Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Christine Sommer (Wien)
Sonntag, 29.6.2003
Wolken am Himmel
Sachlich
gesehen sind Wolken kleine schwebende Wassertröpfchen in der Lufthülle
der Erde. Doch die Formen- und Farbenvielfalt, in der sie
erscheinen, ist wie das Leben selbst - vielgestaltig und flüchtig.
Und so lohnt es sich, hie und da, so zwischendurch den Blick zum
Himmel zu richten, nicht nur um festzustellen, welches Wetter uns
erwartet, sondern um darüber nachzudenken, was das Leben für uns
bereithält. Nüchterne, sachliche, wissenschaftliche Erklärungen
der Naturphänomene und des Lebens genügen nicht. Es ist das
Geheimnis, das dahinter steht, das unser Fühlen, Denken und Handeln
beeinflusst und uns die Kraft, die Phantasie eines schöpferischen
Gottes ahnen lässt. Mit seiner Schöpfung will er unsere Kräfte
und unsere Phantasie anregen, dieses Leben, das er uns geschenkt
hat, zu bewältigen. Er überlässt es uns - gibt uns die Freiheit,
auf welche Art wir dies in Angriff nehmen. Aber wenn wir aufmerksam
sind, gibt er uns Anregungen, Beispiele, erkennbar nicht nur in
seinen Worten, sondern auch an seiner spielerischen Lust, mit der er
die Welt und alles Leben erschaffen hat. Ein kleines Beispiel sind
die Wolken am Himmel, die ich in dieser Woche näher betrachten möchte.
Montag, 30.6.2003
Die rosarote Wolke
Ich
erwache und sehe durch den Ausschnitt des Fensters eine rosarote
Wolke am blassblauen Himmel. Auf einer rosaroten Wolke schweben,
entschweben können, weg von allem, was zwingt, bindet und belastet!
Einfach sich am Leben freuen, das Leben genießen können - ohne
Schuldgefühle.
Das
vielfältige Farbenspiel betrachten, sich am schweren Duft von Heu
und süßen Blumen berauschen, den zwitschernden und tschilpenden Vögeln
lauschen, das leichte Streicheln des Windes spüren. Die Sehnsucht
zulassen, nach dem, was sein könnte, nicht was hätte sein können,
sondern was noch werden könnte - aus diesem mühsamen, eingeengten
Leben, in dem das Müssen und Tun über das Dürfen und Sein
herrscht. Die Gedanken in die Lüfte heben, damit sich die Sicht
weiten und das Fühlen vertiefen kann. Die Steine am Weg von der
Ferne betrachten, bis sie zu kleinen Kieseln werden und damit ihre
Bedrohlichkeit verlieren. Die Berge und Täler des Lebens in größeren
Zusammenhängen sehen und damit die Ordnung und den Sinn erahnen,
der dahinter steht. Sich vom Licht durchfluten lassen, damit sich
auch der letzte traurige Winkel des Herzens erhellt und neue Kraft
durch die Adern fließt.
Die
Wärme in sich aufnehmen, speichern, um sie bei Gelegenheit anderen
abgeben zu können.
Dienstag,
1.7.2003
Die
Wolkendecke
Manchmal
hängt eine graue Wolkendecke am Himmel. Regenschwer. Als ob Tränen
hinter den Augen säßen und jederzeit hervorbrechen könnten. Die
Stimmung ist gedrückt. Ich forsche nach den Gründen, vielleicht
eine kleine Unpässlichkeit, vielleicht ein falsches Wort, das einer
zu mir gesagt hat, vielleicht ein Problem, eine Aufgabe, die noch
ungelöst ist. Ich kann nichts Gravierendes feststellen. Nichts, was
nicht gestern auch schon da gewesen wäre. Dennoch erscheint mir
heute alles grau in grau. Es fällt mir schwerer aufzustehen, die
Dinge zu tun, die ich tun muss. Ich zögere, möchte mich am
liebsten drücken. Es nützt nichts, mein Gewissen, die Umstände
und Gegebenheiten des Alltags rufen zur Pflicht. Doch mir geht alles
nur schwer von der Hand. Ich bin gereizt und übertrage meine
Gereiztheit auf andere. Was für ein Tag - etwas scheint mich immer
tiefer zu ziehen. Ich halte inne, denke, so geht das nicht. Da denke
ich an die Geschichte von den beiden Fröschen. Jeder sitzt in einem
Glas Milch. Die Milch steigt. Der eine rührt sich nicht. Droht zu
ertrinken. Der andere strampelt - so lange bis die Milch zu Butter
geworden ist und er obenauf sitzt. Ich muss unwillkürlich lächeln.
Beginne zu strampeln, achte nicht mehr auf die Wolkendecke - bis sie
plötzlich aufreißt und ein Sonnenstrahl das Leben wieder heller
macht.
Mittwoch,
2.7.2003
Federwolken
Manchmal
fühle ich mich leicht wie eine Federwolke. Nichts drückt mich,
nichts hält mich. Ich schwebe, lasse meine Gedanken tanzen, bald
dahin, bald dorthin. Ich träume vor mich hin und habe keine Eile.
Ich fühle mich befreit und meine Gedanken spinnen zarte Gebilde.
Dennoch hebe ich nicht ab, sondern bleibe in dieser Welt. Beglückt
und andere beglückend. Ich lächle und zaubere ein Lächeln auf das
Gesicht anderer Menschen. Ich lasse hier ein lobendes Wort fallen
und mache da eine dankbare Geste. Ich tröste mit zarter Berührung
und vertreibe trübe Gedanken. Alles scheint mir möglich, nichts
unerreichbar. Ich bin voller Wünsche und doch wunschlos. Ich halte
inne, bin in der Schwebe, im Gleichgewicht. Auch wenn ein rauer Wind
aufkommt , der mich stört , mich aus dem Gleichgewicht und zum
Trudeln bringt. Auch wenn das zauberhafte Gefühl verweht, bleibt
doch die Erinnerung daran festgeschrieben am Himmel und in meinem
Herzen. Denn ich habe sie erlebt, die Leichtigkeit des Seins im
Bewusstsein des Himmels dahinter.
Donnerstag,
3.7.2003
Gewitterwolken
Dunkle
Wolken ziehen auf. Türmen sich übereinander, verheißen nichts
Gutes. Es braut sich etwas zusammen. Nicht nur am Himmel, sondern
auch im Leben.
Etwas
lastet schwer auf meiner Seele. Ein bevorstehender Arztbesuch mit
ungewisser Diagnose, eine schwierige Entscheidung, ein unangenehmes
Gespräch.
Die
Luft steht, lässt mich kaum atmen. Ich höre ein Donnergrollen und
habe Angst, dass mich ein vernichtender Blitz treffen könnte. Ich
bin verzagt, wie ich diese Unwettersituation durchstehen soll –
und muss doch durch, kann nichts anderes tun als sie aushalten.
Bevor
sich die Wolkendecke schließt, bricht kurz ein Lichtstrahl hervor.
Er erinnert mich daran, dass ich hoffen darf und dass es danach
wieder hell und klar wird in meinem Leben.
Ich
kann darauf vertrauen, nicht nur, wenn die Wolken abziehen, ohne
dass sie sich entladen haben, sondern auch dann, wenn das Gewitter
in voller Wucht auf mich niedergegangen ist .
Auch
dann und gerade dann erfahre ich, dass es ein Licht hinter den
Wolken gibt, das stärker ist und mich wieder aus der Dunkelheit
befreit.
Freitag, 4.7.2003
Schäfchenwolken
Schäfchenwolken
am Himmel. Kleine flauschige Knäuel - scheinbar lieblich und
friedlich. Manchmal möchte ich so sein wie sie. Geborgen, geführt,
getragen. Nichts wissen von der Welt, nichts erkennen. Mich um
nichts kümmern, vor mich hingrasen. Doch das kann ich nicht. Denn
ich habe Verantwortung. Will wach und aufmerksam sein für das, was
in der Welt und in meiner Umgebung passiert. Ich vertraue mich nicht
blindlings einem Leithammel an und lasse mich von ihm überall hinführen,
wo er will, sondern ich prüfe und entscheide, Tag für Tag. Ich kümmere
mich nicht nur um mein eigenes Futter, stur und gefräßig, sondern
sorge mich auch um das Wohl anderer. Ich bin auch nicht immer
friedlich, sondern kämpfe gegen Unrecht, Vorurteile und Unterdrückung.
Ich bin kein Schaf und das ist gut so. Denn wie die Schäfchenwolken
am Himmel nichts Gutes verheißen, sind zu viele Schafe unter den
Menschen Vorboten schlechter Zeiten. Dies hat die Vergangenheit
immer wieder gezeigt, zeigt die Gegenwart und wird auch in Zukunft
so sein. Darum lasse ich mich nicht täuschen. Ich möchte kein
Schaf, sondern ein Mensch sein, der seinem Gewissen folgt, um die
Welt menschlich zu gestalten.
Einzig
dem göttlichen Hirten vertraue ich, der mich sucht und mich zurückholt,
wenn ich es nicht schaffe und in die Irre gehe.
Samstag, 5.7.2003
Über den Wolken
Es
kommt vor, dass ich mich über den Wolken befinde - bei einer
Flugreise etwa oder auf dem Gipfel eines Berges. Wolkenhaufen türmen
sich zu meinen Füßen, formen sich zu seltsamen Gebilden. Ich
erkenne Tiere, Schlachtschiffe, Paläste, der Phantasie meiner Schau
sind keine Grenzen gesetzt. Hie und da geben die Wolken den Blick
frei auf spielzeugartige Häuser, Flüsse und Straßen. Wie klein
sie sind! Und wie klein ich mich fühle! Was mich vor kurzem noch
beschäftigt hat, bedrückte oder auch erfreute, wird plötzlich
bedeutungslos angesichts der Weite, die mich umgibt. Ich befinde
mich im gleißenden Licht, das die Ränder der Wolken vergoldet. Es
ist, als ob Gott mich als staunendes Kind auf den Arm genommen hätte,
um mir die Herrlichkeit seines Reiches zu zeigen. Die kindliche
Vorstellung vom Himmel über den Wolken wird in anderer Art zur
Gewissheit. Ich fühle mich deutlich wie nie zuvor als Teil der Schöpfung.
Der Himmel ist über mir, um mich herum und in mir, weil ich - im
Augenblick des Staunens - Gottes Gegenwart gewahr werde.
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