Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Prof.
Dr. Ferdinand Reisinger (Chorherrenstift St. Florian, OÖ)
Sonntag, 13.4.2003
Der
Palmsonntag ist ein Tag voller wechselnder Gefühle…
Einerseits
sind an einem solchen Tag so viele Leute in der – oder zumindest
vor der – Kirche, wie kaum sonst im Jahr. Der Palmbuschen – und
sein Segen – erfreuen sich großer Beliebtheit. Noch mehr ist er
vielen Zeitgenossen ein Symbol ihrer Gläubigkeit, fast ein
sakramentales Zeichen. Aber nach dem mehr oder weniger flüchtigen
Kirchenbesuche zeihen sich die Leute ins Private zurück, stellen
den Zweig in den Herrgottswinkel (oder was es an ähnlichem sonst
heutzutage gibt). Da soll dieser Palmzweig – fürs kommende Jahr
– segensreich wirken... so gut so schön... vom Palmsonntag und
seiner Botschaft ist damit freilich wenig bis gar nichts begriffen.
Am Tor von Jerusalem, durch das Jesus einzog, hat sich für ihn so
ziemlich alles entschieden – und damit auch für seine Freunde und
Anhänger. Für ihn war es ein „point of no return“. Ein
Umkehren gab’s dann nicht mehr.
Er
war sich sicher: Wenn ich da durchbin, läuft die Maschinerie ab,
von Anfeindungen, Gemeinheiten. Dann kommt das „Aus und Ende“...
Aber
es ist sein Weg, den er klaren Blicks riskiert; inmitten der
Massagen, die ihm zujubeln – und damit kolossal missverstehen –
vollzieht er seine Entscheidung.
Palmsonntag:
Kein Moment der Behaglichkeit, sondern der Entschiedenheit. Das
bedeutet, Glaube macht ernst mit dem Leben...
Montag, 14.4.2003
Vor
einigen Jahre hat es mir ein Buch angetan. Es trägt den provokanten
Titel: „Denn sie wissen nicht, was sie glauben“. Geschrieben hat
es ein Freiburger Psychologe (1992). Er analysiert in dieser
kritischen Anfrage die Bibel, näherhin das neue Testament auf den
Befund: wo machen diese Texte den Menschen Angst? Er vertritt also
die These: Jesus hat nicht nur Angst abgebaut, sondern wes gibt
reihenweise Textaussagen, durch die Angst erzeugt wird...
Vielleicht
machen wir es uns wirklich zu leicht mit dem was in der Bibel
geschrieben steht. Im Blick auf manches, was ich in meiner Umgebung
gewahr werde an Christentümelei und an christentümlichen Resten überkommt
mich schon auch die Frage: “... sie wissen wohl nicht was sie
glauben...!?“ Freilich: Glauben ist nicht zuerst eine
Angelegenheit des Wissens als vielmehr des redlichen Überzeugtseins
und des Vertrauens. Und darum habe ich Respekt vor dem, was die
Menschen als ihren Glauben artikulieren, auch vor dem was sie „zusammen-klauben“
als Glaubensbrocken von hier und von dort...
Glauben
hat – ehrlich und in rechtem Maß kritisch gesehen – auch zu tun
mit einem „Unterwegssein“, und das heißt auch mit einem suchen.
Das bedeutet, dass eben nicht alles ganz und hundertprozentig
selbstverständlich ist.
Bei
Leuten, bei denen in ihrem Glauben alles sonnenklar iat, überkommt
mich ein mulmiges Gefühl, mehr noch: Solch machen mir Angst, denn
eigentlich wissen sie wirklich nicht was sie glauben...
Dienstag, 16.4.2003
„...Denn
sie wissen nicht was sie glauben...“ – so gibt ein Kritiker zu
denken.
Die
volkstümliche Rede sieht es anders: „Glauben heißt nichts
wissen“... aber so billig glaubt auch kaum mehr einer... so
einfach geht es nicht mehr, seit es über 300 Jahre die Religions-
und vor allem die Christentumskritik gibt, weil Glauben nicht
einfach beliebig und doch nicht reine Privatsache ist, sondern sogar
gefährlich, höchst gefährlich werden kann, müssen jene, die ihm
anhangen, auch rechtfertigen können...
Glauben
ist – so sehe ich es – eine erste Reaktion auf das, was den
Menschen zustößt, im Guten, wie im Bösen, ob als Heil oder
Unheil: ob als Zweifel, als Klage, als Jubel oder als Bitte.
Nach
der ersten Empfindung darf er und freilich auch durch den Kopf
gehen, und durch das Sieb der Gedanken: Ob es Sinn macht, was wir
– aus dem Glauben heraus – dann reden und tun, wem es zum Heil
gereicht, und wem zum Unheil. In den Kartagen waren mit Jesus seine
Jünger unterwegs, bis zum Abschiedsmahl. Da ist vieles passiert und
wahrscheinlich haben sie manches überhaupt nicht kapiert, was sich
da abspielt, was er tut.
Nach
allem freilich ist ihnen das alles wichtig geworden: Wie sie sich
verhalten haben, auch die Tatsache, dass sie Feiglinge waren,
verleugnet haben, geflüchtet sind. Aus diesem Scheitern, aus
solchen Niederlagen sind neue Überzeugungen gewachsen, ist der
Glaube hervorragen, den dann die Kirche den ihrigen nannte. Die Jünger
haben keine Angst gehabt, auch von ihren Anfechtungen und ihren
Niederlagen zu reden. Anfechtung ist nicht das Gegenteil des
Glaubens, sondern ein Teil des Glaubens.
Mittwoch, 16.4.2003
Eines
der massivsten Worte, die ich je gehört habe, war dies: „Das ist
ein Hoffnungskiller“. Es ging eigentlich nur um den Text, der
genau so schnell wieder vergessen war, wie er die Welt erblickte.
Aber der Ausdruck „Hoffnungskiller“, der angehängt wurde (und
den er auch verdient hatte), ist in mir lebendig geblieben.
Und
so verfolgt mich diese Frage, auch mir selber gegenüber: Wo ist
mein Reden und Handeln etwas, das Hoffnung beschneidet, und wo diene
ich der Hoffnung? Unser Wirken kann Hoffnung bestärken, es kann
aber auch das Hoffnungsvolle verderben und das ohnehin schon fast
Hoffnungslose ganz ruinieren.
Wer
Hoffnung killt, abtötet, ruiniert Lebenschancen.
Kann
man angesichts der Karwoche des Krieges von Hoffnung reden? O ja!
Freilich nicht im Sinn der billigen Hoffnung, die so obendrüber ein
wenig Optimismus versprüht, die aber nicht trägt.
Es
geht um begründete Hoffnung, und es geht um die Hoffnung für jene,
die nicht übersehen oder ausgegrenzt werden dürfen. Die letzten
Unterdrückten, die Geschändeten, die (im Krieg) Niedergemachten,
die outcasts, vor dem alle die Augen verschließen.
Hoffnung:
das Wort klingt zart und fragil, sensibel und schützenswert –
eben ganz anders und gegenteilig zum Wort „Hoffnungskiller“.
Aber
wir dürfen dem zarten Wort Hoffnung trauen: dass es ebensoviel
Kraft in sich trägt, wie das harte Gegenteil.
Donnerstag, 17.4.2003
Wir
stehen in der Schlussrunde der Fastenzeit, in den Kartagen. Wird es
noch zum Fasten – auch für jene, die es bisher noch nicht gepackt
haben?
Natürlich
gibt es landauf landab den Gründonnerstagsbrauch: Spinat mit
Spiegelei, weil es etwas Grünes sein muss an diesem Tag. Der Sinn
des grün – sprich : grein – Donnerstags ist freilich ein ganz
anderer. Es geht ums – Gott sei es geklagt – ums greinen, d.h.
die Klage für einen, der unschuldig ins Rad des Schicksals geraten
ist, um diesen Jesus, und um seinen letzten Abend mit seinen
Freunden...
Fasten
- im Sinn der Bibel, im Zuruf der Propheten – heißt nicht nur:
ein paar Tage und Wochen was anderes oder weniger essen und trinken.
Es bedeutet: einhalten im üblichen, in den angewöhnten
Lebensgewohnheiten. Und damit bedeutet es auch innehalten in der
Anschauung und Beurteilung unserer Umgebung.
Der
Prophet Jesaja sagte: „Fasten im Sinn Gottes bedeutet: „Sich den
Anliegen der Mitmenschen nicht entzeihen...“ (Jes 52)
Daraus
hat der Kirchenlehrer Augustinus eine treffende Formel gebildet über
das, was Fasten heißt, eine Formel, die für mich sehr schlüssig
ist: Fasten heißt nichts anderes als „die Speisen der Armen
essen“.
Wen
das passiert, passiert viel, nicht nur auf unseren Tellern, sondern
in unseren Köpfen: „Fasten bedeutet die Speisen der Armen
essen...
Freitag, 18.4.2003
Warum
das Kreuz? Ob das alles wirklich sein müsste...?! Ich meine: das
mit dem Kreuz...! Wenn ich Jesus gewesen wäre, hätte ich die Sache
anders gelöscht, oder besser noch: ich hätte alles gar nicht
soweit kommen lassen...
Musste
er wirklich zum Fasten so in Jerusalem aufkreuzen – so provokant,
in der messianischen Rolle des Heilbringers der auf einen Esel
daherreitet...?
Wunder,
dass sie dann die Fäden zusammengezogen haben, dass die Leute dann
spöttisch auf ihn gepfiffen haben, dass sie blöd gemeldet und ihn
zum Esel (um nicht zu sagen: zur Sau) gemacht haben und schließlich
wirklich „aufs Kreuz gelegt“. So ist eben der Gang der Dinge,
wen die Gemeinheit in der Masse hochkommt und groß wird. Das war
bei Jesus ja nicht das erste mal so, und auch nicht das letzte Mal.
Die Ausrede: Solche Leute sind an ihrem Schicksal selber schuld,
kann nicht gelten. Gewiss, sie haben sich quergelegt, und die Menge
urteilt: die glauben anders und sind gefährliche andere. So ging es
auch den Jesusanhängern: man hat sie als Atheisten verfolgt, gerade
weil ihnen das Kreuz zum Zeichen wurde, zum Identitätsmerkmal.
Auch
wir Christen des 21. Jh. haben Kreuze aufgehängt. Können wir sagen
warum? Haben jene recht, die meinen, das mache – besonders den
Kindern – Angst? Wissen wir, was wir da glauben und tun? Aber wir
glauben ja auch nicht an das Kreuz als solches, an das
Marterwerkzeug. Solche Masochisten bzw. Sadisten sind die Christen
allemal nicht. Wir glauben an den, der am Kreuz elendig gestorben
ist, an dem Gekreuzigten, und an das, was er gesagt, getan, bis
zuletzt geglaubt hat.
Samstag, 19.4.2003
„Selig
sind, die da Leid tragen“. Es geht uns schon unter die Haut, ja es
treibt einem die Tränen in die Augen, wenn dies im Brahmsrequiem
gesungen wird, oder verglichen im Messias.
„Leid
tragen“... das meint ganz etwas anderes als jene, die perverse
Masochisten ausprobieren und auskosten, die unbedingt verspüren
wollen, wie Leid schmeckt, und die Erholung davon.
Leid
tragen, das sind jene, bei denen es eben zur Gewissheit geworden
ist, dass der Kampf gegen den Krebs aussichtslos ist. Das sind die,
die mit einer Decke und einer Flasche Wasser (für die ganze
Familie) aus Bagdad flüchten. Das sind jene Verzweifelten, die
keinen Funken Hoffnung mehr in sich haben.
Der
Karsamstag ist ein Tag, an dem wir besser den Mund halten sollten,
an dem wir nichts zu sagen wissen, weil es uns die Rede verschlagen
hat.
Und
wehen jenen, die diese Ruhe des Leidtragens und die Atmosphäre des
Leidens durch blödes daherreden stören, zerstören...
Nirgends
sonst wird gegen den Geist des christlichen Glaubens so vernunftlos
gesündigt als dort, wo dem Leid und den Leidenden die Würde des
Sein-dürfens genommen wird.
Die
Kartage enthalten viel paradoxe Erfahrungen. Eine davon ist die: Es
gibt eine Würde der Leidenden und des Leids. Eine wehe jene, die
das nicht respektieren.
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