Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Pfarrer
Gilbert Schandera (Schwandenstadt, OÖ)
Sonntag,
28.09.2003
AUFERSTEHUNG
Vom
„Jenseits“ zu reden, das wagt man fast nicht. Nachdem in früheren
Zeiten zu sehr aufs Jenseits vertröstet worden ist, haben wir auf
einmal nur mehr das Diesseits. Es ist aber natürlich, dass wir
weiterfragen. „Ist der Lebenssinn allein in den paar Jahrzehnten
unseres Erdendaseins zu erhaschen? Gibt es mehr?“
Dass
wir zur Zeit des Römerreichs nicht gelebt haben, berührt uns
wenig. Wenn wir uns aber einen schönen, klaren Herbsttag des Jahres
2070 vorstellen und wissen, dass wir dann nicht mehr leben, so erfüllt
uns das mit Wehmut. Man kann sich trösten mit der Bibel. Da heißt
es: „Christus ist erstanden zu einem neuen Leben und auch ihr
werdet so zu einem neuen Leben kommen.“
Vielen
hilft das nichts. Sie möchten sich das Leben nach dem Tod
vorstellen können. Denen könnte vielleicht ein Vergleich helfen:
Nehmen wir an, wir könnten mit einem Embryo im Mutterleib in
Verbindung treten. Wir würden ihm sagen: „Jetzt kommst du bald
heraus und hast Gemeinschaft mit anderen Menschen; das ist erst das
eigentliche Leben!“ Würde uns der Embryo nicht antworten: „Mag
schon sein, aber wo ich jetzt bin, das kenne ich, hier bin ich
geborgen – ich bleibe lieber hier.“ Wir würden ihm sagen müssen:
“Das geht nicht. Diese Zeit ist um. Du würdest absterben. Du
musst durch...“
Ähnlich
ergeht es uns. Wir haben Botschaften vom Leben nach dem Tod, wir
haben Ahnungen davon – aber es ist uns bang und elend, wenn wir
das Vertraute verlassen müssen. Es ist eine wichtige, oft übersehene
Lebensaufgabe, den Tod als einen Teil des Lebens zu sehen. „Das
Letzte“ ist nur in einem neuen Leben möglich. Je mehr wir diesen
größeren Blick haben, umso mehr zeigt sich auch das Leben in
dieser Welt von einer neuen freudigen Seite.
Montag,
29.09.2003
Wir
gehen auf die dunklere Zeit des Jahres zu. Das Absterben der Natur
macht uns sensibel für die eigene Vergänglichkeit.
Das
letzte Konzil (1962 – 1965) greift die Not des Menschen angesichts
der Todesgewissheit auf: “Beim Tod wird das Rätsel des
menschlichen Daseins am größten. Der Mensch erfährt ... die
Furcht vor dem immerwährenden Erlöschen. Er urteilt aber im
Instinkt seines Herzens richtig, wenn er die völlige Zerstörung
und den endgültigen Untergang seiner Person mit Entsetzen ablehnt.
Der Keim der Ewigkeit im Menschen lässt sich nicht auf bloße
Materie zurückführen und wehrt sich gegen den Tod. Doch alle Maßnahmen
der Technik können die Angst des Menschen nicht beschwichtigen. Unüberwindlich
lebt in seinem Herzen das Verlangen nach einem Fortleben. Dem kann
die Verlängerung der biologischen Lebensdauer nicht genügen.“
Es
gibt ein inneres Gespür, das uns über den Horizont des alltäglichen
Lebens hinausschauen lässt. (Unsere Sehnsüchte sind immer größer
als jede mögliche Erfüllung.) Die Erhellung des dunklen Daseins
und der Angst vor dem Tod geschieht nicht durch Verlängerung des
biologischen Lebens, sondern durch eine gute „Vorbereitung“ auf
danach.
Eine
alte Inschrift auf einem Haus in Rom lautet: „Bald gehen wir aus
diesem Haus, das andere für uns erbaut haben, in das Ewige ein, das
wir uns selbst erbauen.“
Was
wir zusammenraffen, können wir nicht mitnehmen. Was wir in Liebe
weggeben und einsetzen, bleibt uns – das ist das selbstgebaute
„ewige Haus“. Es gibt jetzt schon Licht und Hoffnung.
Dienstag,
30.09.2003
Konrad
Lorenz - Geheimnisse tragen das Leben
Der
Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz hat auf einen
Massenwahn der heutigen Menschheit hingewiesen. Er sagt etwa so:
“Die Technik verdankt ihre Macht den Naturwissenschaften, die sämtliche
auf Mathematik aufgebaut sind. Daraus ist eine Wahnidee, eine
Geisteskrankheit, entstanden, die heute leider einen großen Teil
der Menschheit beherrscht. Der Irrglaube besteht in der Meinung,
dass nur das existiert, was sich den Begriffen der
Naturwissenschaften ausdrücken und beweisen lässt...“
Diese
Beobachtung eines Naturwissenschafters ist auch eine Antwort auf die
Frage, warum sich die Menschen in unserem Kulturkreis so schwer tun,
über die Grenze des leiblichen Todes hinauszusehen. Was nicht erklärbar
ist, das existiert nicht, ist der selbstverständliche Schluss.
Gleichzeitig sollen alle „Geheimnisse“ des Lebens gelüftet
werden. Bei genügender Anstrengung wird es, so glauben wir,
gelingen. Und wenn alle Geheimnisse erklärt sind, ja, dann haben
wir die Welt „in der Hand“.
Nur:
So geht´s nicht. Wir werden nie alle Geheimnisse enträtseln können.
Einige entdecken sich und andere tun sich auf. Naturwissenschafter
an den äußersten Grenzen ihres Forschens beginnen deswegen oft,
Philosophie und Religion zu entdecken. Vielleicht brauchen wir das
Geheimnis überhaupt zum Leben. Es schenkt uns auch ein Stück
Geborgenheit, dass wir nicht alles wissen. Gott muss uns ein
Geheimnis bleiben, sonst würden wir über ihn verfügen und er wäre
nicht Gott. Es genügt, dass wir uns ihm anvertrauen.
Mittwoch,
01.10.2003
Suche
nach Gott
Auf
der Suche nach Gott, der auch über den Tod hinaus den Menschen
begleitet, werden wir „fündig“ durch Erfahrungen, die auf Gott
hinweisen. Die einen erahnen ihn in der Endlosigkeit des Meeres,
andere im tobenden Sturm, wieder andere beim Blick vom Gipfel eines
Berges. Manche erspüren hinter den Dingen des Lebens den Größeren,
wenn sie erfahren, dass kein Tag des Lebens vergebens ist, keine Träne,
kein Lachen, keine Hoffnung.
Wer
Gott sucht im Gelingen seiner Pläne oder in seinen Vorstellungen,
der findet ihn oft anderswo, manchmal auch in der
Hoffnungslosigkeit, in der Nacht, in der Einsamkeit.
Da
zeigt er sich als der „ganz Andere“, dessen Gedanken und Wege
anders sind als die unseren. Vielleicht ist er da mehr der Gott des
Lebens als in unseren vorschnellen menschlichen Vorstellungen von
ihm.
Erschütterung
und Schaudern, Weinen und Wirrwarr der Gefühle: Daraus entsteht
manchmal Staunen, Anbetung, Hoffnung und Geborgenheit.
In
allem Suchen können wir (mit Pierre Teilhard de Chardin) beten:“
Herr meiner Kindheit und Herr meines Endes – schiebe doch endlich
alle Wolken weg, die dich noch verbergen!“.
Wir
möchten gern „Klarheit“ auch über die letzten Dinge. Wir möchten
einen Engel neben uns, von dem wir ein Licht fordern können, damit
wir sicher der Ungewissheit entgegengehen. Und wir erhalten (wie in
China erzählt wird) folgende Antwort: „Geh hinein in die
Dunkelheit und lege deine Hand in die Hand Gottes. Das ist besser
als ein Licht und sicherer als ein bekannter Weg.“.
Donnerstag,
02.10.2003
Ewiges
Leben – Loslassen macht frei
Dass
wir unserer Verstorbenen gedenken, erinnert uns auch an unsere
eigene Vergänglichkeit. Rundum stellt man fest, dass der Tod heute
verdrängt wird und große Angst auslöst. Es ist wohl doch ein
falscher „Stil“ des Lebens, der uns so festhalten lässt und
verkrampft. „Verkauf, was du hast und gib das Geld den
Armen...“, sagt Jesus.
Es
verändert das Leben, wenn wir lernen, etwas aus der Hand zu geben.
Es macht frei, wenn wir Dinge weggeben können, an denen wir
besonders hängen. Es tut gut, nicht viel zu horten.
Ist
es nicht oft auch die Traurigkeit, den vielen Besitz nicht mitnehmen
zu können, die Menschen den Abschied aus dieser Welt so schwer
macht? Gut tut es aber auch, Distanz zu sich selber zu gewinnen.
Halten wir uns nicht oft zu sehr für den Mittelpunkt der Welt und
sehen zu wenig unser Klein-Sein angesichts des Universums und der
Generationen von Menschen?
Es
schafft Gelassenheit, wenn man sich nicht für unersetzlich hält.
Es ist besser, über sich selbst lachen zu können und die eigene
Begrenztheit zu sehen als andere auszulachen. Es tut gut, sich über
Erfolge anderer zu freuen und den eigenen Erfolg nicht so wichtig zu
nehmen. Solche Distanz löst uns aus mancher unbewusster
Verklammerung, die uns den Tod so schrecklich erleben lässt. Jeder
Tag, nicht nur der Ablauf der Jahreszeiten, erinnert uns an Werden
und Vergehen. Das dankbare Annehmen jeden neuen Morgens und das
bewusste Erleben des Dunkelns am Abend und des Schlafes als
„Bruder des Todes“ lässt uns den Tod als Teil, als
entscheidenden Teil des Lebens annehmen.
Freitag,
03.10.2003
Geheimnis
- Neue Auferstehungen weisen weiter
Die
Ahnung eines Weiterlebens nach dem Tod oder der Glaube daran finden
sich bei allen Völkern und zu allen Zeiten. Ob es die Begräbnisbräuche
bei Kelten und Germanen sind, die Grabbeigaben der afrikanischen Völker,
das Totenbuch der Ägypter und ihre Pyramiden, überall geht der
Blick über den leiblichen Tod hinaus. Große Denker der Antike wie
Plato, Homer, Horaz und Vergil bestätigen diesen Glauben an ein
Leben über den Tod hinaus.
Es
ist natürlich, den engen Blick des Alltags zu weiten. Dort, wo sich
Menschen ernsthaft um den Sinn des Lebens mühen, begegnen sie der
Frage nach dem Sinn des Todes. Und viele dieser ernsthaften Fragen
kommen zum „weiten Blick“. So sagt der Herzchirurg, der die
erste Herzverpflanzung durchgeführt hat, Christiaan Barnard:
„Kommt der Tod, so finde ich das auf mich persönlich bezogen
nicht so schlimm. Ich glaube nicht, dass er ein Ende bedeutet.“
Viele
haben auch ein Gespür für die kleinen „Auferstehungen“ im
Leben, wenn sich in einer hoffnungslosen Situation plötzlich eine
neue Möglichkeit auftut oder wenn es gelingt, etwas Altes absterben
zu lassen, sich von etwas zu trennen und dadurch Neues kommen zu
lassen, oft Unerwartetes, das Auferstehung erahnen lässt. Für
manche ist es die Sehnsucht nach ausgleichender Gerechtigkeit, die
sie über den Tod hinaus hoffen lässt. Für andere sind es die
Sehnsüchte, die immer größer sind als alle mögliche Erfüllung
in dieser Welt. Die vielen Geheimnisse des Lebens, die nie ganz
aufdeckbar sind oder die sich aus der intensiven Wissenschaft erst
ergeben, verweisen uns auf das letzte, große Geheimnis, das uns umfängt
und auch im Tod hält. Religiöser Glaube sieht das Geheimnis als
einen wesentlichen Teil der Welt und er sieht damit vielleicht mehr
als man meinen möchte.
Samstag,
04.10.2003
EWIGES
LEBEN
In
einer Gesprächsrunde ist einmal der folgende Satz gefallen: “Wer
Gott aufgibt, der löscht die Sonne aus, um mit einer Laterne
weiterzuwandeln.“ Dieser Gedanke trifft mich beim Betrachten eines
Bildes von Giovanni Segantini (Titel „Vergehen“).
Im
tiefverschneiten Gebirge wird ein Toter aus dem Haus getragen und
auf einen Schlitten verladen, im abendlichen Schatten der Berge.
Dahinter ein hell bestrahlter Gebirgszug, darüber eine große, fast
runde, helle Wolke, wie eine große Sonne. Ich weiß nichts über
die Weltanschauung des Malers. Aber ich spüre in diesem Bild eine
Bewegung: Vom Dunkel zum Licht. Vor dem Haus stehen drei Frauen, den
Kopf trauernd, vielleicht auch betend gesenkt. Die Atmosphäre des
Bildes ist absolute Stille.
Ich
erinnere mich dabei an einen Gedanken eines alten
Kirchenschriftstellers (Dionysius Areopagita): „Je näher wir Gott
sind, desto karger werden unsere Worte. Wo wir viele Worte machen,
statt anzubeten, statt zu verehren, statt auf die Knie zu sinken: Da
sind wir von Gott noch weit. Je näher wir Gott sind, desto stiller
wird es. Und beginnt das Schweigen, dann hört auch das Fragen auf;
dann sind wir bei Gott.“ Die Atmosphäre des Bildes ist auch
Einsamkeit: Ein abgelegener Gebirgshof. Trotzdem hat der Betrachter
das Gefühl, dass diese Menschen da vor dem Haus nicht allein sind,
dass sie überstrahlt sind von einem Licht und dass sie dorthin eine
Beziehung haben. Ihre Sonne strahlt in einer dunklen Stunde. Nicht
einmal der Tod nimmt ihnen das große Licht.
Auch
die tiefste innere Nacht ist der Anfang eines neuen, hellen Tages.
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