Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Landessuperintendent Peter Karner (Wien)
Sonntag,
18. Mai 2003
Lieber
Gott, wie soll ich dir danken für diese schöne Welt? So beginnt
ein Tiergebet. Und weiter:
Wäre
ich ein Tintenfisch: ich würde das ganze Meer blau färben, damit
alle sehen, wie ich mich freue.
Wäre
ich ein Stinktier: ich würde meinen Wald verstinken, damit jeder
meine Freude riechen kann.
Wäre
ich ein Teddybär: ich würde einen Menschen suchen, der auf meinen
Bauch drückt, damit ich vor lauter Freude brummen kann.
Dein
Krokodil wird mir beibringen, dass ich wie ein König leben kann.
Lieber Gott, deine Adler wissen längst, wie mütterlich du bist.
Dein Hirsch lädt mich zum Gottesdienst ein, und dein Sündenbock
zum hl. Abendmahl.
Deine
Löwen machen mir vor, wie man Psalmen singt. Deine Tauben und
Schlangen zeigen mir das Kunststück, wie man klug und ehrlich sein
kann. Deine Heuschrecken wollen, dass ich kein Sklave bin. Und deine
Libellen lehren mich Grazie. Dein Hund schenkt mir Treue, und deine
Katze lehrt mich Anmut und Würde.
Deine
Spatzen reizen mich, sorglos zu leben. Und deine Schmetterlinge
haben die Auferstehung schon geprobt. Danke, lieber Gott, dass du
mir die Tiere als Lehrmeister gegeben hast.
Montag,
19. Mai 2003
Anständige
Leute wachen von selber auf, weil ihnen längst ein bestimmter
Lebensrhythmus in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die
"Raucherhustenbesitzer" aber bellen sich selbst
erfolgreich aus dem Schlaf. Und sie werden nicht etwa mit einem
"Guten Morgen" begrüßt, sondern der pharisäische Mensch
da im Nebenbett brummt nur: "Siehst du, das hast du davon, weil
du gestern wieder zuviel geraucht hast. Hab ich dir nicht schon
100mal gesagt..."
Aber
was hat der Raucherhusten mit Religion zu tun? Die Antwort verdanke
ich einer Expertin auf diesem Gebiet, die sonst eher nichts mit der
Religion auf dem Hut hat: "Mir sind Leute mit Raucherhusten
sympathisch", hat sie gesagt, "mir sind überhaupt Leute
sympathisch, bei denen man merkt, dass sie Laster haben.
"Und
was macht die Lasterhaften so sympathisch?", wollte ich wissen.
Und die bemerkenswerte, eben religiöse Antwort: "Menschen mit
Lastern machen sich nichts vor. Sie wissen genau, wie unvollkommen
sie sind. Und darum halten sie sich nicht für besser als andere
Leute. Lasterhafte Menschen haben Verständnis für ihre
Mitmenschen, sie sind freundlich und angenehm.
Fast
mit den selben Worten hat das vor mehr als 1000 Jahren ein
griechischer Kirchenvater gesagt: Die Sünder verstehen oft mehr von
Nächstenliebe als die moralisch Vollkommenen.
Da
wird der Raucherhusten gleich zu einem lieblichen Geräusch.
Dienstag,
20. Mai 2003
Um
diese Tageszeit wird viel gekämmt: Sozusagen vom Urzustand zurück
in die Kultur. Haare sind etwas ungemein Religiöses. Die Bibel ist
voller "haariger" Geschichten. Und der fromme Heidelberger
Katechismus bekennt: "Christus bewahrt mich so, dass mir auch
nicht ein einziges Haar ausfallen kann, ohne dass mein Vater im
Himmel es will." Aber wer denkt schon so fromm, wenn er den
Kamm voller ausgefallener Haare hat?
In
der Bibel gibt es eine spannende Liebesgeschichte: Simson und Delila.
Delila - eine verführerische Frau. Und Simson eine Art Kraftlackel
mit langem, schönen, rötlich-blondem Haar. Delila will unbedingt
herausbeklommen, woher er seine Kraft hat. Und Simson verrät ihr
sein Geheimnis: „Wenn mein Haar geschoren wird, dann verliere ich
meine Kraft. Und ich werde schwach und allen anderen Menschen
gleich.
Das
ist der Jammer: ausschauen wie alle andern. Da hätte Gott ja gleich
lauter Glatzerte erschaffen können. Viele sehen jetzt grad im
Spiegel wie ihr Haar ausschaut. Man braucht an ihnen kein gutes Haar
zu lassen, denn so etwas haben sie ja längst nicht mehr. Aber wer
seine fetten Haare wäscht, hat schon begonnen, seine Seele zu
frisieren. Und man wird sich bald haarsträubende Geschichten über
ihr neues Selbstbewusstsein erzählen.
Mittwoch,
21. Mai 2003
Einer
der häufigsten österreichischen Sätze ist: "Mir tuat des
Kreuz so weh!" Gleich beim Aufstehn - falls man überhaupt
gleich aufstehn kann - aber bitte das Ganze nicht stumm zu machen:
schön jammern, raunzen, schimpfen und fluchen!
Da
muss man natürlich was dagegen tun: ein Rheumapulver schlucken und
was zum Einreiben: davon kommen dann die Flecken auf dem Pyjama und
der Bettwäsch’.
Aber
was ist, wenn der Rücken aus ganz andern Gründen wehtut? Man
braucht ja nur den Leuten zuzuhören. Selten sagt jemand stolz:
"Das alles ruht auf meinen Schultern!"
Nein,
sondern was ich oft sage, lässt meine Verwundungen ahnen: "A
jeder tragt sein Binkerl. Was ich alles auf dem Buckel hab. Mir
sitzt der Chef im Gnack. Für alles muss ich den Buckel hinhalten.
Was glauben sie, was alles auf meinem Rücken ausgetragen wird.
Die
Sprache ist verräterisch: Viele Menschen tragen zu schwer. Angst
und Lasten verbiegen ihr Rückgrat. "Auf meinem Rücken haben
die Pflüger gepflügt!", formuliert die Bibel drastisch.
Vielleicht
können Sie heute wenigstens eine Last abwerfen. Vielleicht sagen
Sie heute wenigstens einem ihrer Ausnützer: "Rutsch mir doch
den Buckel runter!"
Und
Sie werden staunen, wie die Kreuzschmerzen verschwinden.
Donnerstag,
22. Mai 2003
Um
diese Tageszeit steigen viele Leute auf die Waage und überprüfen
ihr Gewicht. Schaut fast ein bisserl komisch aus, so ein nackerter
Mensch auf der Badezimmerwaage. Aber das ist noch gar nichts gegen
einen Nackerten, der vor dem Spiegel steht.
"Die
dicken Männer haben’s leichter als die dicken Frauen!", hat
eine dicke Frau zu mir gesagt. „Ein blader Mann wird gern
stattlich genannt. Eine blade Frau ist einfach eine blade Frau. So
ungerecht ist das Leben."
Aber,
man plage mir die Dicken nicht. Sie leben nur in der falschen Zeit
und am falschen Ort. Früher einmal hat man reiche Leute daran
erkannt, dass sie dick waren. Und ein dicker Pfarrer war ein Renommé
für die Pfarrgemeinde. Und für Herrn Rubens war eine Frau erst schön,
wenn sie mindestens 80 Kilo gehabt hat.
Man
sekkiere mir die Dicken nicht. Nicht jeder Speck ist ein
Kummerspeck. Es gibt auch fröhlichen Speck.
Gottes
dicke Menschenkinder sollten sich nicht von Diätteufeln das Leben
sauer machen lassen. Denn sie sind zärtlich und gemütlich, lustig
und intelligent. Nicht nur Julius Cäsar wollte "wohlbeleibte Männer
um sich haben". Wir haben viel zu viele schlanke Politiker! Die
Schönheit des dicken Menschen wartet nur auf ihre Wiederentdeckung.
Freitag,
30. Mai 2003
Um
diese Tageszeit findet die Parade der Füße statt: große und
kleine, schöne und schiache, gepflegte und verwahrloste; Kasler und
Schweißfüße, und was sonst noch mildtätige Socken und Strümpfe
verstecken.
Füße
brauchen Religion, weil sie nicht alle gleich sind: eine Religion
also, die fußfreundlich ist. Denn die meisten Füße sind hässlich,
wenn ihr Eigentümer über 40 ist.
Peter
Altenberg, zarter Wiener Dichter und Gesundheitsapostel, hat "Christus-Schlapfen
getragen: Schuhe als Holz mit Stoff. Hat Peter Altenberg schon etwas
von den Fußreflexzonen geahnt? Gibt es vielleicht auch einen Punkt
auf der Fußsohle, der eine Leitung zur Seele hat? Kann man die Fußsohlen
so massieren, dass die Seele zu jubeln beginnt?
Hat
Jesus deshalb seinen Jüngern die Füße gewaschen? Dass sie
sensibel werden und voller Gefühle; dass sie mit den Füßen
empfinden und begreifen. Oder hätten sie es mit dem Kopf fassen
sollen, dass da Gott vor ihnen kniet und ihnen "De Füaß
wascht"?
Sollte
ich jetzt ein großes, heiliges Fußwaschen ausrufen? Dass die Seele
endlich wieder zu ihren Füßen kommt. Also: Zeigt her eure Füße -
vom Haxerl-Karl bis zur Schönheitskönigin. Vielleicht finden sie
doch jemanden, der ihnen die Füße wäscht. Denn: Füße finden
Seele auf. Füße brauchen Religion!
Samstag,
31. Mai 2003
Wenn
in biblischen Zeiten eine Frau aufgewacht ist, dann hat der Geliebte
zu ihr gesagt: "Du bist schön, deine Augen sind wie Täubchen,
deine Haare glänzen und schimmern in der Sonne, deine Lippen sind
purpurne Bänder an deinem herrlichen Mund...usw
Wenn
die Durchschnittsösterreicherin aufwacht, ist weit und breit kein
Minnesänger. Und wenn sie - Gott behüte - den Mann da neben ihr
fragt: "Sag, findest du mich eigentlich schön?", dann
sagt er wahrscheinlich: "Sag, hast kane andern Sorgen um die
Zeit? Nein das ist kein blöder Macho - er hat nur keine Ahnung von
seiner Frau.
Sie
steht inzwischen längst vor dem Badezimmerspiegel: "Na servas,
ich schau aus!" Die Augen sind matt und ganz verpickt. Die
Haare, na ja. Ja, die Zähne waren einmal weiß. Und die Haut:
fettig, da ein schiacher Mitesser.
Da
wird sie zornig und alles bäumt sich in ihr auf: "Ab heute
tu’ ich was für mein Aussehen. Ist das nur so eine Morgenstimmung
oder wird sie es wirklich tun? Und für wen eigentlich? Dass er
vielleicht wieder blöde Bemerkungen machen kann, ihr Mann? Oder
wird er ihr Mut machen? Wird er jeden Fortschritt bewundern?
Denn
um wieder schön zu werden, braucht eine Frau einen Mann, der ihr
schon in aller Herrgottsfrüh biblische Liebeslieder vorsingt.
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