Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

DI Johanna Mang (Wien)

 

 

Sonntag, 7. 9.2003

Aus der Mülltonne

Mein Mistsack ist übervoll, es ist höchste Zeit, dass ich ihn ausleere. Im Müllraum unserer Wohnhausanlage mache ich den Deckel der großen silbernen Mülltonne auf, hole aus und werfe mit viel Schwung meinen Mistsack hinein, es raschelt und klimpert – oh je, verdammt – ich hab meine Schlüssel mit dem Mistsack mit hinein geworfen. Erstens komme ich nicht in meine Wohnung und außerdem will ich unbedingt meinen Schlüsselanhänger – ein silberner Pinguin - wieder haben. Also bleibt mir nichts anderes übrig – ich muss wohl in die Mülltonne hineinklettern, um den Schlüssel wieder zu bekommen.

 

Nicht einfach, aber ich schaffe es – was noch schwieriger ist, ist der gesammelte Unrat und Gestank in dem ich mich plötzlich befinde – und in dem ich herum wühlen muss. Ich wühle in vielen Essensresten und ekle mich.

 

Ich bin aber nicht die Einzige, die im Müll wühlt – zwar nicht hier in Wien und nicht in der Tonne, in der ich jetzt stecke - sondern in vielen Ländern leben tausende Menschen davon, dass sie im Müll noch irgend etwas Essbares finden. Die Müllhalden sind ihr Zuhause geworden, weil sie keine andere Möglichkeit haben eine Arbeit zu finden, Geld zu verdienen um sich etwas zu Essen zu kaufen. Nur das was diese Menschen im Müll finden sichert ihr tägliches Überleben; mehr haben sie nicht und mehr Chancen bekommen sie nicht.

 

Ich selbst habe Glück – ich finde meinen Schlüssel am Boden der Tonne wieder. Gefunden habe ich durch mein Erlebnis auch ein Stück Verständnis dafür, wie erniedrigend die Lebenssituation armer Menschen sein muss. Denn ich glaube nicht, dass irgendjemand freiwillig und gerne arm ist.

 

Montag, 8. 9. 2003

Kinderarbeit

Jetzt sind die Schulferien wieder vorbei. Schluss mit lustig für alle Schulkinder. Aus mit dem Badespaß, mit Wasserschlachten, Grillabenden, und dem langen Schlafen am nächsten Tag.

 

Mit dem Herbst hat jetzt auch wieder der Schulalltag angefangen, jetzt müssen die SchülerInnen wieder hart ‚arbeiten’. Ob Arbeit wohl das richtige Wort dafür ist? Ich denke ich an jene Kinder, die ich auf meinen Reisen in Indien und Pakistan gesehen habe. Oft habe ich gesehen, wie diese Kinder körperlich hart arbeiten: sie verkaufen in kleinen Läden, verkaufen und stapeln Waren, helfen bei der Ernte auf den Feldern, oder hüten ihre kleineren Geschwister. Viele, viel zu viele Kinder sind auch schon in ihren so jungen Jahren zu Bettlern geworden.

 

Als ich selbst noch ein Schulkind war, habe ich oft gefragt, wieso ich denn in die Schule gehen muss, und habe nicht wirklich verstanden, wozu ich das alles lernen und wissen muss. Was ich erst heute sehe ist, dass mir meine Schul- und Ausbildung ganz wichtig war, um zu jener selbständigen Frau zu werden, die ich heute bin.

 

Eine gute Schulbildung für alle ist hier in Österreich selbstverständlich. In vielen anderen Ländern bleibt diese Chance Millionen von Kindern verwehrt – und wenn man genauer hinsieht, dann bleiben in vielen Gesellschaften vor allem die Mädchen davon ausgeschlossen. Das Resultat: keine Schule, das heißt lebenslange Unterdrückung und Armut.

 

 

Dienstag, 9. 9. 2003

Wertlos in Ungarn

Noch viele Länder, z. B. in Osteuropa haben nicht den Euro, sondern ihre eigene Währung. So hatte ich bei mir zu Hause noch ungarische Forint, die von einer Reise vor vielen Jahren übrig geblieben sind.

 

Letzte Woche musste ich beruflich zum Greenpeace-Büro nach Budapest fahren: um 6 Uhr in der Früh mit dem Zug los, dann bis um 3 Uhr Nachmittags Besprechung – dann gleich wieder retour nach Wien. Bei dem dichten Tagesprogramm blieb mir keine Zeit zum Essen. Kein Problem, ganz einfach, dachte ich mir, in der Grenzstadt Györ muss ich sowieso den Zug wechseln und habe Zeit, da kaufe ich mir dann etwas. Gesagt getan. Im Bahnhofskiosk ließ ich mir ein Käseweckerl machen – nahm mir noch etwas zu trinken und eine Tafel Schokolade.

 

An der Kassa kam das böse Erwachen: die Kassiererin starrte zuerst verdutzt auf meine ungarischen Scheine und Münzen, und winkte heftig ab. Ihren Wortschwall verstand ich zuerst nicht – bis mir eine nette Dame übersetzte: „Dieses Scheine sind wertlos – wir haben schon lange Neue – tja, damit können Sie nichts mehr kaufen.“ Punktum.

 

Ich blieb also ohne Essen. Selbst auskosten konnte ich anstatt dessen die Erfahrung, hungrig sein und was es eigentlich heißt, kein Geld zu haben, um sich etwas zu Essen zu kaufen. Das Essen direkt vor den Augen zu haben – aber nichts zu bekommen. Auf alle Fälle keine angenehme Erfahrung, aber eine Erfahrung, die Millionen Menschen tagtäglich und immer wieder machen müssen. 

 

 

Mittwoch, 10.9.2003

Mein Alter

40 Kerzen standen heuer auf meiner Geburtstagstorte – das war ein schöner Tag, denn ich fühle mich in der Mitte des Lebens. Ich hatte schöne Jugendjahre, habe einen spannenden Beruf, der mich in viele Länder dieser Erde gebracht hat.

 

Eine meiner Reisen hat mich auch zu einem WWF-Projekt nach China an die Grenze zu Tibet gebracht. In einem dieser Dörfer übernachten wir – wir werden von Familien in ihren Häusern aufgenommen. Und so kommen wir – natürlich nur mit Hilfe einer Übersetzerin – ins Gespräch mit den Frauen.

 

Wir unterhalten uns über Vieles, aber was meine Gastgeberin am meisten interessiert ist, wie alt ich bin. Damals war ich 38 – und so sage ich ihr das auch. Sie schüttelt nur ungläubig den Kopf. Nein das gibt es nicht, meint sie – mehr als 18 Jahre kann ich nicht alt sein – denn sie selbst sei ja erst 30 Jahre. Ich sehe in ihr tief gebräuntes, zerfurchtes Gesicht – bemerke ihre von all der Handarbeit schwieligen Hände und ihre bereits krumme Haltung, eine Schar zum Teil erwachsener Kinder um sie herum. 30 Jahre frage ich mich im Stillen – nein ich hätte ihr 60 Jahre gegeben. Ganz offensichtlich sind die Frauen von den schweren Lebensbedingungen gezeichnet und bei dieser Schwerstarbeit zählt jedes Lebensjahr doppelt. Die Lebenserwartung in manchen Ländern in Asien und Afrika liegt bei 50 Jahren und darunter. In Europa, in Österreich liegen wir mittlerweile bei an die 80 Jahre.

 

Wenn ich jetzt 40 werde, dann habe ich – statistisch gesehen - noch das halbe Leben vor mir – das heißt aber auch, dass ich eigentlich viel Zeit habe, mich für bessere Lebensbedingungen in der Welt einzusetzen.

 

 

Donnerstag, 11. 9. 2003

Informationsgesellschaft

Von zu Hause aus kann ich per Internet ganz gemütlich um die ganze Welt reisen. Mit einem Klick erfahre ich das Wetter von Sansibar inklusive Wassertemperatur, bekomme Informationen über die politische Lage in Kolumbien. Ebenfalls vom Computer aus verschicke ich e-mails an meine Freunde in die ganze Welt. Und wenn ich Lust zum diskutieren habe, kann ich mich in die diversen Chat-Rooms einklinken und offen bei jedem beliebigen politischen Thema mitdiskutieren. Dank der modernen Medien bin ich eigentlich überall.

 

Wie privilegiert ich bin, habe ich erst vor kurzem erfahren: ich gehöre zu jenen 10% der Weltbevölkerung die Internetzugang haben - der Großteil, nämlich 90 % hat dies nicht. Fast unglaublich aber wahr: 62% aller Menschen haben noch nie in ihrem Leben telefoniert.

 

Das heißt, die Möglichkeiten, sich zu informieren und zu kommunizieren sind weltweit völlig ungleich verteilt.

 

Aber nicht nur um die Verteilung der technischen Infrastruktur ist es schlecht bestellt: Vielerorts unterliegt die Berichterstattung staatlicher Zensur, werden Zeitungen beschlagnahmt, Rundfunkprogramme und Fernsehsender verboten.

 

Wenn ich dies höre, dann wird mir bewusst, wie viel mein unbeschränkter Zugang zur Information, mein Recht auf freie Meinungsäußerung hier in Österreich eigentlich wert ist. Und wie wichtig es ist, diese Werte nicht nur für alle Länder einzufordern, sondern auch in Österreich vor möglichen Eingriffen und Einschränkungen zu verteidigen.

 

 

Freitag, 12.9.2003

Kiwi

Ich kann mich noch gut an meine allererste Kiwi erinnern: außen diese braune und eher unansehnlich haarige Haut – innen aber faszinierend grün und lila – der erste Bissen offenbarte mir eine exotische Geschmacksmischung aus süß und säuerlich. Ich war damals 6 Jahre – und es war mein Onkel aus Neuseeland, der diese erste Kiwi aus seinem Garten reif und frisch gepflückt im Koffer nach Österreich geschmuggelt hatte. Die erste Kiwi war für mich wie ein kleines Wunder.

 

Bis das Wunder nach Österreich in die Regale der Supermärkte kam, hat es noch viele, viele Jahre gedauert. Wie habe ich mich gefreut und ich hab immer wieder Kiwis probiert - und bin immer wieder von der unreifen Härte herb enttäuscht worden. Wie sollen sie denn auch schmecken? Denn die Kiwis werden – wie so viele andere exotische Früchte – noch unreif gepflückt, sie treten also grün die Reise nach Europa an, werden hier erst dann mittels ‚Begasung’ reifer gemacht – aber auch nur so wenig, sodass sie in den Kaufhausregalen gut stapelbar sind, und ja nicht zu rasch verrotten.

Mittlerweile lasse ich Kiwi Kiwi sein – und finde es zunehmend absurd, dass so viel Obst und Gemüse in großen Mengen um die halbe Welt geschickt wird. Papayas aus Zentralamerika, Lychees aus Asien und grüne Paprika zu jeder Jahreszeit aus Spanien.

 

Anstelle der Kiwis genieße ich das, was eben frisch bei uns am Markt ist – und dabei denke ich gerne an meine erste und beste Kiwi zurück.

 

 

Samstag, 13.9.2003

Der Sportschuh

Bei einer Großveranstaltung in Hallein, bei der über eine sozial gerechte, globale Zukunft diskutiert wurde, haben viele TeilnehmerInnen im Turnsaal der dortigen Schule geschlafen. An den Wänden des Turnsaals hingen riesige Werbeplakate von Firmen, die offensichtlich die Schule finanziell unterstützen. Eines der ganz großen Plakate war die Werbung einer bekannten Sportschuh-Firma.

 

Was wir oftmals nicht wissen ist, was denn so hinter einem einfachen Sportschuh steckt. Dazu habe ich dann bei der Veranstaltung ein ganz anderes Plakat gesehen, das aufzeigt wer eigentlich an so einem teuren Marken-Sportschuh verdient: So ein Paar Schuhe kostet mich 100 Euro. Dabei verdient der Einzelhandel am Meisten – nämlich die Hälfte. Die Produktions- und Materialkosten machen an die 10% aus; die Werbung und die Produktionsentwicklung kosten auch jeweils 10%, dann kommen noch Transport und Steuern dazu. Die Markenfirma selbst hat einen Gewinn von ca. 15%. Haben wir da nicht noch etwas vergessen? Doch den Lohn für die Arbeiter und ArbeiterInnen. Wie hoch der wohl ist? Hoch ist hier der falsche Ausdruck. Menschenverachtend niedrig: nämlich unter 0,4 %. Das sind bei 100 Euro ca. 40 Cent.

 

Kein Wunder, dass in vielen Ländern die Menschen bis zum Umfallen arbeiten – und dennoch ihre Familien nicht ernähren können.