Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Rudolf Luftensteiner,
Pädagogisch – organisatorischer Leiter in der Vereinigung von Ordensschulen Österreichs, Wien

 

Sonntag, 15. Dezember 2002

Ich denke, dass jeder von uns so seine Lieblingssymbole für Weihnachten hat. Eines von mir ist die Krippe, der Ort, wo das Jesuskind lag. Die Krippe ist so ganz anders als das, was wir im Weihnachtsgeschäft erleben. Da geschieht etwas so ganz anderes.

In der Krippe geht es nicht um das Viel-sein und Viel-bedeuten, nicht um tolle Geschenke oder neueste Kleidung, sondern um das Angenommensein, das Wertgeschätzt-sein, das Umhegt- und umpflegt sein. Um einen Gott, der nicht in Macht und Herrlichkeit erscheint. Gott kommt in die Lebensrealität der Kleinen und Schwachen und steht so auch zu meiner Lebensrealität und begegnet mir in dieser Realität. Gott ist in meiner unglücklichen Liebe, in meiner nicht bewältigten Konfliktkultur, in meinen Zerbrochenheiten und meinen Tiefpunkten. Krippe heißt für mich, dass Gott keine Scheinwelten will, sondern mich treffen will in meiner Lebensrealität wie auch immer diese ausschauen mag. Krippe heißt für mich keine Scheinwelten zu errichten oder mich mit Illusionen abzugeben. Krippe heißt für mich, dass ich lernen soll in meine Lebensrealität Gott hineinzulassen, auch dann, wenn sie sehr bescheiden und sehr einfach ist. Da ich diese Lebensrealität selber allzu oft gar nicht gerne wahrnehme, sondern viel lieber Scheinrealitäten nachlaufe, fällt es mir natürlich auch schwer, mich mit diesen Realitäten Gott zu stellen.

Krippe ist für mich ein gewichtiger Aufruf zur Lebensehrlichkeit.

 

Montag, 16. Dezember 2002

Von den vielen Symbolen und Zeichen für Weihnachten wie Christbaum, Lichterketten, Weihnachtsmarkt usw, ist mir die Krippe das wichtigste Zeichen. Es ist mir deshalb so wichtig, weil die Krippe eine ungeheure Aussagekraft hat. Da nimmt jemand unsere Weltrealität, meine Realität, mein Leben so sehr wahr, dass es fast schon unglaublich ist. Da ist ein Gott, der seinen Sohn nicht in einer Wundersituation, nicht in einem Sonderstatus in diese Welt kommen lässt. Da ist ein Gott, der uns Menschen so sehr ernst nimmt, dass er selber Mensch wird und dadurch das Menschsein wichtig macht. Und dieser Gott kommt auch nicht in der Situation der Privilegierten und Besseren in diese Welt, sondern in der untersten Etage menschlichen Seins. Er solidarisiert sich dadurch mit allem, was am Rande steht, elend ist und leidet. Krippe ist daher ein Gegenzeichen in der Welt von heute. Sie ist ein Zeichen für all die Wohlstandsverlierer, die Arbeitslosen, die Obdachlosen, die, die niemand will und denen Heimat verweigert wird. Damit sie wieder Mut fassen können. Warum? Weil sich nämlich Gott mit ihnen solidarisiert hat! Seine Geburt fand nun mal am untersten Level der Möglichkeiten statt. Die Krippe ist damit ein Widerspruch zu all dem, was wir als wichtig erklären!

Krippe ist keine Hochglanzbroschüre für Neureiche, sondern Trost für alle, die auf der Schattenseite der Wohlstandsgesellschaft stehen.

 

 

Dienstag, 17. Dezember 2002

Viele Menschen höre ich immer wieder klagen über die so sinnentleerte Adventszeit. Vielleicht ist vieles dran an dieser Klage und viele Menschen erleben es so. Die Frage wäre dann, woran das liegt. Ich denke, es liegt nicht so sehr an der Adventszeit selber, sondern vielmehr an uns. Wenn ich mich nach irgendetwas entgegensehne, wenn ich mir etwas erhoffe, dann bin ich getragen von einer Vision, von einer Vorstellung dessen, was da werden soll. Dieses Sehnen und Hoffen, dass da etwas Raum bekommen soll, dass sich da etwas verändern soll, sorgt für einen Advent mit Inhalt, mit Sinn. Daher frage ich mich nicht, ob denn der Advent sinnentleert ist, sondern vielmehr ob uns nicht die Visionen über das Leben abhanden gekommen sind?

Zwar lassen wir uns den Advent als eine Art von „Antwort“ zu einem Konsumrausch umfunktionieren, aber in uns verstummen die Stimmen der Sehnsucht und der Hoffnung auf ein geglücktes, auf ein freudiges Leben dennoch nicht. Auch wenn wir diese Sehnsüchte und Hoffnungen unter großen Bergen von Geschenken und Weihnachtsfeiern vergraben, melden sich diese Stimmen in uns. Wenn wir diese Stimmen in uns zulassen, wenn wir diese Visionen wieder Gestalt werden lassen in unseren Gesprächen, in unserem Umgang miteinander, dann wird es wieder einen sinnvollen Advent geben.

Advent wird sicherlich nicht durch äußere Aktionen – welcher Art auch immer – sinnvoll, sondern dadurch, dass wir in uns wieder Visionen und Hoffnungen zulassen und anfangen, diese Visionen und Hoffnungen zu leben. Solange der Advent ein einziger großer Wartesaal ist, in dem versucht wird diese Sehnsucht in uns zum Schweigen zu bringen, solange kann es nicht adventlich werden. Advent ist keine Konsumhaltung, sondern Advent heißt: wir fangen an.

 

Mittwoch, 18. Dezember 2002

Der Advent gehört für mich zu jenen Zeiten, die mich immer wieder milde stimmen und mich trösten. Das Tröstliche ist für mich dadurch zu erleben, dass bei mir, bei den Menschen allgemein, ein Hunger nach mehr aufkeimt - so nach dem Motto: „Es muss im Leben mehr als alles geben!“ Wenn ich so das Jahr über oftmals den Eindruck habe, dass immer mehr Menschen kein Herz haben, dann kann ich solches im Advent doch wieder erkennen. Es ist eine tiefe Sehnsucht, ein unstillbarer Hunger, dass es da doch noch mehr geben muss, nämlich mehr als alles. Die ganze Einkaufs-, Punsch- und Weihnachtsmarkthektik, die ganze Grellheit und Überdrehtheit vermögen nicht diese Sehnsucht zu übertönen. All die unzähligen Punsche und Glühweine mögen sie nicht zu ertränken. Das tröstet mich, das gibt mir Mut, das gibt mir Hoffnung. Wir Menschen vermögen unsere Sehnsucht nicht umzubringen!

Deshalb liebe ich den Advent. Es gibt sie, diese Regung unserer Herzen, diese Sehnsucht, dass es mehr als alles geben muss. Es gibt dieses Wissen darum – ganz tief in uns.

Wäre es nicht wunderschön, wenn diese Sehnsucht in uns voll aufbrechen könnte? Warum lassen wir den Schmerz darüber, dass uns etwas fehlt, nicht zu? Warum lassen wir uns durch diesen Schmerz nicht zu einer anderen Art und Weise des Lebens bewegen, die diese Sehnsucht in uns stillen könnte?

Lassen wir Advent in uns zu! Lassen wir es zu, dass wir sehnsüchtig sind und – auch bleiben, solange „es mehr als alles gibt.“...

 

Donnerstag, 19. Dezember 2002

Ich bin ein Mensch, der regelrecht verliebt ist in den Advent. Ich liebe diese Zeit deshalb so sehr, weil sie unglaublich viel zu tun hat mit den Nöten der Menschen. Der Advent ist für mich die Antwort auf die eiskalte Atmosphäre unserer Zeit. Die Botschaft von jenem Mann aus Nazareth, der in seinen Worten und Taten nicht aus war auf Gewinn und Applaus. Die Botschaft von jenem Mann aus Nazareth, der es fertig brachte, selbstlos zu dienen und freiwillig den untersten Platz einzunehmen. Diese Botschaft ist total zugeschnitten auf unsere eiskalte, den Menschen verachtende Zeit. Advent steht gegen die Abzocker, denen die Summe der Entlassenen egal ist, wenn nur die Summe der Dividende stimmt. Advent steht gegen die Geschäftemacher, denen das Leben der Natur egal ist, wenn sie nur maximalen Gewinn machen mit ihren Geschäften. Advent steht gegen die, die meinen mit Krieg Frieden machen zu können und die, die Geschäfte der Kriegsindustrie höher bewerten als die Nöte derer, die dem Elend und Wahnsinn von Krieg ausgesetzt sind.

Deshalb bin ich verliebt in den Advent, weil er aufblitzen lässt, dass es um den Menschen in all seiner Verletzlichkeit geht, dass es um den Menschen mit seinen Ängsten geht, dass es um den Menschen geht, der leben will und das in Freude, Liebe und Glück.

Ich bin deshalb verliebt in den Advent, weil er mir vermittelt, dass ich ein Lebensanrecht habe, weil er mir sagt, dass es gut ist die Sehnsucht nach Liebe und Glück in sich zu tragen und dass diese Sehnsucht nicht zum Scheitern verurteilt ist.

 

Freitag, 20. Dezember 2002

Ein Weihnachtssymbol ist für mich in letzter Zeit sehr wichtig geworden und zwar das Zeichen des Lichtes. Für mich im Licht der Kerze. Dieses Licht, das einem dunklen Raum Beleuchtung und Wärme gibt. Ein Licht, das zwar die Dunkelheit erhellt, diese aber nicht gleich mit gleißendem Licht ausfüllt. Das Licht der Kerze liebe ich auch deswegen so, weil es etwas Barmherziges an sich hat. Es zeigt nicht jede Falte und Furche im Gesicht, es zeigt nicht jedes Staubflankerl in der Wohnung. Kerzenlicht macht hell, aber es zerrt nichts hinter dem Vorhang hervor. Wenn ich so um mich schaue, scheint das Licht für viele ein ganz wichtiges Symbol zu sein, weil ja immer mehr Lichterketten, beleuchtete Christbäume, Lichtergirlanden auf den Häusern zu sehen sind. Nur: in dieser Dichtheit können sie mit dem warmen Licht einer Kerze nicht mithalten, können sie diese Atmosphäre nicht schaffen. Diese Fülle an Licht ist grell und gleißend, hart und aufdringlich.

Vielleicht könnte das Symbol einer Kerze uns wieder zeigen, dass es auch ein „Zuviel“ geben kann, dass weniger oftmals mehr ist, weil da mehr an Lebensqualität, an Lebensmöglichkeit drinnen liegt.

Vielleicht haben wir den Mut Lichterketten einmal auszuschalten und sich nur mit einer Kerze zu begnügen, sodass wir die Symbolik von Licht wieder neu erfahren können.

 

Samstag, 21. Dezember 2002

Es gibt eine Frucht, die in mir stets Erinnerungen an Advent und Weihnachten wachruft, weil in meiner Kindheit es diese Frucht nur im Advent gab. Und zwar ist das die Mandarine. Wenn ich so die Mandarine schäle und die Frucht, das Wesentliche, aus der Schale löse, steigt in mir immer wieder die Frage nach dem Wesentlichen von Weihnachten hoch. Wenn wir uns Länder vergegenwärtigen, wo es hochsommerlich schön und heiß ist, stellt sich doch die Frage: wie feiern denn die Weihnachten? Die haben keine Weihnachtssentimentalität mit Schneeflöckchen, Punschhütten und Lebkuchen. Da helfen keine Lichterspiele mit Adventkranzkerzen und Lichterbaum. Da greift keine alpenländische Romantik und Verkitschung von Weihnachten. Ich denke, wenn die Weihnachten feiern, muss das mit dem Kern von Weihnachten zu tun haben! Sind es doch gerade solche, die auf der Schattenseite des Wohlstandes stehen und für die sich die Weihnachtsbotschaft in einer besonderen Tiefe entfaltet: Gott mit uns, in unserer Not, aber auch in unserer berechtigten Hoffnung auf eine Welt, in der Gerechtigkeit und Menschlichkeit den Ton angeben. Gott ist Mensch geworden, um uns Menschen in unserem Menschsein Wichtigkeit, Bedeutung und Sinn zu geben. Menschen in Ländern, wo es zur Zeit zwar heiß und schön ist, aber auch furchtbar elend, können sich nur auf den Kern besinnen, wenn sie Weihnachten feiern wollen.

Was bleibt denn eigentlich noch von unserer Weihnachtsfeier übrig, wenn wir die Schale der Romantik und Sentimentalität ablösen. Gibt es da noch was darunter?