Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Dr.
Silvia Habringer-Hagleitner,
Univ-Ass.
für Religionspädagogik an der Kath.-Theol. Privatuniversität Linz
Sonntag,
6. 7.2003
Kennen
Sie das auch: Sie sind in Kontakt mit Menschen, fröhlich,
ungezwungen und plötzlich sagen Sie etwas Dummes, Verletzendes, das
Ihnen Sekunden später schon leid tut. „Oje, da hab ich einen
Fehler gemacht“ – schießt es Ihnen durch den Kopf. Aber Worte
lassen sich nicht rückgängig machen. Gesagt ist gesagt.
Was
übrig bleibt ist der Selbstvorwurf. Der innere Groll auf die eigene
Unzulänglichkeit, Fehlerhaftigkeit. Das Schuldgefühl. ich selbst
zu verzeihen, gnädig mit sich selbst zu sein in solchen Situationen
würde Befreiung bedeuten. Befreiung vom inneren Anspruch perfekt
sein zu müssen. Ich darf Fehler machen, es darf mir passieren, dass
ich andere verletze. Weil ich eben eine ganz normale Frau, ein ganz
normaler Mann bin, durchschnittlich und menschlich und trotzdem
okay.
Sich
selbst und anderen verzeihen können – das ist wohl eine Fähigkeit,
die spirituell verankerten Menschen
leichter fällt, weil sie z.B. wissen: Jesus von Nazareth hat
sich mit Vorliebe zu den nicht Perfekten, den sogenannten „Sündern“
gesetzt und mit ihnen gefeiert. Die Gerechten und jene, die auf ihre
Schuldlosigkeit pochen, waren ihm suspekt. Er hat sein Leben
hingegeben für die durchschnittlichen Menschen, für jene, die
Fehler machen und sich dessen bewusst sind.
In
diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine befreite kommende Woche, in der
Sie sich und anderen zugestehen, auch mal daneben zu greifen.
Montag, 7.7.2003
Frage:
Was ist eigentlich ein guter Morgen?
Christen
und ChristInnen kennen als Teil eines guten Morgens die Tradition
des Morgenlobes, die Laudes.
Vielen
von uns – mir geht es zumindest so – fehlen Zeit und Energie für
lange Morgenrituale. Und Morgenlob? Was soll ich an einem Morgen
loben, wenn ich doch noch nicht weiß, was der Tag bringen wird?
Da
fällt mir eine Kindergärtnerin ein, die ich interviewen durfte und
die mit Schwung und Freude durchs Leben geht. Sie sagte: „Ich denk
mir immer, wir haben ja so viel, wo wir
uns freuen können, wo wir was draus machen können. Da will ich
nicht bei dem ansetzen, was wir grade nicht haben!“
Vielleicht
ist das der Sinn des Morgenlobs:
Sich
in einem kurzen Gedanken bewusst zu machen, was man alles hat, das
einem zur Freude gereichen kann.
So
wie die kleine Enkelin der Theologin Dorothee Sölle, die angesichts
eines ganz gewöhnlichen Löwenzahns erstaunt und fröhlich ausrief:
„Toll, toll!“
Was
haben Sie, was ist Ihnen geschenkt, worüber Sie sich an diesem Tag
und überhaupt in Ihrem Leben freuen können? Wo, wann können Sie
sagen: Toll, super, schön, gut!
Wer
den Tag in diesem Sinn mit einem Morgenlob beginnt, hat wohl schon
so was wie einen inneren „Helligkeitsvorsprung“ und kann sicher
auch tagsüber manch Lobenswertes, Herrliches entdecken.
Daher
denk ich mir, wärs gar nicht so schlecht, so ein kurzes Morgenlob,
eine halbe Minute „Helligkeitsdenken“, in der wir zu etwas aus
unserem Leben sagen können: Toll, super, schön, herrlich! - Ist
Ihnen schon was eingefallen?
Dienstag,
8.7.2003
„Das
ist ja wie Doping!“ rief kürzlich bei einem Uni-Seminar eine
unserer Studentinnen aus:
Wollen
Sie wissen was wir gemacht haben:
Eine
ganz einfache Übung in Form von Zweiergesprächen, wo sich die
jeweiligen Partner sagen konnten, was sie schon lange einander
einmal sagen wollten oder fragen wollten. Es ging darum, einander Rückmeldung
zu geben, was einem am anderen gefällt oder beeindruckt.
Die
Stimmung nach dieser Übung war großartig. Alle hatten endlich
einmal wieder von anderen gehört, was an ihnen beeindruckt und
positiv empfunden wird.
Eigentlich
komisch: Etwas so Einfaches! Und wir sind so hungrig danach, sind so
wenig daran gewöhnt.
Auch
bei Seminaren mit Erwachsenen mache ich diese Erfahrung: es geht
darum, dass wir einander immer wieder sagen, was uns am anderen gefällt,
imponiert, was uns gut tut am anderen. Diese Art der Kommunikation
hat etwas Heilsames, Aufrichtendes, sie macht lebendig und froh. Und
anschließend fällt es viel leichter, wieder miteinander zu
arbeiten an gemeinsamen Aufgaben – sei es im Büro, in der Schule,
im Geschäft, auf der Universität oder wo immer man eben
miteinander zu tun hat.
Also
in diesem Sinne: überlegen Sie doch mal, was Ihnen an Ihren
Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden oder Familienmitgliedern gut tut
und sagen Sie es Ihnen. Es wird ein Festtag sein.
Mittwoch,
9.7.2003
Heute
möchte ich Ihnen ein Lied der mittelalterlichen Mystikerin und
Kirchenlehrerin Teresa von Avila in Erinnerung bringen
Nada
te turbe, nada te espante
Quiene
Dios tiene nada le falta
Nada
te turbe, nada te espante
Solo
Dios basta
Nichts
beunruhige Dich, nichts ängstige Dich
Wer
Gott hat, dem fehlt nichts
Nichts
beunruhige Dich, nichts ängstige Dich
Gott
allein genügt
Dieser
Text kann trösten, gerade dann, wenns mir eng wird ums Herz.
Wenn
die Ängste übermächtig werden und die Fröhlichkeit verjagen,
wenn Unruhe und innere Getriebenheit die Führung übernehmen.
Teresa
von Avila kannte solch schweren Gefühle und hat sich wohl auch
selbst mit diesen Worten getröstet:
Nichts
beunruhige Dich, nichts ängstige Dich
Wer
Gott hat, dem fehlt nichts
Nichts
beunruhige Dich, nichts ängstige Dich
Gott
allein genügt
Man
könnte das Lied weiterschreiben:
Nichts
soll Dich erschrecken und nichts Dich zur Verzweiflung bringen
Wer
Gott hat, dem fehlt nichts
Nichts
soll Dich verbittern, nichts Dich sorgenschwer machen
Gehalten
wirst Du, umsorgt wie ein Kind, geliebt mit Zärtlichkeit
Wer
Gott hat, dem fehlt nichts
Einen
vertrauensvollen Tag in diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute
Donnerstag,
10.7.2003
Der
römische Schriftsteller Seneca schrieb einmal:
„Ich
bin dankbar, nicht weil es vorteilhaft ist, sondern weil es Freude
macht“
Tatsächlich:
jeder dankbare Gedanke zaubert ein Lächeln ins Herz. Unsichtbar
nach außen hin, aber spürbar als Helles, Frohes im Inneren.
Wer
dankbar ist, weiß, dass er etwas geschenkt bekommen hat, das er
nicht selber machen konnte. Und dass das wofür er dankbar ist, ganz
und gar nicht selbstverständlich ist. Dass er es sich auch nicht
verdient hat im Sinne von erwirtschaftet oder erhandelt.
Und
ist Ihnen schon aufgefallen, dass dankbare Menschen auch zugleich
sympathische Menschen sind? Denn wer innerlich dankbar ist, strahlt
das auch aus: Ich bin Beschenkte, Beschenkter, es ist schön am
Leben zu sein, weil es so vieles gibt, was man dankbar annehmen
kann, worüber man sich freuen kann.
Und
noch was: Dankbarkeit ist ansteckend!
Und
zwar dann, wenn sie ausgedrückt wird:
Beim
gemeinsamen Genießen des Essens, bei einem Fest wo sich die
Nachbarn wieder einmal zusammensetzen können, bei der
Kindergartensommerparty, wo deutlich wird, wie viel Engagement die
Kindergärtnerin Jahr für Jahr bringen, im Krankenhaus wo es gut
tut, dass die Schwester sich zwischendurch mitfühlend Zeit nimmt.
Tausend
Möglichkeiten dankbar zu sein hält jeder Tag bereit. Wer sie
entdeckt, kann sich freuen.
In
diesem Sinne: einen entdeckungsreichen Tag der Dankbarkeit wünsche
ich Ihnen heute!
Freitag,
11.7.2003
Ich
lese gerade das Buch „Lehrerin L.“ von Brigitte Schimmerl.
Ausgangspunkt ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das immer
wieder von ihren Eltern lieblos heruntergemacht wird, für dumm und
schlecht erklärt wird. Ständige seelische Verletzungen im Namen
der Moral, ja sogar des christlichen Gottes.
Als
Religionspädagogin kommt mir das blanke Entsetzen, wenn ich solche
Geschichten lese.
Es
macht mich zornig, wenn die Botschaft des Jesus von Nazareth in sein
Gegenteil verkehrt und Kinder damit seelisch unter Druck gesetzt
werden. Jesus hat sein Leben für was Anderes eingesetzt: für die
Lebenslust, Fröhlichkeit, den heiteren Gang der Menschen, gerade
auch der Kinder. Die Kinder hat er zärtlich umarmt und gesegnet, er
hat sie den Erwachsenen als Vorbild hingestellt und nicht umgekehrt.
Jesus war einer, der Kinder nicht tot, stumm und brav, sondern
lebendig haben wollte. Deshalb tat er auch, was er konnte für ein
totgeglaubtes Mädchen:
„Er
fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!“, das
heißt: „Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ Sofort stand das Mädchen
auf und ging umher. Dann verlangte er von den Eltern, dass sie dem Mädchen
zu essen geben.
Dass
es Kindern und Erwachsenen gut geht im Leben – das wollte Jesus.
Sollten
Sie sich gerade leblos und verletzt fühlen, gilt auch Ihnen der
jesuanische Satz: „Ich sage dir, steh auf! Werde wieder
lebendig!“
Einen
lustvollen Tag ala Jesus von Nazareth wünsche ich Ihnen heute!
Samstag,
12.7.2003
Lassen
Sie mich heute mit einem ganz kurzen Erlebnis beginnen:
Ein
üblicher hektischer Einkaufssamstag: Ich stehe gebeugt über einem
Gemüsestand, plötzlich spüre ich eine Hand auf meinem Rücken, höre
ein freundliches Hallo! Diese kurze, überraschende Berührung ist
wie ein Energieschub. Gerade noch müde und innerlich gestresst,
kann ich froh zurückgrüßen. Aufgerichtet durch die Hand der
Nachbarin.
„Wie
einfach es doch ist, einander aufzurichten.“, denke ich. Und wie
so oft empfinde ich Sehnsucht nach einer berührungsvolleren Kultur.
Nach mehr Zärtlichkeit in den Alltagsbegegnungen, nach mehr Wärme
und Herzlichkeit. Weil es nicht selbstverständlich ist, deshalb fällt
es mir auf. Und ich bin dankbar. Da und dort gibt es noch Frauen und
Männer mit weniger Berührungsängsten, mit dem bisschen mehr an körperlicher
Ausdrucksfreude. Menschen, die spontan umarmen können, wenn sie
sich freuen, die nicht vorher dreimal überlegen, ob das jetzt wohl
passend ist, ob der andere sich eh nichts Falsches denkt dabei, ob
sich das im Berufsleben oder in der Nachbarschaft wohl geziemt oder
nicht. Viel zu häufig sparen wir unsere Berührungsfreude für das
traute Heim, die Familie auf.
Berührung
ist für uns lebenswichtig, überlebenswichtig für Säuglinge,
notwendig für Kranke,
Wer
berührt wird, spürt: es gibt mich: Und noch mehr: Es ist gut, dass
es mich gibt. „Ich werde berührt, also bin ich“ – so sagte kürzlich
der Philosoph Wilhelm Schmid in einer Rede.
Aufbauende
Berührungskultur im Alltag – von manchen Frauen und Männern lässt
sie sich lernen und von den Kindern sowieso.
Einen
berührungsvollen Tag wünsche ich Ihnen heute!
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