Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Mag. Stefan Ulz (Bischöfliches Gymnasium Graz)

 

Sonntag, 5. Jänner 2003

Weihnachten

 

Heute ist der zweite Sonntag der Weihnachtszeit. Ich weiß nicht, ob Sie noch an das Weihnachtsfest denken oder ob der helle Schein wirklich nur ein Schein war und der graue Alltag Sie jetzt schon wieder eingeholt hat.

Mich selber beschäftigt ein Gedanke noch sehr stark: Wenn es stimmt, dass in Jesus Gott Mensch geworden ist, dann hat er einen steilen Karriereabstieg gemacht – und das noch dazu freiwillig! Der Allmächtige wird ein ohnmächtiges Kind, der Allwissende muss im Jesuskind alles von Null auf lernen, der Ewige unterwirft sich den Grenzen der Zeit.

Wer von uns hätte das schon freiwillig getan?

Ich frage mich, warum Gott das getan hat.

Ist es, weil er uns so sehr liebt, dass er im wahrsten Sinne des Wortes in unsere Haut schlüpfen, unser Menschsein mit allen Facetten und auch mit seinen Grenzen von innen her erfahren wollte, weil er mir ganz nahe sein will?

Wenn ich das bedenke, dann ist Weihnachten nicht nur ein heller Schein ein Mal im Jahr, sondern die Botschaft der Liebe Gottes für alle Augenblicke meines Lebens.

 

Montag, 6. Jänner 2003

Fest der Erscheinung des Herrn - Sternsingen 

Waren sie auch bei Ihnen – die Sternsinger? Oder haben Sie sie aus irgendeinem Grund verpasst? Heute am Fest der Heiligen Drei Könige – oder wie es offiziell heißt am „Fest Erscheinung des Herrn“ - gibt es ja vielleicht noch die Chance, einer Sternsingergruppe zu begegnen.

Ich war selber viele Jahre hindurch als Sternsinger unterwegs, als Kind, als Jugendlicher, später auch als Begleiter. Als Kaplan bin ich wieder gerne in die Rolle eines Königs geschlüpft, um die Frohe Botschaft von Weihnachten durch Gesang und Segenswünsche zu den Menschen zu bringen und gleichzeitig für soziale Projekte in der sogenannten Dritten Welt zu sammeln. Es hat mich oft tief bewegt zu sehen, wie sehnsüchtig viele Menschen jedes Jahr auf uns warteten. Es bewegt mich auch jetzt sehr zu erleben, dass allein in der Steiermark in diesen Tagen ca. 15.000 Sternsinger unterwegs waren, um den Menschen Freude zu bringen und mitzuhelfen, dass das Leid in ärmeren Ländern gelindert werden kann.

Die Sternsingeraktion der Katholischen Jungschar zeigt mir, wie viel Gutes in den Menschen steckt, sowohl in denen, die von Haus zu Haus gehen als auch in denen, die ihre Häuser und Herzen öffnen und die etwas spenden. Letztlich steckt in jedem Menschen viel Gutes, das oft nur darauf wartet, dass es geweckt wird und sich entfalten kann!

 

Dienstag, 7. Jänner 2003

Brasilienreise

 

Im Sommer 2001 durfte ich einen Monat lang in Brasilien sein und soziale Projekte besuchen, die vom Geld der Sternsingeraktion unterstützt werden: Jugendpastoralprojekte, Menschenrechtsorganisationen, Hilfsprojekte für die einheimische Bevölkerung Brasiliens, für Landlose und für Menschen, die zum Teil unter menschenunwürdigsten Bedingungen in den Elendsvierteln, den sogenannten Favelas, leben müssen. Ich hatte die Möglichkeit, mit den Menschen eine Zeit lang mitzuleben und ihre Kultur ein wenig kennen zu lernen.

In dieser Zeit habe ich vermutlich mehr über das Leben und über den Glauben gelernt als durch viele Vorlesungen auf der Uni und durch Bücher. Gerade die ärmeren Menschen in Brasilien haben mir gezeigt, was das Wesentliche ist: das von Gott geschenkte Leben selbst und die Möglichkeit, es miteinander und füreinander zu leben. Hier fühlte ich mich als Mensch angenommen und nicht, weil ich eine bestimmte Stellung in der Gesellschaft, ein tolles Auto oder einen Titel habe. Hier spürte ich Gott im Alltag, Glaube und Leben sind da untrennbar verbunden. Aus der Kraft des Glaubens werden die Aufgaben und Schwierigkeiten des Lebens zu meistern versucht.

Wir können tatsächlich sehr viel von Menschen anderer Völker und Kulturen lernen, wenn wir einander offen, ohne Angst und ohne Vorurteile und mit gegenseitigem Interesse begegnen!


Mittwoch, 8. Jänner 2003

Die goldene Regel

 

Ich habe sehr gute Freundinnen und Freunde aus nichtösterreichischen Ländern. Aus Afrika, Asien, Lateinamerika und aus den verschiedensten europäischen Ländern. Gläubige aus verschiedenen Religionen.

Mir geht es nicht gut dabei, wenn ich negative Pauschalurteile über diese Mitmenschen lese oder höre, schon gar nicht, wenn diese negativen Aussagen von Menschen kommen, die selber wenig bis gar keinen direkten Kontakt mit ihnen haben.

Mir tut es auch weh, wenn dabei allzu schnell die Religion als Grund für Konflikte ins Spiel gebracht wird.

Natürlich weiß ich, dass es Fundamentalismus und Missbrauch der Religionen gibt und dies allzu oft zu Intoleranz, Grausamkeiten und Konflikten führt. Und natürlich müssen sich die Gläubigen aller Religionen fragen, wie authentisch sie ihren Glauben leben.

Aber eines gibt mir große Hoffung: Es gibt in allen großen Religionen eine wunderbare Regel als Richtschnur für den Umgang miteinander. Die sogenannte Goldene Regel. In der Formulierung Jesu wie sie in der Heiligen Schrift der Christen im Lukasevangelium überliefert ist, lautet sie: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Lk 7,12).

Wenn alle Menschen, und auch die Verantwortlichen in unserer Welt, ihr Verhalten an dieser Goldenen Regel ausrichten würden, dann würde die Welt bald anders aussehen und wir kämen der Gerechtigkeit und dem Frieden schnell ein großes Stück näher.

 

Donnerstag, 9. Jänner 2003

Das Positive wahrnehmen

 

Wenn ich täglich in der Früh die Zeitung lese mit den verschiedensten Negativschlagzeilen und Horrormeldungen und wenn ich dann im Laufe des Tages so manche Gespräche mitbekomme, die auch wieder eher Negatives zum Inhalt haben, dann bin ich selbst in der Gefahr, dass sich das Negative zu sehr in meine Gedanken einschleicht.

Ja es gibt viel Schreckliches auf der Welt. Aber gibt es nicht auch mindestens so viel Gutes? Nur drängt sich das weniger in die Öffentlichkeit, es geschieht oft in der Stille.

Ich bin überzeugt, dass es so viel Gutes gibt, dass man damit leicht noch viel mehr Seiten in unseren Zeitungen füllen könnte als sie jetzt mit negativen Nachrichten gefüllt sind.

In einem Lied der internationalen Musikgruppe Gen Rosso heißt es: „Ein Baum, der umfällt, macht mehr Lärm als ein ganzer Wald, der wächst.“

Aber ich muss schon sehr aufmerksam sein und genau hinsehen, dass ich das Wachsen des Waldes wahrnehme, dass ich das Gute nicht übersehe und überhöre im Lärm von fallenden Bäumen.

Ich will jedenfalls jemand sein, der bewusst auf das Wachsen von positiven ermutigenden Pflanzen hinweist, damit sie auch andere wieder wahrnehmen und sich daran freuen können.

 

Freitag, 10. Jänner 2003

Lifestyle 4 Peace

 

Der Advent liegt zwar schon wieder ein paar Wochen zurück, aber ich werde den heurigen sicher nicht so schnell vergessen. Schuld daran ist eine Aktion von Jugendlichen, die den Namen „Lifestyle 4 peace“, auf Deutsch „Lebensstil für den Frieden“ trägt. Dabei geht es darum, im konkreten Alltag mit den eigenen Möglichkeiten und Talenten dazu beizutragen, dass der Friede im eigenen Umfeld wächst und Kreise zieht. Auf einer Internetseite kann man dann Erlebnisse und Erfahrungen eintragen, die den Frieden vermehrt haben und die man selber gemacht oder beobachtet hat. Auf diese Weise werden positive Erfahrungen allen zugänglich gemacht und das motiviert wiederum andere, auch in diesen Lebensstil für den Frieden einzusteigen.

Im letzten Advent nahm ich mir vor, jeden Tag dieses Internetfenster zu öffnen und wenigstens eine positive Erfahrung für den Frieden einzutragen. Diese schickte ich zusätzlich per Email vielen Freundinnen und Freunden von mir quasi als Adventkalender.

Ich hätte nicht gedacht, welch positive Welle damit in Gang gekommen ist. Ich bekam täglich viele Rückmeldungen, wo sich Leute dafür bedankten und motiviert wurden, selber mitzumachen.

Ich selber war schließlich der am meisten Beschenkte.

Es ist manchmal auch wichtig, dass das Gute, was geschieht, nicht unter den Scheffel gestellt wird, sondern - wie Jesus in der Bergpredigt sagt - auf den Leuchter, damit es sich ausbreiten und für andere zum Licht sein kann. (vgl. Mt 5,14-16)


Samstag, 11. Jänner 2003

Leben im gegenwärtigen Augenblick

 

Ein weit verbreitetes Problem unserer Zeit ist der Stress. Von den Schulkindern über die Jugendlichen und Erwachsenen bis hin zu den Pensionisten jammern viele darüber, dass sie so im Stress sind. Wir müssen so vieles erleben und erledigen und das noch dazu möglichst schnell, damit wir ja nichts versäumen, bis wir schließlich selbst erledigt sind und in Wirklichkeit überhaupt nichts ganz erlebt haben. Es gibt Menschen, bei denen ich manchmal das Gefühl habe, wenn ich mit ihnen zusammen bin, dass sie im Gedanken schon wieder beim nächsten Termin sind.

Stress habe ich dann, wenn ich mehrere Dinge zur gleichen Zeit machen will und so für nichts wirklich Zeit habe. Wenn ich das bei mir selber wahrnehme, denke ich mir öfter: Wenn Gott gewollt hätte, dass wir drei Dinge zugleich machen, dann hätte er uns anders erschaffen. Aber nein. Gott gibt uns jede Sekunde wieder eine neue Sekunde – nicht mehr und nicht weniger. Das Beste ist also, immer im gegenwärtigen Augenblick das und nur das gut zu tun, was gerade dran ist und nicht an anderes zu denken.

Was vergangen ist kann ich sowieso nicht mehr wiederholen. Was in der Zukunft kommen wird, weiß ich erst dann wirklich, wenn sie Gegenwart geworden ist.

Wenn ich den gegenwärtigen Augenblick intensiv lebe, kann ich diesen voll auskosten und in der Folge auch die kommenden Augenblicke.

Auf diese Weise schaffe ich letztlich mehr, weil ich ganz bei der Sache bin. Und außerdem nehme ich viel öfter wahr, wie kostbar Augenblicke, Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen sind.