Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Pfarrer
Wolfgang Fank (Dechantskirchen, Steiermark)
Sonntag,
30.03.2003
Ich
habe mich einmal über ein Werbeplakat sehr aufgeregt. Da war auf
der rechten Seite ein Mädchen zu sehen. Es hatte die Augen
verbunden und die Zunge genüsslich herausgestreckt. Vor ihr war
eine Speise zu sehen, die beworben werden sollte. Und auf der linken
Seite stand zu lesen: „Ja, ich habe nicht geteilt.“
Dieser
Satz hat mich geärgert. Ist das Bekenntnis zum Nichtteilen salonfähig
geworden, sogar ein Werbeträger? Kommt eine Werbung, die auf
Egoismus baut, gut an??
Fast
eine Milliarde Menschen hungern. Wir auf der nördlichen Halbkugel
haben über genug zu essen. Viele leiden an Übergewicht und
Verfettung und müssen viel Geld ausgeben, um schlank zu werden. Da
passt was nicht!
Vor
einem Monat hat die Katholische Frauenbewegung anlässlich des
Familienfasttages zum Teilen aufgerufen, nach dem Motto: „Teilen
macht mehr daraus.“ Und siehe da: 2,5 Millionen Euro, das sind ca.
30 Millionen Schilling, sind zusammengekommen.
Fast
eine Million Österreicherinnen und Österreicher haben also
geteilt. Sie können sich freuen über die verschenkte Freude.
„Ja,
ich habe nicht geteilt!“ Oder: „Ja, ich habe geteilt!“ Was
schmeckt auf längere Sicht besser?
Montag,
31.03.2003
Bald
werde ich 60 und ich freue mich!
Ich
freue mich unter anderem auch deshalb, weil ich mindestens zweimal
dem Tode sehr nahe war und es ist gut ausgegangen.
Das
erste Mal, noch in meiner Studentenzeit, bin ich in eine
Gletscherspalte gefallen: Salto vorwärts mit Schi und Rucksack, ein
Klappern der Schi ein Schrei der Seele: hoffentlich nicht zu weit.
Und nach ca. 12 m bin ich wieder zum Stehen gekommen. Vor mir ist
die Spalte noch weit hinuntergegangen, hinter mir ebenfalls. Und
gerade an der Stelle, wo ich hinunter gefallen bin, war ein Band aus
Eis. Wäre ich 20 cm vorher oder nachher hineingefallen, wäre ich
unauffindbar in der Gletscherspalte verschwunden gewesen.
Habe
ich Glück gehabt, war es ein Wunder? Ich sage: Gott hat mir das
Leben noch einmal zurückgegeben.
Und
dann das zweite Mal! Es war vor 4 Jahren, ich hatte Krebs! Schwere
Operation, Komplikationen, zweite Operation, es ging um Leben und
Tod. Später eine dritte Operation und so weiter. Ein volles Jahr
Leiden! Jetzt geht es mir gut, ich bin fast wieder der alte.
Ich
werde 60 und ich freue mich. Kein Wunder, dass ich mich von Gott
getragen weiß.
Dienstag,
01.04.2003
Bald
werde ich 60 und ich freue mich!
„Was“,
könnte ein junger Mensch sagen, “warum sollte sich der Alte
freuen? Sein Leben ist größtenteils gelaufen?“
Nun,
ich meine: Jedes Alter gibt Anlass zur Freude, wenn zwei Bedingungen
erfüllt sind: In der Rückschau auf das bisherige Leben muss
Dankbarkeit vorherrschen und im Blick auf das Kommende muss ich
Hoffnung haben.
Wenn
ich in mein Leben zurückschaue, ach, da gibt es auch Schreckliches,
Bitteres, Leidvolles, Todesängste. Aber es gibt auch so viele schöne
Sachen: Sport, Bergsteigen, Freundschaften, Erfolge, Bereicherungen
des Herzens. Aber vor allem: Wer das Leid positiv gemeistert hat, spürt
selbst in Leiden noch einen Hauch von Seligkeit. - Danke also!
Und
was meine Zukunft betrifft! Wie viel Zeit bleibt mir noch? Das weiß
ich nicht. Ich danke für jeden neuen Tag, den ich leben darf, ohne
Schmerzen. Und ich glaube an das ewige Leben. Ich habe also ein noch
schöneres Leben vor mir als das bisherige. Das bisherige Leben, so
schön es auch war, es war nur ein Tropfen Glücks, mehr ist in
diesem Leben nicht drin, der volle Trunk kommt erst.
Ich
danke für das Vergangene und habe eine große Hoffnung für das
Kommende. Mich wundert’s nicht, dass ich 60 werde und mich dennoch
freue.
Mittwoch,
02.04.2003
Bald
werde ich 60 und ich freue mich!
„Was
der freut sich“, könnte einer einwenden, „alt ist er schon und
ein Priester noch dazu! Wie kann der sich freuen?“
Ich
gebe zu, der Zölibat war im Laufe meines Lebens mehrmals ein Kampf,
um nicht zu sagen ein Krampf. Immer wieder war eine Entscheidung
gefordert, zum zölibatären Leben zu stehen. Wie ich auch meine,
dass ein Verheirateter auch oft in die Versuchung kommen kann, wie
man sagt „aussi zu großn“ und auch er sich von neuem zur Treue
entscheiden muss.
Ich
habe auch erlebt, dass es eine Freude ist, für viele Menschen da zu
sein, mit ihnen zu arbeiten, zu lachen, zu leiden und zu beten, -
und zu sterben.
Ich
habe auch erfahren, dass es erhebend sein kann, wenn man sich nach
einer Umarmung gegenseitig weiter ans Licht führt. Wie überhaupt Zölibat
mit dem Himmel zu tun hat und nur von da her verstanden werden kann.
Wie
leicht beurteilt man die Mitmenschen nach ihrer sexuellen
Attraktivität, nach ihrer Leistung und nach ihrem Bekanntheitsgrad.
Ich als zölibatärer Mensch bin berufen, nicht nur ich, aber ich
besonders, den Menschen auch so zu sehen, wie er einmal im Himmel
sein wird. So entsteht zwischen mir und meinen Mitmenschen eine
Verbundenheit, die sehr fein und erhebend ist. Nicht von Haut zu
Haut, sondern von Herz zu Herz.
So
zu leben ist also auch eine Freude!
Donnerstag,
03.04.2003
Bald
werde ich 60 und ich freue mich!
Könnte
jemand meinen, wie kann bei dem Freude aufkommen, der allein im großen
Pfarrhof wohnt, und auch sonst viel allein ist.
Dazu
muss ich sagen: Ich bin zwar viel allein, aber ich fühle mich nicht
einsam. In der Früh mache ich mir das Frühstück selber. Ich koche
Kaffee, hmm, der duftet, welch ein Geschenk! Da suche ich jemanden,
dem ich dafür danken kann. Automatisch bringt mich der duftende
Kaffee zu Gott, dem Schöpfer. Ich zünde eine kleine Kerze an. Sie
ist ein Geschenk von einer Mutter, deren Kind ich kürzlich getauft
habe. Lena steht darauf. Und schon bin ich wieder nicht allein.
Geistige Kommunikation ist fein, aber fein.
Während
des Vormittags kommen viele Leute in die Pfarrkanzlei. Da gibt es
viel zu plaudern, da nehme ich Teil am Leben der anderen. Wie sollte
ich da vereinsamen.
Am
Nachmittag mache ich Besuche, oder sonst gehe ich in den Wald und
laufe ein wenig und bete dabei den Rosenkranz und schon wieder bin
ich in bester Gesellschaft.
Abends
gibt es oft Sitzungen und wenn ich einmal keinen Termin habe, genieße
ich das Alleinsein. Ich sinne über den Tag nach und schon wieder
bin ich bei den Leuten.
Wenn
alle, an die ich denke, „Schnackerlstessn“ hätten, dann gäbe
es im Dorf ein kleines Erdbeben. Ich bin nicht allein, ich bin bei
euch. So freue ich mich, mich in dieser Art und Weise zum Sechziger
entwickelt zu haben.
Freitag,
04.04.2003
Bald
bin ich 60 und ich freue mich!
Zwar
bin ich schon lange nicht mehr das, was ich einmal war. Aber ich
habe nicht nur verloren, ich habe auch gewonnen.
Früher
habe ich Sport betrieben, um erster zu werden. Heute mache ich
Sport, um gesund zu bleiben. Nach den schweren Krebsoperationen ist
mir Bewegung zur Pflicht geworden. So bin ich viel im Wald, teils
laufe ich, teils gehe ich, teils schaue ich. Dabei genieße ich die
Gegend und danke Gott für die gute Luft.
Ich
bin ein Genießer geworden.
Auch
essen und trinken kann ich nicht mehr so wie früher. Kein
Wienerschnitzel mehr, kein scharfes Gulasch und kein Stamperl mehr,
aber dafür esse ich köstliche Gemüselaibchen, einen guten Salat
mit Olivenöl, ein anderes mal esse ich eine köstliche Suppe mit
einem guten Stück Bauernbrot dazu, das schmeckt. Ich kann zwar
nicht mehr alles essen wie früher, aber was ich esse, das genieße
ich.
Ja,
und noch eine genüssliche G’schicht mit 60! Das Gebet! Das Gebet
war mir früher oft bloß eine Pflicht. Die Arbeit schien mir
wichtiger. Heute ist Gebet so ähnlich, wie wenn ich aus einem
finsteren Keller heraustrete, auf die grüne Wiese gehe und die wärmende
Sonne genieße. Ja, ich genieße das Gebet bereits. Ich hab mich in
meinem Leben gewandelt So bin ich bald 60 und ich freue mich.
Samstag,
05.04.2003
Bald
werde ich 60 und ich freue mich!
Ich
freue mich deshalb, weil ich zu meinem Geburtstag ein großes
Geschenk bekommen werde, und zwar eine große Statue von der Mutter
Teresa, extra angefertigt von einem Künstler aus Albanien, dem
Geburtsland dieser heiligen Frau. Diese Statue wird ein Geschenk der
Vereine und der Bürgermeister und der Pfarre sein.
Warum
ist mir diese Statue so wichtig?
Mutter
Teresa hat eine wichtige Botschaft für unsere Zeit! Sie kann
helfen, mit der Tatsache des Sterbens besser zurecht zu kommen. Die
meisten von uns tun sich schwer mit dem Sterben. Der Sterbende wird
häufig abgeschoben und das eigene Sterben verdrängt. Die Mutter
Teresa hat Sterbehäuser gebaut, hat Sterbende auf den Straßen
Indiens aufgelesen und sie gepflegt, zu Tausenden. Ihr unbefangener
Umgang mit den Sterbenden soll uns helfen, würdig und einfühlsam
mit Sterbenden umzugehen und sein eigenes Sterben als einen Übergang,
als eine Wandlung zu einem himmlischen Leben zu sehen. Dass uns das
gelingt, dafür möchte ich die selige Mutter Teresa bitten. Deshalb
freue ich mich, dass zu meinem Sechziger in der Pfarrkirche eine
Mutter-Teresa-Statue aufgestellt wird.
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