Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

Wolfgang Machreich ist Theologe und arbeitet als Journalist in Wien

 

 

Sonntag, 12. Jänner

Als verliebter Mensch geht es einem ja ähnlich wie dem Heiligen Geist. Du kannst zwar was bewegen, aber ob du was bewegst, das weißt du nie so ganz sicher. Während des Studiums war das immer besonders schlimm. Was machen, wenn die große Liebe ganz genau vor einem im Hörsaal sitzt? Am liebsten würdest du ja neben ihr sitzen, aber das kannst du nicht, und darfst du nicht und außerdem und überhaupt... Also genau in der Reihe dahinter. Aber wie den Abstand überwinden, wie ihr trotzdem nahe sein? Da greift man dann zu Heilig-Geist-Methoden: Ein leichtes Säuseln, ein feines Windchen? Der daneben darf ja auch nichts merken? Ganz sachte fängt man an, nach vorne zu blasen. Und wenn sich das erste Haar am Kopf vor einem bewegt, ist die Freude grenzenlos. Nur jetzt nicht übertreiben, maximal ein wenig kitzeln, auf keinen Fall mehr. Und darauf hoffen, dass sie sich mit einem Lächeln im Gesicht umdreht und dir keine knallt.

Diese Heilig-Geist-Strategie ist mir wieder eingefallen, weil ja heute in der Kirche die Taufe Jesu gefeiert wird. Und da kommt auch der Geist zu diesem geliebten Menschen. Und da wird vielleicht auch damals eine große Unsicherheit im Spiel gewesen sein. Wie bei jeder Liebe. Wie wird er wohl reagieren, der Jesus, auf diesen Anbandelversuch vom Heiligen Geist. Und vielleicht war sich der Geist ja auch nicht ganz sicher, ob das mit diesem Jesus wohl gut ausgeht und ob es nicht eine knallt.

 

Montag, 13. Jänner

Ein Montag der 13. ist für mich bei weitem schlimmer als ein Freitag der 13. Denn an einem Montag dem 13. fängt die Arbeitswoche an und an einem Freitag dem 13., was auch sonst noch sein mag, hört sie wieder auf. Jetzt ist heute der 13. Und Montag ist auch noch. Aber mir macht das nichts, denn ich bin nicht abergläubisch. Den meisten anderen, die ich kenne, macht das aber schon sehr viel. Darum sagen sie immer, wenn ich sie in der Früh treffe: Morgen! Ich glaub schön langsam, die wollen gar nicht an heute denken, die sind immer schon lieber im Morgen.

Egal ob das ein Montag oder ein Freitag ist oder ein Dienstag oder ein Donnerstag? Egal welcher Tag, das erste Wort, das ich von ihnen höre heißt: Morgen. Manchmal regt mich das schon ziemlich auf. Kann denn niemand das Heute „Heute“ sein lassen. Nein immer schon im nächsten Tag, immer schon im Morgen. Wie das am Sonntag ist, das weiß ich nicht. Am Wochenende treffe ich nur meine Familie und die wünscht sich in der Früh einen Guten Morgen und freut sich auf diesen Tag oder klagt darüber, was diesem oder jener heute noch bevorsteht. Aber eines machen wir sicher nicht: Wir denken nicht heute früh schon wieder an morgen. In diesem Sinn: Guten Morgen!

 

Dienstag, 14. Jänner

Das Ansehen bringt Ansehen. Diese einfache Regel wird mir immer wieder bewusst, wenn ich bei meiner Arbeit als Journalist eine Diskussion auf Tonband aufnehme und diese dann später noch einmal - jetzt ohne das dazugehörige Äußere der Diskutanten - abhöre. Da passiert es oft, dass sich mit einem Mal die Diskussion völlig anders präsentiert. Der oder die, die zuvor mit Mimik, Gestik oder einem gewinnenden Äußeren unglaublich gepunktet haben, die schneiden dann auf einmal weniger gut ab. Allein auf die Überzeugungskraft ihrer Argumente reduziert, stehen sie gar nicht mehr so als die großartigen Gewinner da. Und der ruhige, unscheinbarere Typ kann einiges wettmachen. Es ist immer wieder verblüffend, wie sehr man sich, auch wenn man es hundertmal besser weiß, von Äußerlichkeiten und Auftreten beeinflussen lässt. Beim Radio-Hören ist man dieser Versuchung ja noch am wenigsten ausgesetzt. Hier macht wirklich nur der Ton allein die Musik. Aber auch im täglichen Leben lässt sich leicht eine Sicherung einbauen: Beim nächsten Mal, wenn ich jemanden treffe, von dem ich schwer beeindruckt bin, mache ich für ganz kurz nur die Augen zu. Dann habe ich es hoffentlich bald heraus, ob mein Gegenüber auch ohne Ansehen noch ansehnlich ist.

 

Mittwoch, 15. Jänner

Heute haben Romedius und Maurus Namenstag. Viele werden davon nicht betroffen sein. Zum einen wird der Namenstag ja nicht mehr so gefeiert wie früher, heutzutage ist der Geburtstag der wichtigere Termin. Zum anderen finden sich im Kalender auch Namen, die nur mehr mit der Märchen- und Sagenwelt oder mit einem vor Urzeiten lebenden Vorfahren in Verbindung gebracht werden. Marcellus und Priscilla feiern beispielsweise morgen gemeinsam mit Theobald das Namensfest. Adelgunde, Mangold, Radegund, Alrun, Valerius und Ildefons sind in den nächsten Tagen dran. Kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass die Träger dieser Namen alle einmal berühmte Stars waren. Heute sind sie jedenfalls schwer außer Mode gekommen und in Vergessenheit geraten. Schade ist nur, dass mit diesen Namen auch oft die positiven Eigenschaften ihrer Träger verloren gegangen sind. Wo sind sie, die klugen Politiker, deren Namen heute in einen Kalender gestellt werden könnte? Die dem Wohl ihres Landes und nicht so sehr dem eigenen Egoismus gehorchen. Gibt es noch mutige Bischöfe, die das Herz ihres Kirchenvolkes gewinnen? Welcher Frauenname kommt uns in den Sinn, wenn wir heute nach kalendertauglichen Vorbildern suchen? Solange uns da keine wirklichen Alternativen einfallen, bleiben wir lieber beim heutigen Tagespatron Romedius, einem gebürtigen Tiroler, der seinen Besitz an die Armen verschenkte, bevor er in die wilde Einsamkeit zog.

 

Donnerstag 16. Jänner

Das Sakrament mit dem heute der Großteil der Menschen bei uns am wenigsten anfangen kann ist sicher die Beichte. Da ist auch viel in der Vergangenheit verhunzt worden. Wenn ich nur daran denke, wie wir als Kinder in der Schule gesessen sind und nachgedacht haben, bis wir genau drei Sünden parat hatten. Drei mussten es sein, nicht zwei nicht vier, wer drei Sünden hatte durfte in den Beichtstuhl. Wie dieses Sakrament umgewandelt werden müsste, damit es mehr Akzeptanz findet, weiß ich nicht. Mir fällt nur auf, dass das Thema schon sehr viele interessiert und umtreibt. Und da hab' ich auch oft schon das Argument gehört: Na ja, was hat den unsereiner schon für wirkliche Sünden? Und es ist ja wirklich nicht jedermanns Sache, bei sich selbst am kritischsten zu sein. Als Ausweg schlage ich deshalb vor, dass es auch erlaubt ist, jemanden an seiner Stelle zur Beichte zu schicken. In meiner nächsten Umgebung beispielsweise gibt es einige, die aus dem Stand drei, vier und mehr meiner Untugenden nennen können. Die tun sich nicht schwer und denen fallen Sünden ein, auf die ich nie gekommen wäre. Einzig mit der Buße gibt es halt ein Problem. Wer büßt schon gern für einen anderen? Aber die Bußübung könnte man ja ganz streichen. Es ist ja eh schon Buße genug, wenn man, obwohl man die Fehler der anderen immer am deutlichsten sieht, trotzdem ganz gerne mit ihnen zusammen bleibt.

 

Freitag, 17. Jänner

An der Kassa, in einem Supermarkt an der Grenze zwischen Israel und Ägypten steht eine alte Frau. In diesem Supermarkt wollte ich einmal mein letztes israelisches Geld loswerden, bevor es weiter über die Grenze ging. Nach dem Einkaufen, beim Zahlen, hat die alte Frau an der Kassa die Hand aufgehalten, und ich hab‘ ihr das Kleingeld gegeben. Und da hab ich die eintätowierte Nummer an der Innenseite ihres Unterarms gesehen. Und ich hab‘ gewusst: Die war im Konzentrationslager. Und da hat es mir die Sprache verschlagen. Wenn dir auf einmal so jemand gegenüber steht, mit dieser Nummer, mit diesem Schicksal. Dann ist das etwas anderes, als wenn man das in der Schule hört, oder aus Büchern, oder im Fernsehen. Damals, da vor der alten Frau, dass weiß ich noch, da wollte ich, nachdem mir klar geworden war, wer mir gegenüber steht, kein Wort mehr sagen. Ich wollt ihr nicht sagen, dass ich aus Österreich komme. Ich hab sogar gehofft, sie merkt nicht woher ich bin. Aber ich glaub, dass hat nicht funktioniert. Und ich hab sie ohne Worte angeschaut, und sie hat mich ohne Worte angeschaut. Und ich hab mich geschämt. Einfach nur geschämt.

Warum ich das erzähle? Heute, am 17. Jänner, ist der Tag des Judentums. Und da habe ich mich gefragt, was man an einem solchen Tag macht, wie man einen solchen Tag begeht. Und da ist mir die alte Frau mit der eintätowierten Nummer am Arm eingefallen, und dass ich mich geschämt habe.

 

Samstag, 18. Jänner

Als Kind haben mir immer die Fotos von meinen im Krieg gefallenen Großonkeln imponiert. Im Herrgottswinkel links und rechts vom Kreuz sind sie gehangen. Ihre Uniform war es wohl, die eine große Faszination auf mich ausgeübt hat, dazu kamen die Geschichten, die meine Großmutter über ihre Soldatenbrüder erzählt hat. Solche Erinnerungsfotos von Kriegsgefallenen waren damals, vor knapp dreißig Jahren, nichts ungewöhnliches. Ich kann mich auch noch an andere Häuser erinnern, wo ähnliche Bilder von der Wand herunterschauten. Heute findet man sie nur mehr ganz selten. Ein gutes Zeichen, ein Friedenszeichen. Wie das wohl im Irak ist? Dort werden bereits jetzt schon viele solche Fotos an der Wand hängen. Zwei fürchterliche, opferreiche Kriege in den letzten 20 Jahren, der dritte steht, so befürchtet man, vor der Tür. Das ist an keiner Familie spurlos, opferlos vorüber gegangen. Und auch im Irak werden die Kinder wohl fasziniert die Soldatenbilder anschauen. Wie lange es dort wohl noch dauern wird, bis keine gefallenen Verwandten mehr an den Wänden hängen. Sehr lange noch ist zu befürchten. Kein gutes Zeichen, kein Friedenszeichen in Sicht.