Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Pfarrer Mag. Wilfried M. Blum, Göfis Vlbg.

Das Leben deuten

 

Sonntag, 16. März 2003

Den Sonntag zu feiern, macht Sinn - heute vielleicht dringender denn je. Unsere hektische Zeit braucht Unterbrüche, um die Orientierung des Lebens nicht zu verlieren. Die jüdisch-christliche Tradition legt viel Wert darauf, dass der Sonntag dem Raum gibt, was ansonsten zu kurz kommt: abschalten und ausruhen können. Es gilt der Sinnfrage nachzugehen und Gott wieder bewusster ins Lebensspiel einzubinden. Ansonsten wird einfach zu viel aufs Spiel gesetzt.

Einige unserer Volksschulkinder haben sich Gedanken darüber gemacht, was geschähe, wenn es keinen Sonntag mehr gäbe:

 

Dann wären die Geschäftsleute böse und sie hätten keinen freien Tag.

Es gäbe keinen Familientag und keine Ausflüge. Es wäre blöd.

Dann wäre die Mama nie da, weil sie sonst immer arbeiten muss.

Dann gäbe es keinen Tag, wo man in den Sonntagsgottesdienst gehen könnte.

Wir brauchen den Sonntag, denn da feiern wir Gott.

Dann wäre die Woche kürzer und gleich nach dem Samstag käme der Montag.

Wir hätten keine Feiertage. Es gäbe keinen Ruhetag. Es wäre komisch.

 

Soweit die Gedanken dieser Kinder. Und wie denken Sie darüber?

 

Montag, 17. März 2003

Seit einigen Wochen sind in unserer Gemeinde Asylanten untergebracht. Sie wohnen in einem ehemaligen Gasthaus mitten im Dorf. Verschieden sind ihre Hautfarbe und ihre Religion, verschieden ihre Sprachkenntnisse und ihre persönlichen Lebensschicksale. Manche kamen mit nichts außer mit dem, was sie am Leib anhatten oder in einem Plastiksack bei sich trugen. Massiv prallen die Welten unseres Wohlstandes und ihrer materiellen Armseligkeiten aufeinander.

 

Doch es ist schön zu erleben, wie sie trotz allem ihre Gastfreundschaft leben. Wann immer jemand zu ihnen auf Besuch kommt, wird Kaffee angeboten und trotz mancher sprachlicher Probleme ist die Freude über ein Gespräch groß.

Als ich einmal bei einem Kurzbesuch am Tisch erzählte, dass ich nun noch in den Supermarkt gehen müsse, um Batterien für mein Reiseradio zu kaufen, sprang ein zwölfjähriger Bub aus Armenien sofort auf, rannte in sein Zimmer und holte von ihm zwei Batterien, um sie mir zu schenken.

Über diese Bereitschaft zu teilen, war ich zutiefst angerührt und beeindruckt.

So wiederholt sich eine alte Weisheit und Erfahrung, dass man von den Armen lernen kann, was teilen bedeutet.

 

Dienstag, 18. März 2003

Im Februar verbrachte ich einige Tage in Wien und benutzte viel das gut ausgebaute U-Bahnnetz. Jedes Mal fand ich es faszinierend, wie groß die Verschiedenheit der Menschen war. Dann denke ich mir, wie unergründlich weise und kreativ hat doch Gott sie alle geschaffen. Alle sind sie sein Antlitz.

Auffallend ist aber auch der Kommunikationsstil: viel Schweigen und wenig direkte Gespräche, ein ständiges Klingeln und einen gewaltigen Wortschall über die Handys. Man wird, ob man will oder nicht, Ohrenzeuge unzähliger Gespräche. Von geschäftlichen und privaten Dingen bis hin zu irgendwelchen Blödeleien.

 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit Handys ergeht. Ich halte diese Erfindung grundsätzlich für einen Segen unserer Zeit und bin auch fasziniert über die vielen Möglichkeiten.

Andrerseits fordert es heraus nachzudenken, wie es um die eigene Gesprächskultur steht. Unterliegen wir - wie es Paul Zulehner einmal formulierte - nicht einem zunehmendem „Wort-Durchfall“, entwerten damit unsere Worte und geben ihnen so kaum mehr Gewicht und Inhalt?

Vielleicht müht sich deshalb heute das Wort Gottes so ab, in uns anzukommen und Wurzeln zu fassen?

 

Mittwoch, 19. März 2003

In unserer Kirche gibt es eine kaum mehr zu überblickende Flut an Selig- und Heiligsprechungen. Manche haben mehr kirchenpolitische Bedeutung als wirkliche Berechtigung. Gott sei Dank sind viele Frauen und Männer darunter, die beispielgebend in der Nachfolge Jesu gelebt haben und deshalb zur Verehrung empfohlen werden.

 

Aber noch mehr Heilige leben unter uns, auch wenn sie keine großen Schlagzeilen machen. Es sind jene Frauen und Männer, die ihr Christsein im Alltag still zu leben bemüht sind; die wirklich freundlich und hilfsbereit gegenüber Nachbarn sind - egal ob In- oder Ausländer; oder jene, die trotz vieler Verletzungen und Enttäuschungen nie aufgehört haben zu verzeihen und sich zu versöhnen; oder jene, die trotz öffentlichem Gegenwind mehrere Kinder großziehen oder daheim alte Eltern oder schwierige Verwandte pflegen. Davon geht viel menschliche Wärme aus. So wird für mich die lange Heilsgeschichte Gottes heute fortgeschrieben.

 

Das ist die eine Seite! Gott hat aber auch über den Brudermörder Kain die Heilsgeschichte weitergeschrieben. Gottes Wege führen manchmal auch über Menschen, die ganz und gar nicht unseren Vorstellungen entsprechen.

Ist das nicht erfreulich?

 

Donnerstag, 20. März 2003

Der Trend zu weniger Solidarität ist spürbar. Darüber können auch Hilfsaktionen wie „Licht ins Dunkel“ oder Sammlungen von Caritas oder Rotem Kreuz nicht hinwegtäuschen. Doch engagieren sich auch heute noch Menschen gegen Gleichgültigkeit und Armut bei uns und in anderen Erdteilen - besonders auch junge Menschen, denen das Schicksal anderer nicht egal ist und die deshalb ein Zeichen setzen wollen.

 

Ich erinnere mich vor Jahren an einen jungen Mann. Er kam eines Abends zu mir und legte mir ein Kuvert auf den Tisch. „Hier ist mein erstes Gehalt. Ich bitte dich, dieses Geld jenen zugute kommen zu lassen, die einfach dringend Hilfe brauchen. Ich bin froh, dass ich eine Ausbildung machen konnte und jetzt eine gute Arbeitsstelle gefunden habe. Nicht jeder hat eine solche Chance.“ Ich war wirklich sehr betroffen und freute mich riesig darüber. Das ist ehrlich gelebte christliche Solidarität.

 

Oder wenn ein junger Diplomingenieur aus unserem Ort nach Brasilien geht, um dort Menschen in der Landwirtschaft zu helfen und sie in ihrer politischen Arbeit für Gerechtigkeit zu unterstützen - dies ohne Gehalt oder finanzielle Absicherungen. Das verdient Hochachtung! So ist Solidarität nicht irgendein leerer Begriff, sondern wird mit Leben erfüllt!

 

Freitag, 21. März 2003

Rechtzeitig über Sterben und Tod zu reden, ist auch heute noch weitestgehend tabuisiert. Es ist noch gar nicht lange her, als ich von einer Frau eingeladen wurde. Ihr Mann war verstorben, und sie hat keine Angehörigen mehr. Nun wollte sie rechtzeitig alle Dinge bezüglich Tod und Gottesdienst regeln. Wir haben ihren Lebenslauf besprochen, die Gestaltung der Feierlichkeiten festgelegt und offene Fragen geklärt.

 

Mich beeindruckt es, wenn solche Themen rechtzeitig besprochen werden. Ist doch der Tod das sicherste Ereignis in jedes Menschen Leben!

Diese Tatsache allein ist Grund genug, sich damit frühzeitig auseinander zu setzen: zuerst mit sich selbst, dann mit dem Partner oder der Partnerin, mit Angehörigen oder Freunden... Vielleicht kann manchmal auch ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin dabei behilflich sein und eventuell vorhandene Ängste vermindern helfen.

 

Der Freitag ist für Christen der Tag der Erinnerung an Jesu Tod. Vermutlich läuten auch in ihrem Ort oder ihrer Stadt um drei Uhr Nachmittag die Glocken. Warum nicht dieses hörbare Zeichen dazu verwenden, sich mit den Gedanken des Sterbens und Loslassens ernst auseinander zu setzen?

 

Samstag, 22. März 2003

In unserer Gemeinde wurden die Asylanten größtenteils wohlwollend aufgenommen. Dennoch gab es an Stammtischen vereinzelt untergriffige Äußerungen wie zum Beispiel: Wenn solche Leute im Dorf sind, dann bedeutet das auf Dauer einen Verlust an Wohnqualität!

 

Zuerst habe ich es bedauert, dass ich es nicht selbst gehört habe. Denn in meinem ersten Ärger darüber hätte ich dieser Person kurz und bündig geantwortet: Nicht Asylanten mindern die Wohnqualität einer Gemeinde, sondern Menschen, die eine solche Ansicht vertreten. Diese sind die leisen Brunnenvergifter menschlichen Zusammenlebens.

Was bedeutet denn wirklich Wohnqualität einer Gemeinde? Nur Einheimische ringsherum? Oder möglichst viele gleiche Gesinnungsleute? Oder möglichst aus dem selben - natürlich besseren - sozialen Milieu?

 

Für mich macht die Qualität des Zusammenlebens gerade die bunte und vielfältige Mischung verschiedenster Menschen aus. Schwarze Schafe gibt es überall und unter allen Menschen, woher sie auch kommen.

Ich bin froh, dass Gott für unsere Erde eine solche Fülle an Rassen, Völkern, Religionen und Sprachen erdacht hat. Diese Fülle verweist mich auf Seine Fülle, und lässt mich über ihn staunen.

Was macht die Wohnqualität in ihrer Gemeinde aus?