Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Pfarrer Bernd Hof (Innsbruck)

 

Sonntag, 26. 1. 2003

Der Sonntag ist mir wichtig ...

 

Der Sonntag ist mir wichtig, auch, weil ich da mit der Familie oder mit anderen etwas unternehmen kann oder mich einfach mit ihnen zusammensetzen kann. Denn am Sonntag haben wir miteinander Zeit.

Freilich nicht alle: Wenn ich mit Franz, dem Kellner, zusammenkommen will, müssen wir schauen, wann er frei hat und wann ich mich frei machen kann; es ist oft gar nicht leicht, eine gemeinsame freie Zeit zu finden. Auch Krankenschwestern, Busfahrer und viele andere müssen am Sonntag arbeiten. Das Familienleben leidet darunter, wenn man keinen gemeinsamen freien Tag hat, sagen sie.

Jetzt gibt es Bestrebungen, Geschäfte auch am Sonntag offen zu halten. Die machen dann natürlich mehr Umsatz als die anderen. Und auch in der Industrie kann es sich finanziell auszahlen, die Maschinen rund um die Uhr durchlaufen zu lassen. Das würde die Wettbewerbsfähigkeit verstärken und Arbeitsplätze sichern, hab ich gelesen.

Aber diese Erfolge würden teuer erkauft. Der Trainer von einem kleinen Fußballclub hat gesagt: „Wenn der freie Sonntag fällt, können wir zusperren.“ Ich frage mich: Was wird aus uns, wenn immer mehr von uns immer weniger zusammensein können, weil wir keinen gemeinsamen arbeitsfreien Tag haben? Es hat schon einen guten Sinn, wenn in der Bibel gesagt wird, der Mensch braucht einmal in der Woche einen bestimmten Tag für Gott, für sich und für die Gemeinschaft.

 

 

Montag, 27. 1. 2003

Wie gut, dass ich nichts gesagt habe

 

„Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, habe ich viele Gründe, dankbar zu sein“, sagt die alte Dame, und fährt fort: „Zum Beispiel, dass ich es manchmal geschafft habe, den Mund zu halten. Sonst sage ich ja immer gleich, was ich mir denke, aber bei meiner Schwiegertochter ... Die ist nämlich eine Perfektionistin, müssen Sie wissen, sie nimmt alles schrecklich genau und weiß alles besser. Damals, vor dreißig Jahren, als ihre Kinder noch klein waren, habe ich ihr eine Zeit lang im Haushalt geholfen. Sie hat mich einmal gebeten, das Kinderzimmer zu putzen. Nach 20 Minuten sag ich ihr, ich bin damit fertig – wissen Sie, wie sie reagiert hat? „Das kann doch noch nicht sauber sein!“ hat sie gesagt und hat sofort hinterhergeputzt. Ich habe hinuntergeschluckt, was mir auf der Zunge lag. Und beim nächsten Zimmer hab ich nach dem Putzen eine halbe Stunde zum Fenster hinausgeschaut, bevor ich den Vollzug gemeldet habe. Da war sie ganz begeistert, wie sauber ich das Zimmer gemacht habe.“

Die alte Frau lacht in sich hinein. Dann erzählt sie weiter: „Jetzt hat mein Enkel geheiratet, und die Schwiegertochter ist selber Schwiegermutter geworden. Da ist sie zu mir gekommen und hat gesagt, sie wird sich bemühen, es genau so gut zu machen wie ich und sich zurückzuhalten. ‚Wenn du das nur schaffst’, hab ich mir gedacht – aber gesagt hab ich nichts“, schließt die Dame.

 

 

Dienstag, 28. 1. 2003

Lass dich nicht hetzen!

 

Ich bin gern zügig unterwegs auf der Autobahn, aber schnell – wirklich schnell fahre ich nicht gern. Nur manchmal – speziell in Deutschland, wo’s ja noch Abschnitte ohne Geschwindigkeitsbegrenzung gibt ...

Da rollt zum Beispiel auf der rechten Spur ein Kolonne Lastwagen dahin, ich bin auf der Überholspur unterwegs, so mit 120, 130 Stundenkilometern, das ist eine gute Geschwindigkeit für mich und für den schwachen Motor von unserm Auto. Ich schaue in den Rückspiegel – da fährt ein PKW ganz knapp hinter mir, blinkt wie ein Wilder. Dann fängt er auch noch an zu hupen. Was soll ich tun? Was bleibt mir übrig, ich ärgere mich und steig aufs Gas: 140, 150, mit Vollgas mit Müh und Not 160, das Auto macht einen Lärm, wie wenn es sich gleich in seine Bestandteile auflösen möchte – dann ist endlich die Kolonne zu Ende, ich fahre in die rechte Spur, der Drängler überholt und geht vor mir vom Gas – beinahe hätte ich bremsen müssen.

So eine Frechheit, na, dem werd ich’s zeigen! Ich gebe Vollgas, geh in die Überholspur, darauf steigt er auch aufs Gas – und so hetzen wir uns gegenseitig über die Autobahn.

Irgendwann ist der andere plötzlich weg, wahrscheinlich hat er bei einer Ausfahrt die Autobahn verlassen. Ich reduziere mein Tempo, und ich merke: Ich schwitze vor Aufregung. Was ist denn da in mich gefahren frag ich mich? Gott sei Dank ist nichts passiert, aber warum habe ich bei der Hetzerei mitgemacht? Für meine Fahrweise bin ich doch immer selbst verantwortlich!

 

 

Mittwoch, 29. 1. 2003

Dorian-Gray-Syndrom

 

„Das Bildnis des Dorian Gray“ heißt ein unheimliches Buch des englischen Schriftstellers Oscar Wilde. In ihm darf die Hauptfigur ewig jung bleiben. Nur das gemalte Portrait altert. Aber der Preis ist hoch: Dorian Gray verkauft dafür seine Seele dem Teufel.

Psychotherapeuten sprechen heute vom „Dorian-Gray-Syndrom“, wenn jemand verzweifelt darum kämpft, immer jugendlich auszuschauen. Und es werden immer mehr Leute, Frauen und Männer, deren Leben sich nur mehr um ihr Aussehen dreht, habe ich gelesen: Lifestyle-Medikamente sollen zum Beispiel Haarausfall und Faltenbildung verhindern, kosmetische Operationen die Jugend erhalten – der Wunsch nach jugendlichem Aussehen wird zur Besessenheit. Und wenn dann die Jahre trotz allem nicht mehr zu übersehen sind, bricht für diese Leute die Welt zusammen und sie verkriechen sich. Denn Mensch sein, heißt für sie schön und jung sein.

In der Bibel steht öfter, dass jede Lebensphase ihren besonderen Wert hat, auch das Alter. Diese Betrachtungsweise finde ich menschlich und vernünftig. Ich muss da auch an eine Dame denken, die beim Thema „Schönheitschirurgie“ lächelnd gesagt hat: „Nein, ich lass mir keine meiner Falten wegnehmen, schließlich habe ich sie mir ja alle ehrlich verdient.“

 

 

Donnerstag, 30. 1. 2003

Gezeichneter Glaube

 

Der Mann am Bett der schwerkranken Frau sagt: „Gott ist doch allmächtig, Herr Pfarrer, oder? Schauen Sie sich um auf dieser Welt: So viel Leid und Ungerechtigkeit! Und Gott tut nichts dagegen. Dann ist er doch mit Schuld an allem. Nein, da glaube ich lieber nicht, dass es ihn gibt.“

Die Frau im Bett, todkrank und immer wieder von Schmerzen geplagt, sagt: „Hören Sie nicht auf meinen Mann, er meint es nicht so, er ist ja so gut.“

Ich bin im Lauf der Zeit noch öfter in dieses Krankenzimmer gegangen. Da hat der Mann mir dann gezeigt, was er gezeichnet hat an den langen Tagen, die er bei seiner Frau gesessen ist. Ausdrucksstarke Gesichter haben mich da angeschaut. Dazwischen immer wieder Jesus – geschlagen, blutend, gekreuzigt. Am stärksten beeindruckt hat mich seine Zeichnung, wie der verlorene Sohn heimkommt zum Vater.

„Ich glaube nicht an Gott“, hat der Mund des Mannes am Leidensbett seiner Frau gesagt und wohl auch sein Kopf gedacht. Aber sein Bleistift hat es besser gewusst, und das heißt ja: Für seine Hand und für sein Herz hat das namenlose Leid den Namen und das Gesicht von Jesus bekommen und seine Hoffnung auch.

 

 

Freitag, 31. 1. 2003

Verbesserungspotential

 

Bei einer Sitzung haben wir uns mit dem Entwurf für eine Ordnung beschäftigen müssen, und dieser Entwurf war sprachlich und sachlich ausgesprochen schwach. Einer nach dem anderen haben wir unserm Ärger Luft gemacht, dass sich die Autoren so wenig Gedanken gemacht hatten und die Arbeit jetzt an uns hängen blieb. Aber dann hat Wilhelm, der Älteste aus unserer Runde, gesagt: „Ihr habt ganz recht, da steckt ein erhebliches Verbesserungspotential darin.“ Darauf haben wir herzlich gelacht - Unglaublich, wie positiv Du das ausgedrückt hast! -, und dann haben wir uns halt an die Arbeit gemacht.

Ich habe zwischendurch noch einmal in die Runde geschaut: Keiner war mehr brummig, alle waren wir auf die Aufgabe konzentriert. Dass wir die Angelegenheit dann verhältnismäßig rasch erledigt haben, lag sicher auch daran, dass Wilhelm uns geholfen hatte, unsern Ärger hinter uns zu lassen. Auf einmal war nicht mehr die schlechte Arbeit der Kollegen das Thema, sondern dass wir die Möglichkeit hatten, es besser zu machen.

„Da steckt ein erhebliches Verbesserungspotential darin“ – den Satz habe ich seither öfter benutzt, und er hat immer befreiend gewirkt.

 

 

Samstag, 1. 2. 2003

Schnell ist bei uns gar nichts

 

Sie hat sich eine Woche im Kloster gegönnt, erzählt die Frau. Eine Woche lang hat sie mit den Nonnen gelebt, gebetet, gearbeitet, weil sie zur Ruhe kommen wollte nach allen Belastungen der letzten Zeit.

„Ich habe interessante Frauen kennen gelernt im Kloster“, berichtet die Frau, „und einige gute Gespräche geführt. Vor allem hat mir der Lebensstil im Kloster gut getan. Eine ganz banale Szene hat mich da besonders beeindruckt: An einem Tag habe ich in der Küche geholfen und gerade ein Gewürz im guten alten Mörser zerstampft. Da ist eine Schwester hereingekommen und hat uns zum Gebet in die Kapelle gerufen. Ich war aber mit der Arbeit noch nicht so weit, und so habe ich gesagt: „Geht ihr nur voraus, ich komm gleich nach, ich mach nur noch schnell meine Arbeit fertig.“ Weißt du, was die Schwester ganz ernst geantwortet hat? „Schnell geht bei uns gar nichts!“ hat sie gesagt.“

Mit einem Schmunzeln schließt die Frau ihren Bericht ab und sagt: „Wenn ich nichts anderes in dieser Woche im Kloster gelernt habe als das, dann ist das schon viel: Schnell geht bei uns gar nichts. Alles ist wichtig, was wir tun, und alles hat seine Zeit und braucht seine Zeit.“