Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

Dr. Klaus Egger, Ordensreferent der Diözese Innsbruck

 

 

Sonntag, 27. April 2003

Heute und an den kommenden Tagen möchte ich „Gedanken zum Morgen“ vorstellen. Denn seit dem Ostermorgen birgt jeder Morgen eine Verheißung in sich.

Am Beginn soll der heutige Tagesheilige, Petrus Kanisius stehen, der am Morgen einer neuen Zeit auch in Innsbruck und Wien segensreich gewirkt hat. Die Diözese Innsbruck hat ihn 1964 zu ihrem Diözesanpatron erwählt. Seine großartigste Leistung war die Herausgabe des Katechismus, der über Jahrhunderte hinweg zum Leitfaden der religiösen Erziehung wurde.

In seinen Lebenserinnerungen deutet er an, wie er am Tag seiner Ordensgelübde durch ein inneres Erlebnis für seine Aufgabe gestärkt wurde. Während eines Gebetes im Petersdom wurde ihm die Gewissheit zuteil, dass Friede, Liebe und Beharrlichkeit das Gewand sein werden, das er von nun an tragen soll. „Friede“ ist ihm aus der Geborgenheit in Gott erwachsen, „Liebe“ war für ihn die unentwegte Sorge für das Wohl der anderen, „Beharrlichkeit“ eine Liebe, die niemals aufgibt.

 

Könnten nicht auch wir mit diesem Gewand des Hl. Petrus Kanisius die Nöte unserer Zeit angehen und am  heutigen Morgen neu damit beginnen?

 

Montag, 28. April 2003

Wenn wir vom Morgen sprechen, dann ist damit nicht eine bestimmte Uhrzeit gemeint, sondern ein Zeitraum, in dem wir ganz besondere Erfahrungen machen können. Rein äußerlich betrachtet geht es um Erwachen und Aufstehen, Waschen und Anziehen, Frühstücken, Zeitung lesen, Nachrichten hören, und um den Aufbruch zur Arbeit.

 

Aber „Morgen“ ist noch weit mehr.

Am besten wissen es wohl die vielen Morgenlieder, die früher einmal gesungen wurden. Vielleicht erinnern Sie sich noch an Lieder wie „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“ oder „Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne, die Finsternis weicht“. In diesen Liedern wird eine Qualität des Morgens besungen, die wir in der Hektik unserer Tage oft kaum noch wahrnehmen.

 

Wie die verschiedenen Jahreszeiten so vermitteln auch die Tageszeiten je eigene Stimmungen und Erfahrungen, die unser Leben bereichern möchten. Ohne unser Zutun steigt das Licht des Tages jeden Morgen auf. Jeder neue Tag ist wie ein Geschenk. Und wir sind eingeladen, diesen neuen Tag zu gestalten und ihm ein persönliches Gesicht zu geben.

 

Dienstag, 29. April 2003

Wer sich am Morgen auch nur ein wenig Zeit nimmt und für ein paar Augenblicke innehält, kann erfahren, was der Morgen alles für ihn bereithält und sich darüber freuen: über die aufgehende Sonne, wie sie das Morgengrauen vertreibt und alles in ihr wärmendes Licht hüllt; über den Tau, der auf Blumen und Blättern zu glänzen beginnt; über das Lächeln des Säuglings, der seine Arme der Mutter entgegenstreckt; über den Blick zu den Bergen oder in die Weite des Hügellandes oder einer Ebene; und auch über das pulsierende Leben in Stadt und Land.

 

Jeder Morgen bietet vielfältige und ganz unterschiedliche Gelegenheiten, dem Leben zu begegnen. Wer am Morgen den Morgen an sich heranlässt, der wird reichlich beschenkt. Ob ich mich dann an ein geöffnetes Fenster stelle und die frische Morgenluft einatme oder ob ich andere mit einem „guten Morgen“ begrüße und willkommen heiße, immer begegnet mir das Leben. Dann stellt sich wie von selbst eine stille Dankbarkeit ein, die meinem Tag eine besondere Qualität verleiht. Solche Begegnungen mit dem Leben sind im letzten auch schon Begegnung mit Gott, denn er ist der Quell allen Lebens.

 

Mittwoch, 30. April 2003

Für den Menschen, für den die Nacht noch wirklich Nacht war, war der Morgen

eine besondere Stunde des Dankes und des Gebetes. Nach der Kälte und dem Dunkel der Nacht, nach dem todesähnlichen Schlaf begrüßt er den Tag als neu geschenktes Leben. Ähnlich empfinden ja immer noch kranke und einsame Menschen, die den Morgen wie eine Erlösung von Schmerz und Angst herbeisehnen. Der aufsteigende Tag vermittelt ihnen die Hoffnung, dem Leben neu zu begegnen.

 

In den Schriften des Alten und Neuen Testamentes gibt es eine ganze Reihe von Gebeten, die dieses Bitten und Danken am Morgen zum Ausdruck bringen. So heißt es etwa in Psalm 130: „Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf

den Morgen“ oder beim Propheten Amos: „Er verwandelt die Finsternis in hellen Morgen.“ Hinter dem Licht der lebensspendenden Sonne hat man das Licht eines lebensfreundlichen Gottes gesehen. Und für die Christen der ersten Jahrhunderte wurde die aufgehende Sonne zum Sinnbild für die Auferweckung Jesu aus dem Tod. So wurde aus dem Morgenlob Gotteslob.

 

Donnerstag, 1. Mai 2003

Heute ist erster Mai, der Tag der Arbeit. Politische Parteien und Gewerkschaften veranstalten Kundgebungen und vielleicht auch Protestmärsche gegen dieses oder jenes Regierungsvorhaben. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es ursprünglich am 1. Mai darum ging, die Würde und den Wert menschlicher Arbeit ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rufen. Arbeit ist mehr als Leistung! Arbeit gibt dem Leben Sinn. Darauf gilt es neu zu achten.

 

Am Schöpfungsmorgen hat Gott dem Menschen die Herrschaft über diese Welt anvertraut. Der Mensch aber ist mit dem Auftrag Gottes so umgegangen, dass er bald schon sein Brot im Schweiße seines Angesichtes essen musste. Das Bild hat immer noch Gültigkeit. Wo sich eine Gesellschaft von der ursprünglichen Schöpfungsordnung, die Würde eines jeden einzelnen zu wahren und zu sichern, entfernt, da wird auch Arbeit zur bloßen Ware, über die die Mächtigen verfügen.

 

Der Morgen des 1. Mai lädt uns alle ein, die Würde und den Wert menschlicher Arbeit neu zu bedenken. Nur so bleiben wir auf einem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens.

 

Freitag, 2. Mai 2003

Wenn wir Kinder auf ihrem Weg zur Schule oder in den Kindergarten beobachten, dann können wir sehen, wie sie an Straßenkreuzungen anhalten, schauen und dann gehen.

 

Anhalten, Schauen und Gehen, das könnte auch zu einem Morgenritual in unserem Alltagsleben werden. Anhalten. Das bedeutet einen Moment innehalten und einen bewussten Beginn des Tages setzen. Ein tiefes Durchatmen, ein kurzer Aufblick zu dem, der diesen Tag neu schenkt.

 

Schauen. Wir können es zwar nicht verhindern, Fehler zu machen, aber wir können es vermeiden, am heutigen Tag dieselben Fehler zu machen wie gestern, wenn wir am Morgen den Tag anschauen.

 

Gehen. Der Morgen lädt ein, in den Tag aufzubrechen und ihm eine Gestalt zu geben. Das wird dann gelingen, wenn es uns nicht darum geht, möglichst viel aus ihm herauszuholen, sondern wenn ich mir beim Gehen denke: Wohin kann ich heute ein wenig Licht bringen und wem kann ich das Leben ein wenig aufhellen. So wird unsere Welt jetzt schon mit Himmel angereichert.

 

Dieser Vorgeschmack möchte unsere Hoffnung auf jenen Morgen, der keinen Abend mehr kennt, bestärken, die Hoffnung auf den Morgen der Ewigkeit.

 

Samstag, 3. Mai 2003

Vor einigen Jahren war ich mit einer Reisegruppe eine Woche in Chartres. Jeden Tag haben wir die berühmte Kathedrale besucht und unter kundiger Führung dieses Wunder der Gotik kennen gelernt. Das Gipfelerlebnis dieser Chartres-Woche war die Begehung des berühmten Labyrinths am frühen Morgen. Und während wir uns langsam im Pilgerschritt auf die Mitte des Labyrinths zu bewegten, begann das große Leuchten der Fenster. Die aufgehende Sonne ließ gleichsam die ganze Heilsgeschichte aufleuchten, indem sie ihre Strahlen durch die Glasfenster sandte. Nie waren die Fenster so schön wie an diesem Morgen.

 

Damals habe ich geradezu gespürt:  Wann und wo immer die Strahlen der göttlichen Sonne durch einen Menschen hindurchstrahlen, da bekommt das Leben ein neues Gesicht. Was sich in den großen Gestalten des Alten und neuen Bundes, aber auch in den Heiligen der Kirche ereignet hat, geschieht dann jeweils neu. Seit dieser Erfahrung in Chartres sehe ich viel öfter Menschen, in deren Leben etwas vom morgendlichen Glanz eines göttlichen Lichtes zu spüren ist.