Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Pfr. Alois Luisser (Jennersdorf, Bgld.)

 

 

Sonntag, 17.November 2002

In dieser Woche begleite ich Sie mit meinen Gedanken. Heute möchte ich Sie gleich fragen: “Halten Sie von sich etwas? Viel? Mit Sicherheit oder getrauen Sie sich nur sehr leise und zögernd sagen, dass Sie Begabungen und Fähigkeiten haben und diese auch gut einsetzen.“ Es gibt so viele Talente und Fähigkeiten, die wir alle gut gebrauchen können für uns und für einander. Manche Menschen lassen sich so leicht unterdrücken, zurückstellen, ja sogar zum Versager abstempeln. Wieder andere tun dies gern in der Familie, im Freundeskreis und auch am Arbeitsplatz.

Ich kenne meine Talente gut; Menschen sagen mir das einfach, ich freue mich darüber und versuche, diese Talente gut einzusetzen und zu nutzen. Es stimmt doch: Gott hat keinem nichts und niemandem alles gegeben!

Also hat jeder wenigstens ein Talent, auch Sie!

Montag, 18. November 2002

Ich erinnere mich an einen Film aus meiner Schülerzeit mit dem Titel: “Das Wunder von Mailand”. Eigentlich passierte in dem Film kein Wunder im Sinne eines übernatürlichen Ereignisses. Das sogenannte Wunder war ein junger Mann, der mit allen benachteiligten Menschen in seiner Stadt Mitleid hatte. Er hatte das Talent, den Traurigen die Traurigkeit zu nehmen. Einfach so: wenn er von weitem einen verkrüppelten kommen sah, begann er auch zu hatschen, allerdings mit dem Unterschied, dass er dabei fröhlich dreinschaute. Dieses frohe Lächeln überraschte die Betroffenen so sehr, dass sie bald ihre Behinderung vergaßen, ihr Selbstmitleid aufgaben und sich dachten, wenn der trotz seines verkrüppelten Beines so glücklich dreinschaut, dann kann ich das auch! Sind Sie auch so ein talentierter Tröster?

Dienstag, 19. November 2002

Mir fällt es immer wieder auf, wenn ich mit jungen Familien beisammen bin, dass da meistens jemand ist, der auf Kinder wie ein Magnet wirkt. Alle Kinder wollen bei ihm sitzen, klettern auf ihm herum, betteln immer wieder, er solle mit ihnen ins Freie gehen, denn dort lässt es sich gut herumtollen. Das Talent, die Begabung auf Kinder anziehend zu wirken, mit ihnen gut umgehen zu können, ist eine große Sache. Kinder sind heute viel allein und vereinsamen. Sie haben nur stundenweise am Tag die Chance, den Papa oder die Mama für sich zu haben. Aus diesem Mangel an Körperkontakt kommt die Sehnsucht und das Bedürfnis, zugängliche Erwachsene zum Spielgefährten zu machen. Sollten Sie das Talent haben ein Kinderfreund zu sein, nützen Sie jede Gelegenheit, Kindern Aufmerksamkeit und Geborgenheit zu schenken. Beschenkt werden nicht nur die Kinder, sondern auch Sie!

Mittwoch, 20. November 02

Es gibt Menschen, die es immer und überall schaffen, Unfrieden zu stiften. Eine spitze Bemerkung und sie treffen anderen mitten ins Herz. Ein Anruf bei einer Freundin und die Verleumdung geht wie ein Lauffeuer durch alle Telefone und zersprengt eine Gruppe, die sich bisher gut verstanden und gemocht hat. Solche Elefanten im Porzellanladen oder Menschen, die ins Fettnäpfchen treten, gibt es immer und überall.

Es gibt aber auch andere Typen, diejenigen, die das Talent haben, Wogen zu glätten, auszugleichen, Frieden zu stiften und wieder in Ordnung zu bringen, was ins Chaos geraten ist.

Wenn ich Kinder taufe, dann versuche ich den Eltern und allen anderen klarzumachen, dass sie dafür offen bleiben sollen, dass Gott mit diesem Kind vielleicht ganz Großes vorhat. Die Eltern Mutter Teresas waren ahnungslos, dass ihr Kind einmal für die Welt eine so wichtige Frau werden wird. Friedensstifter können wir nie genug haben.

Donnerstag, 21. November

Ich bin ein Bewunderer der schönen Sprache. Ich meine damit sehr wohl auch die schön klingenden Fremdsprachen wie Italienisch, Spanisch und Französisch. Vor allem aber meine ich auch, wie sich jemand in unserer deutschen Sprache ausdrückt. Welche Wortwahl er trifft! Ob er, in Zorn geraten grob und vulgär spricht oder die Ruhe bewahrt und nicht ausfällig wird. Unter dem Talent, eine schöne Sprache zu haben, meine ich auch, dass jemand einen schwierigen Sachverhalt so einfach ausdrückt, dass jedermann das Gesagte auch verstehen kann.

Dass Schriftsteller und Dichter eine schöne Wortwahl haben, setzen wir voraus. Dass unsere Umgangssprache aber auch schön sei, das erwarten wir uns voneinander. Kindern sagen wir es noch, wenn ein Wort nicht schön ist, sind unsere Worte aber auch gefiltert? Überlegen wir, ob sie unseren Gesprächspartner verletzen oder wohl tun? Wem Gott die Gabe der schönen Sprache gegeben hat, der soll sie nützen.

Freitag, 22. November

Wenn man karitativ tätig ist, dann begegnen einem die unterschiedlichsten Menschen mit dem Talent der Organisationsfähigkeit. Ich bewundere in dieser Hinsicht oft die Frauen, mit welchem Einfallsreichtum und welcher Ausdauer sie beispielweise Hilfstransporte organisieren. Sie wissen, was gebraucht wird. Achten darauf, dass es keine Lumpensammlung, sondern eine Kleidersammlung wird - mit sauberen Kleidern. Sie organisieren das Geld für den Transport und haben dann auch noch die Kraft, den Transport in ein unsicheres Land zu begleiten. Das ringt Respekt und Achtung ab, einerseits vor der Fähigkeit und andererseits vor der Unerschrockenheit Begonnenes auch zu Ende zu führen. Der Spruch: „Ein guter Anschaffer ist mehr wert als 10 Helfer“, hat sicherlich seine Berechtigung.

Samstag, 23. November

“Gott hat niemandem alles und keinem nichts gegeben!” Mit diesem Spruch haben wir die Woche begonnen. Ich wollte damit erreichen, dass wir unsere Talente nützen, zu unseren Begabungen stehen und unser Licht nicht unter das Stockerl stellen. Ich wollte aber auch, dass wir die Talente anderer, besonders jener, die sich nicht nach vorne drängen, erkennen und ihnen Lob und Dank aussprechen. Manche Menschen haben große Minderwertigkeitsgefühle, getrauen sich nirgends mitzureden und sind in Wirklichkeit sehr wertvolle Menschen. Wir müssen manchmal einander auch helfen, zu jenem Platz zu kommen, der der unsrige ist, damit wir uns entfalten können und unser Selbstwertgefühl uns Freude am Leben verschafft. Jeder Mensch braucht seinen Platz in dieser Gesellschaft, braucht seine Anerkennung und Würde.