sie leer verstreichen lassen.

Die Zeit ist eine der edelsten Gaben, weil sie nicht käuflich erworben werden kann. Wir können sie nur empfangen, weil sie uns geschenkt wird – in gleicher Weise den Jungen und Alten, den Reichen und Armen, den Traurigen und Frohen, den Weinenden und Lachenden.

Gerne übermittle ich Ihnen einige Meditationsgedanken über die Zeit von Eli Michler:

 

Ich wünsche Dir Zeit!

Nicht alle möglichen Gaben.

Ich wünsche Dir nur,

was die meisten nicht haben.

 

Ich wünsche Dir Zeit,

Dich zu freuen und zu lachen,

und wenn Du sie nutzt,

kannst Du viel daraus machen.

 

Ich wünsch Dir Zeit,

nach den Sternen zu greifen,

und Zeit, um zu wachsen,

das heißt, um zu reifen.

 

Ich wünsche Dir Zeit,

zu Dir selber zu finden,

jeden Tag, jede Stunde

als Glück zu empfinden.

 

Ich wünsch Dir Zeit,

auch, um Schuld zu vergeben.

Ich wünsche Dir,

Zeit zu haben zum Leben.

 

Wenn Sie sich des Wertes der Zeit bewusst werden, wird sie Ihnen nicht wie Sand zwischen den Fingern verrinnen, sondern wie guter Same neues und frohes Leben schenken.

 

Donnerstag, 5. September 2002

 

Ohne Liebe wäre die Welt kalt, ohne Freunde blieben wir einsam.

Ich wünsche Ihnen, dass sie treue Freundinnen oder Freunde haben, vor allem aber, dass sie selber solche sind.

 

Man kann ohne Menschen leben, aber nicht ohne Freunde.

Alles, was über die Freundschaft gesagt werden kann, ist aber wie die Lehre der Botanik im Vergleich zu den bunten Blumen.

 

Jeder erfährt Freundschaft auf seine Weise, denn sie ist eingebettet in die jeweilige lebenslange Erfahrung mit allen Höhen und Tiefen.

 

Freundschaft hat einen ganz besonderen Wert, den man nicht auf den Marktplätzen anbietet und ein Geschenk, mit dem man kein Kapital schlagen darf.

 

Ja, Freundschaft ist oft ein behütetes Geheimnis, das nicht zerredet sein will.

Freunde können miteinander schweigen und sie können sich begegnen in aller Freiheit ohne einander zu vereinnahmen.

Freunde brauchen keine Geschenke, sondern sie sind einander die wertvollste Gabe.

 

Ein Freund ist ein Geschenk des Himmels. Deshalb heißt es in einem arabischen Sprichwort:

 

„Geh eine Meile, einen Kranken zu besuchen;

zwei, um Frieden zu stiften;

drei, um einen Freund zu sehen!“

 

Die Kärntner Dichterin Christine Lavant drückt ihre Sehnsucht nach wahrer Freundschaft so aus: „ Ich brauche einen Menschen, bis ich Gott gefunden habe.“

 

Ich wünsche Ihnen einen solchen Menschen – eine treue Freundin oder guten Freund!

 

Und für dieses Geschenk sind wir jeden Tag neu dankbar.

 

Freitag, 6. September 2002

 

Ich hoffe, dass Sie gut geruht haben, denn mit ausgeruhten Augen sind wir wieder fähig, genau hinzuschauen, wo Menschen leben und oft auch leiden.

Mit ausgeruhten Ohren fällt uns wieder leichter, aufmerksam zu sein und zu hören, was jemand sagen möchte.

Mit ausgeruhtem Mund finden wir wieder das behutsame Wort, das im Schweigen geboren und im Gebet gewogen wird.

 

Der slowenische Dichter Tone Kuntner hilft uns sensibler, empfindsamer zu sein, wenn er uns Folgendes sagt:

„Du siehst nicht alles, wenn du nicht auch siehst, was die Blinden sehen,

Du hörst nicht alles, wenn du nicht auch hörst, was die Tauben hören,

Du sagst nicht alles, wenn du nicht auch sagst, was die Stummen sagen.“

 

Beginnen wir den heutigen Tag mit der Neugierde eines Kindes, mit der Aufmerksamkeit eines Liebenden und der Behutsamkeit eines Suchenden, eines Suchenden nach Wahrheit, Liebe und Glück!

 

Der französische Dichter Antoine de Saint Exupery bittet im folgenden Gebet um die Weisheit jede Zeit als großes Geschenk zu erfassen:

Herr, ich bitte Dich nicht um Wunder und Visionen, sondern nur um Kraft und Licht für den Alltag.

 

Schicke mir im rechten Augenblick jemand, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen, dass die Zeit eine Leihgabe ist.

Gib mir, Herr, nicht, was ich wünsche, sondern was ich brauche – für den heutigen Tag und für alle folgenden!

Hilf mir, die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen.

 

Samstag, 7. September 2002

 

Das Wort des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard kann uns eine gute Weisung für den neuen Tag bedeuten. Er sagt: „Das Tor zum Glück geht nach außen auf! Im Du begegnest Du Dir selbst.“

Erst im offenen Blick, im aufmerksamen Hören, im beherzten Wort, in der absichtslosen Begegnung mit dem Du des Mitmenschen, erleben wir die eigene Zufriedenheit und Freude.

Freilich können wir für niemand die Garantie des Glücks übernehmen, aber wir können manches beitragen, dass es heller wird in den Herzen der anderen und auch im eigenen.

 

Diesen Wunsch hat die Dichterin Emmy Grund in folgende Worte gekleidet:

 

“Kann dir nicht die Sonne schenken,

nicht die Sterne und den Mond,

nur ein herzliches Gedenken,

so wie du es längst gewohnt.

 

Kann den Tag nicht konservieren,

weder Licht noch Dunkelheit,

doch um ein Gespräch zu führen,

hab ich immer für dich Zeit.

 

Kann das Glück nicht für dich buchen,

nicht den Frohsinn und das Lachen,

doch ich werde stets versuchen

Hoffnung transparent zu machen.

 

Kann nicht in die Zukunft schauen,

bin beileibe kein Prophet

doch ich schenk` dir mein Vertrauen

und ein stilles Bittgebet.“