Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Pfarrer
Dr. Christoph Weist
Sonntag, 21.9.2003
„Weine
nicht!“ Wer das einer Mutter angesichts ihres toten Kindes sagen
kann, muss Gründe haben. Der Name der Frau, die in der Bibel diese
Aufforderung hört, wird nicht genannt. Sie ist die Mutter eines
verstorbenen jungen Mannes. Der Wanderprediger Jesus trifft auf den
Leichenzug. „Und als sie der Herr sah, jammerte sie, und er sprach
zu ihr: Weine nicht“, so der biblische Text. Und, so die unerhörte
Geschichte, Jesus erweckt den Jugendlichen vom Tod und „gab ihn
seiner Mutter“.
Mehr
erfährt niemand von der Frau, die so unglaublich getröstet wurde.
Sie blitzt in den vielen Geschichten der Bibel nur einmal auf. Als
Bild dafür, dass ganz am Anfang des christlichen Glaubens die Erschütterung
Gottes und die Hilfe stehen. Die Hilfe auch dort, wo kein Mensch,
auch kein noch so gewiefter Sozialingeneur mehr helfen kann, die
Hilfe, die die Grenzen des Todes nicht akzeptiert. Das behauptet der
christliche Glauben von Anfang an, auch wenn es noch so schwer
nachzuvollziehen ist. Der Grund dafür ist das Wissen um die
Auferstehung des Jesus von Nazareth selbst. An sie erinnert jeder
Sonntag. Sie gibt der christlichen Botschaft erst ihren Sinn. Denn
sie macht, dass der Tod das Leben nicht ruiniert.
Montag, 22.9.2003
Es
waren achtzehn Menschen. Mit einem Schlag sind sie alle umgekommen.
Sie geben ein Beispiel ab in einer hitzigen Diskussion zwischen
Jesus und einigen Fragestellern: Passiert einem nicht eh immer nur
das, was man verdient? Die Antwort Jesu: „Meint ihr, dass die
achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie,
schuldiger gewesen sind als alle anderen Menschen, die in Jerusalem
wohnen?“
Keiner
kennt die Namen der Umgekommenen. Sie gehören zu jenen Personen,
die manchmal fast blitzartig auf einer Seite der Bibel vorkommen und
über die man allzu oft einfach drüberliest. Sie waren die Opfer
einer damals aktuellen Katastrophe in einem Vorort der Hauptstadt.
Aber seit rund 2000 Jahren leben sie weiter als Mahner, vielleicht
auch Mahnerinnen: Es hängt nicht mit Schuld oder Unschuld zusammen,
wenn einem etwas passiert. Es ist aber gut, täglich mit sich selbst
ins Reine zu kommen, „umzukehren“, wie es der Wanderprediger aus
Nazareth genannt hat. Und es ist gut zu wissen, dass nichts
selbstverständlich ist, ja dass man täglich viel mehr und besseres
erhält, als man verdient.
Das
ist keine Selbstbezichtigung am frühen Morgen. Das ist die Chance,
in den Tag zu gehen und die Dinge beherzt in den Griff zu nehmen.
Dienstag, 23.9.2003
Diese
Maria kennt heute niemand mehr. Sie wird in der Bibel auch nicht
gedankenschwer bezeichnet als „des Herren Magd“ wie die Mutter
Jesu. Und eine besondere Verehrung hat sich auch nicht um sie
gebildet. Sie blitzt in der Bibel nur einmal ganz kurz auf. Ihr Name
steht unter einigen Männern und Frauen, die der Apostel Paulus am
Schluss seines Briefes an die Christengemeinde in Rom grüßen lässt:
„Grüßt Maria, die viel Mühe und Arbeit um euch gehabt hat.“
Heute
weiß man nicht mehr,
wer diese Christin Maria gewesen ist, damals im alten Rom. Einmal
genannt, ist sie aus der Überlieferung des christlichen Glaubens
sofort wieder verschwunden. Und deshalb steht sie für zahllose
Frauen. Für die Frauen, die seit der Zeit der ersten Christinnen
und Christen bis heute mit dem christlichen Glauben, innerhalb der
Kirchen und Gemeinden, „viel Mühe und Arbeit“ gehabt haben.
Ich
möchte den Gruß des Paulus an die unbekannte Maria weitergeben. An
die Frauen, von denen man noch heute viel zu wenig spricht. Und die
dennoch mit dem Einsatz ihrer Köpfe und Hände garantieren, dass
die gute Nachricht vom guten Leben nicht verstummt. Und dieser Gruß
kann nur Dank heißen.
Mittwoch, 24.9.2003
Da
wird einer festgenommen mitten aus dem Kreis seiner Freunde heraus.
Sein Name ist Jesus von Nazareth. Der Grund der Festnahme, hinter
der geistliche Behörden stehen, ist noch unklar. Die Freunde sind
empört, einer von ihnen rastet aus. Die Bibel berichtet: „Simon
Petrus aber hatte ein Schwert und zog es und schlug nach dem Knecht
des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Und der Knecht
hieß Malchus.“
Und
weiter wird berichtet, Jesus habe sich sofort scharf gegen das
Vorgehen seines Freundes ausgesprochen, ja er soll sogar das Ohr des
Malchus auf der Stelle wieder geheilt haben.
Von
Malchus ist nachher in der Bibel nie wieder die Rede. Wie im Schein
eines Blitzlichtes taucht er nur für Sekunden auf. Warum? Ist der
schwer verletzte Soldat nur ein Kollateralschaden in der Geschichte
Jesu?
Ich
denke, die kleine Statistenrolle des Malchus hat die große Aufgabe
zu zeigen, es geht um Gewaltfreiheit mitten in einer gewalttätigen
Welt, um den absoluten Verzicht auf blutige Reaktion, egal was
passiert oder passiert ist. Das ist nicht einfach, auch nicht für
den christlichen Glauben. Aber er muss damit leben. Denn anders ist
Leben nicht möglich.
Donnerstag, 25.9.2003
Normalerweise
sind die Überbringer der christlichen Botschaft um liebevolle
Zuwendung zu anderen Menschen bemüht. Aber manchmal brauchen sie
selbst welche.
Da
ist der Missionar Paulus mit einigen Begleitern bei einer
Schiffsreise über das Mittelmeer an der Küste von Malta gelandet,
ebenso unfreiwillig wie unsanft. Wie soll es mit den Schiffbrüchigen
weitergehen? Die Bibel gibt den Bericht eines Begleiters wieder:
„In dieser Gegend hatte der angesehenste Mann der Insel, mit Namen
Publius, Landgüter; der nahm uns auf und beherbergte uns drei Tage
lang freundlich.“
Der
angesehene freundliche Publius taucht unvermittelt, fast blitzartig,
in den Zeilen der Bibel auf und verschwindet wieder. Man hört nicht
einmal, ob Paulus ihn bekehrt hat. Aber man spürt: dem Paulus und
seinen Begleitern, die sonst immer nur Diskriminierung und
Verfolgung kannten, hat er gut getan. Der wohlhabende Mann hat seine
Möglichkeiten fair eingesetzt, wohl ohne sich wirklich dafür zu
interessieren, worum es seinen Gästen eigentlich ging. Er wurde
auch nicht ausgenutzt, aber er hat dazu beigetragen, dass die gute
Nachricht nach Europa gekommen ist. Und heute ist er selbst ein Teil
von ihr, er steht in der Bibel. Der Dank könnte nicht schöner
sein.
Freitag, 26. 9.2003
Eine
Frau bringt einen Mann in eine peinliche Situation. Sie sagt nämlich
die Wahrheit. Ein einziges Mal nur erscheint sie in der Bibel,
sozusagen anonym, in dem Bericht über den Prozess des Jesus von
Nazareth.
Ein
Freund Jesu, Simon Petrus, hat sich in den Hof des Gerichtsgebäudes
geschlichen. Und es heißt: „Da trat eine Magd zu ihm und sprach:
Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa. Er aber leugnete und
sprach: Ich weiß nicht, was du sagst.“ Natürlich war dieser
Petrus jahrelang „mit dem Jesus aus Galiläa“ gewesen. Nur
jetzt, wo der Prozess gerade lief, wäre es schlecht, dies
zuzugeben. Warum muss diese Frau mit ihrer Wahrheit einen derart
bedrängen?
Ich
denke, die Magd im Hof vor dem Gericht hat mit ihrer Bemerkung
nichts anderes eingefordert, als was man von Christinnen und
Christen jederzeit verlangen kann: Das offene Eingeständnis: Ich
gehöre dazu. Ich bin mit dem Jesus aus Galiläa. Ich versuche seine
Botschaft umzusetzen. Und ich weiß, was das heißt.
Die
„blitzartig“ auftauchende Frau hat die Sache auf den Punkt
gebracht. Es war nicht das letzte Mal in der Geschichte des
christlichen Glaubens, dass einer an diesem Punkt gescheitert ist.
Samstag, 27.9.2003
Bis
heute weiß man nicht, um wen es sich da gehandelt hat.
In
der Nacht vor seinem Tod am Kreuz wird Jesus von Nazareth gefangen
genommen. Die Freunde sind auseinandergestoben, die Soldaten ziehen
mit ihm ab. Da berichtet die Bibel: „Ein junger Mann aber folgte
ihm nach, der war mit einem Leinengewand bekleidet auf der bloßen
Haut; und sie griffen nach ihm. Er aber ließ das Gewand fahren und
floh nackt davon.“
Die
Kunst der Bibelausleger und Historiker ist heute hoch entwickelt.
Dennoch ist es nicht gelungen, den jungen Mann, offenbar ein Freund
oder Sympathisant Jesu, zu
identifizieren. Unvermittelt taucht er in der Geschichte von Jesu
Leiden und Tod auf - und verschwindet wieder wie ein Blitz. Was soll
sie bedeuten, die Flucht des Unbekleideten?
Ich
weiß es nicht. Ich sehe nur, dass die Bibel nicht alle ihrer Rätsel
preisgibt. Sie hat nicht auf alle Fragen Antworten, aber sie gibt zu
denken und Stoff zum Forschen. Auch bei größeren Problemen als es
die Flucht des jungen Mannes ist. Sie öffnet sich, aber sie
verschließt sich auch, und mit alledem lässt sie einen nicht los.
Deshalb wirkt sie auf viele Menschen so faszinierend. Denn die Bibel
ist wie das Leben selbst.
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