Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Superintendent Paul Weiland (Wien)

 

Sonntag, 23.3.2003

Wieder stehen wir vor unfassbaren und unverstehbaren Entwicklungen. Wieder sind wir abhängig von Informationen und Meldungen, die wir nur schwer einordnen können.

 

Wieder gibt es Angst, die Gefahr von unsagbarem Leid, die Perspektive der Ausweglosigkeit. Wieder erleben wir, dass es um viele Interessen geht, zuallerletzt aber um Gerechtigkeit und um den Menschen.

 

Fassungslos stehen wir davor. Fassungslos und ohne eine wirkliche Antwort zu haben. Fassungslos, aber nicht hoffnungslos.

 

Ich möchte Ihnen heute von meiner Hoffnung erzählen. Meine Hoffnung liegt in meinem Glauben, in meinem Bekenntnis zu dem Gott, der will, dass allen Menschen geholfen wird. In meinem Bekenntnis zu Jesus Christus, der als Auferstandener uns mit den Worten grüßt: Frieden sei mit euch! Dieses mein Bekenntnis möchte ich Ihnen heute sagen:

 

Ich glaube an Gott, der die Liebe ist und der die Erde allen Menschen geschenkt hat.

Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, an die Stärke der Waffen, an die Macht der Unterdrückung. Ich glaube nicht, dass Kriege unvermeidlich sind, dass Friede unerreichbar ist. Ich glaube, dass Gott für die Welt eine Ordnung will, die auf Gerechtigkeit und Liebe gegründet ist. Ich glaube an Gottes Verheißung, Gerechtigkeit und Frieden für die ganze Menschheit zu errichten.

 

Dieser Glaube gibt mir Kraft, gibt mir Hoffnung.

Montag, 24.3.2003

Fastenzeit ist die gebräuchliche Bezeichnung für die Wochen, in denen wir uns jetzt befinden. Kirchlich gesprochen ist es die Passionszeit, die Leidenszeit.

 

Die Tage steuern zu auf das tragische Ende am Karfreitag. Das Leiden von Jesus Christus und damit Leid überhaupt spielen im christlichen Glauben eine große Rolle. Menschlich gesehen ist es für viele eine eher problematische Zeit, weil Leid verständlicherweise von uns so gut es geht vermieden oder verdrängt wird, wenn wir es nur irgendwie können.

 

Die tiefe Bedeutung der Passionszeit ist, dass Gott in Jesus Christus ganz und gar eingetaucht ist in das Leben, ganz und gar solidarisch geworden ist mit den Menschen, ganz und gar geliebt hat.

 

Darum ist er dem Leid nicht ausgewichen. Nicht aufgrund gutgemeinter Ratschläge von Freunden, nicht aufgrund eigener Tendenzen, Leid zu verhindern.

 

Gar nicht christlich ist für mich, Leiden um des Leidens willen, gleichsam Leiden als Selbstzweck, wie das auch in manchen Bußpraktiken zum Ausdruck kommt. Nicht ausweichen dem Unangenehmen und dem Leid, wenn wir dazu von den Herausforderungen der Zeit oder von unseren Mitmenschen aufgrund unseres Glaubens in diese Situation gestellt sind, oder die Wahrheit sagen, auch wenn es zu unangenehmen Konsequenzen, vielleicht sogar zum Leiden führt, das ist für mich der Sinn der Passionszeit und auch die Aufgabe der Christen in der Nachfolge.

 

Dienstag, 25.3.2003

Fasten gehört zur Fastenzeit. Nicht sehr originell diese Aussage, werden Sie vielleicht sagen. Noch dazu, wo die evangelische Frömmigkeit ja nicht gerade in dieser Frage ihre Schwerpunkte setzt.

 

Ganz abgesehen vom Heilfasten, kommt das Fasten im Bewusstsein so mancher auch in die Nähe von Weltflucht und Weltfremdheit. Die Bibel kennt aber auch eine ganz andere Form von Fasten, die genau das Gegenteil davon ist. Die zum Ausdruck bringt, dass der Glaube keine Ausstiegsdroge aus dieser mehr oder weniger bösen Welt ist, sondern uns hineinführt mitten in die Auseinandersetzung in der Welt, um eine gerechtere, friedlichere und bessere Welt.

 

Die Bibel meint das tatsächlich sehr konkret: Im Buch des Propheten Jesaja, da gibt es eine Stelle, in der es um das Fasten geht. Und um die Verwunderung der Menschen, warum ihr „normales“ Fasten nicht nur keinen Erfolg hat, sondern von Gott sogar ignoriert wird.

 

Und dann heißt es wörtlich als Antwort Gottes im 58. Kapitel: „Das aber ist ein Fasten, an dem ich gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,...

 

Brich dem Hungrigen dein Brot. Die im Elend und ohne Obdach sind, führe ins Haus. Die ohne Kleider sind, denen gib etwas zum Anziehen.“

 

„Dann“, so sagt die Bibel, „dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Heilung wird schnell voranschreiten und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen.“

 

Mittwoch, 26.3.2002

Immer wieder gibt es große Anstrengungen, um Wege zu finden, wie es gelingen kann, dass es in unserer Welt besser wird. Dass Menschen respektvoller miteinander umgehen, die Güter gerechter verteilt sind, Völker miteinander im Frieden leben können.

 

Sicher gibt es auch Menschen, denen es ziemlich egal ist, wie es anderen geht, welche Konsequenzen ihr Handeln für die Natur oder für andere Menschen hat.

 

Aber davon möchte ich mich nicht abhalten lassen, selbst so gut es geht bei der ersten Gruppe mitzumachen.

 

Natürlich habe ich auch kein Patentrezept. Aber bei meinen Überlegungen ist mir wichtig geworden die Geschichte, die zum Beginn der Wirksamkeit von Jesus Christus in der Bibel steht. Sie berichtet von seiner Versuchung in der Wüste. Essen, Reichtum, Weltherrschaft, das alles wurde Jesus angeboten. Dafür hätte er nicht viel tun müssen, jedenfalls nichts, was nicht in seinem Machtbereich gelegen wäre. Aber er hat Nein gesagt. Und war dann vorbereitet für seinen Einsatz.

 

Wie oft sagen wir „Da kann ich nicht Nein sagen“. Oft harmlos bei einem Glas Wein oder einem guten Stück Kuchen. Oft weniger harmlos, wenn es um die Profitmaximierung geht ohne Rücksicht auf Menschen oder um den Machteinsatz von Politikern oder um unseren Egoismus im Umgang in unserem Bereich.

 

Vielleicht würde es schon weiterhelfen, hin zu einer positiven Entwicklung, wenn wir einfach öfter Nein sagen.

 

Donnerstag, 27.3.2003

Unsere Gesellschaft ist geprägt vom Leistungsdenken. Das ist nicht erst im Berufsleben so. Schon in der Schule ist jedem bald klar, dass jede Leistung ihren Preis hat bzw. dass es für eine gute Note eine entsprechende Leistung braucht.

 

Wer dieses Schema durchbricht, der wird nicht sehr erfolgreich sein. Nicht im Wirtschaftsleben, nicht in der Gesellschaft, nicht im Beruf. Die Forderung gleicher Lohn für alle, erntet bestenfalls Hohn.

 

Eine deutsche Schule wollte dieses Preis-Leistungs-Verhältnis durchbrechen. Aus pädagogischen Gründen sollte eine Schülerin trotz mehrerer Nichtgenügend in die nächste Klasse aufsteigen. Das zuständige Ministerium machte die Versetzung rückgängig und leitete eine Untersuchung gegen die Schule ein.

 

Gerecht ist, wenn jeder das bekommt, was er verdient. Viele von uns werden diesen Satz unterschreiben können. Klar, dass unter diesen Voraussetzungen jeder, der einen anderen Grundsatz vertritt, eine schlechte Startposition hat.

 

Jesus geht es da nicht anders. Denn genau gegen dieses Preis-Leistungs-Verhältnis ist er angetreten. Sein Grundsatz lautet: Jeder bekommt das, was er zum Leben braucht. Kein Wunder, dass gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet worden ist, die dann mit einer Verurteilung zum Tod am Kreuz geendet hat.

 

Freitag, 28.3.2003

Spielverderber hat kürzlich ein Freund zu mir gesagt, weil ich mich geweigert hatte, den Telefonjoker bei seinem Millionenquiz zu spielen. Nach dem Muster der Fernsehsendungen gibt es jetzt offensichtlich auch für zu Hause ähnliche Spiele. Nach dem 20. Anruf innerhalb von 14 Tagen, war es mir einfach zu blöd. Ich verweigerte mich.

 

Auch auf mich üben Sendungen dieser Art eine gewisse Faszination aus. Ich schaue gerne zu und beobachte die Kandidaten in ihrer Freude oder in ihrem verzweifelten Kampf gegen die Fragen. Gewinnen ist schön. Der Gewinner der Millionen, der wird zum Helden unserer Tage.

 

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Menschen den Blick für die rechte Zuordnung verloren haben. Da scheint ein Gewinn bei einem solchen Quiz das Erstrebenswerteste der Welt zu sein. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe nichts dagegen und gönne jedem seinen Gewinn.

 

Aber wie viel mehr Gewinn könnte für den einzelnen und auch für die Gemeinschaft der Menschen sein, wenn möglichst viele wüssten, welches das 5. Gebot ist und sich auch danach richteten.

 

In der Bibel sagt Jesus: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nimmt an seiner Seele Schaden?“ Gutes für die Seele zu tun und an der Seele Gutes tun zu lassen, das kann zu einem echten Gewinn werden. Übrigens, das 5. Gebot heißt: Du sollst nicht töten.

 

Samstag, 29.3.2003

In Großrust, einem kleinen Ort nahe St. Pölten, steht eine Christusstatue, die mich sehr anspricht. Die Bronzeskulptur hat einen langen, mageren Körper, überlange Beine, sie hat einen kleinen, nach unten gesenkten Kopf. Die Arme hängen nicht am Kreuzbalken, sie sind in einer Bewegung schon im Schwung nach oben.

 

Schon von ihrer Gestaltung her ragt Christus scheinbar über diese Welt hinaus, und ist doch fest verwurzelt in dieser Erde mit allen Hoffnungen, Sehnsüchten, Leiderfahrungen und Angeboten der Geborgenheit.

 

Im Schnittpunkt der Erfahrungen des Lebens und der Berührungen mit der ganz anderen Welt, da ereignet sich Leben. Das ist die Berührung der Welt mit Gott, aber eben nicht als frommer Hokuspokus, sondern im Mitleben, Mitleiden und Mitsterben des Menschgewordenen Gottes mit den Menschen der Welt.

 

„Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen“. Dieses Wort aus dem 12. Kapitel des Johannesevangeliums war eine der Bibelstellen, die den Künstler für seine Arbeit inspiriert hat.

 

Er setzt hier eine zutiefst christliche Erkenntnis um: Nicht der Mensch kann sich zu Gott hocharbeiten, um göttlich zu werden, sondern der Mensch wird göttlich, weil Gott Mensch geworden ist.

 

Karfreitag und Ostern sind die Besiegelung dieses Weges.